Popkultur

Der neue Marvel-Film 'Shang-Chi' ist voller Drachen, Pokémon und billigem Nationalismus

Söhne gegen Väter, Monster gegen andere Monster und ein Plädoyer dafür, Kulturen rein zu halten.
Shang-Chi, seine Schwester und seine Freundin erleben das magische Wasser, das sie in die Zauberwelt führen soll.
Still: Disney / Shang-Chi

Zehn Ringe also. Zehn Ringe, Armreife eher, die ihren Träger nicht altern lassen und zum ultimativen Superfighter machen. Um diese zehn Ringe geht es in Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings und alles andere wäre seltsam, weil der Titel genau das schon ankündigt. Wobei das nicht so richtig stimmt. Es geht in diesem Film weniger um die Legende hinter den Ringen, sondern viel mehr um jede Menge Schlägereien und noch mehr um den Kampf eines Sohnes gegen seinen Vater. Und ein schmuddeliges Plädoyer für kulturelle Reinheit.

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Wenn Alte gegen Junge kämpfen, dann schwingt da meistens auch ein Generationenkonflikt mit. Und so wird Shang-Chi schnell zu einem Film für die Generation Z. Für diejenigen, die sich den Platz in der Welt erkämpfen müssen gegen die, die sie durch ihre Ignoranz zerstören. Boomer gegen Gretas. Was jetzt vielleicht plakativ und einfältig klingt. Ist aber halt am Ende auch nur ein Marvel-Film.

Marvel steckt seit jeher voller Generationenkonflikte, die durch eine Konfrontation zwischen Vorfahren und Nachkommen ausgetragen werden oder zumindest dadurch, dass der Sohn wahlweise seinen Vater beerbt oder dessen Lebenswerk verbessert. Iron-Man, Thor, Ant-Man und zuletzt Black Widow. Ein alter Hut also, den sich Shang-Chi da aufsetzt.

Zehn Ringe, um sie alle zu knechten

Der Vater von Shang-Chi (Simu Liu), Wenwu (Tony Leung Chiu Wai), ist der Träger der Ten Rings und schon tausend Jahre alt. Er hat die Ringe in einer Höhle gefunden, so erfährt es das Publikum zu Beginn und damit war es das auch mit der Legende um die Ringe selbst. Nur hat Wenwu die Ringe genutzt, um damit Kriege zu gewinnen und schließlich, um ein weltumspannendes Netzwerk organisierter Kriminalität aufzubauen, inklusive Superkämpfer-Armee. Wie er es genannt hat? The Ten Rings. Wegen der Ringe nämlich.

Eigentlich sollte Shang-Chi die Ringe eines Tages von seinem Vater übernehmen, nachdem er zum Superfighter ausgebildet wurde. Aber Shang-Chi zog lieber nach San Francisco, um dort unbehelligt machen zu können, was er will.

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Wenwu ist jetzt also ein Crime Lord mit unbegrenzten finanziellen Ressourcen und titelgebenden zehn Ringen, mit denen er alles kaputt hauen kann, was sich ihm in den Weg stellt. Das sieht zwar immer noch reichlich anstrengend aus, weil die Ringe offenbar nur durch Akrobatik aktiviert werden können, dafür ist Wenwu auch nach 1.000 Jahren Herrschaft noch ein ziemlich durchtrainierter Muckiberg.

Vater, Söhne, Zielgruppen

Den Generationenkonflikt tragen nicht nur Wenwu und Shang-Chi aus. Auch die weibliche Hauptrolle Katy, die von Awkwafina gespielt wird, muss sich gegenüber ihren Eltern rechtfertigen, warum sie keine Karriere macht. Stattdessen arbeitet sie mit Shang-Chi, ihrem besten Freund, in einem Hotel, wo sie die Autos reicher Gäste parken. Spaß und Freundschaft statt Geld und Familie.

In der Stadt findet Papa Wenwu seinen Sohn Shang-Chi und zwingt ihn bald zur Eskalation. Dann geht es los mit der Action und der bewährten Marvel-Formel: Ein bisschen fürs Herz und zum Lachen, ein bisschen Spannung und Story, dann Schlägerei und Verfolgungsjagden. Alles geil, weil Marvel eben Filme dreht, die too big to fail sind in dem Sinne, dass so viel Geld drin steckt, dass die Action immer mindestens cool aussieht.

Und weil die Formel bei so ziemlich jedem Film ähnlich ist und die Action immer etwa gleich geil, drängt sich eine Frage auf: Wer ist eigentlich die Zielgruppe eines Marvel-Films? Im Jahr 2008, beim ersten Marvel-Film der neuen Ära hätte man das leicht beantworten können: männliche Jugendliche und Comic-Fans jeden Alters. Aber heute? Die Jugendlichen von damals sind erwachsen und so mancher Comic-Fan vielleicht schon beerdigt. Es muss für die Marvel Studios also immer schwerer werden, eine Zielgruppe für ihre Filme zu finden, einen Film zu produzieren, der sie alle zusammenbringt und dabei auch die Jugendlichen von heute mit einpackt. Shang-Chi löst dieses Problem und öffnet damit ein neues, das noch ein ganzes Stück schmuddeliger ist – Spoiler ahead.

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Der Raubtier-Kapitalismus zerstört die Idylle

Im letzten Akt des Films dringt Wenwu mit seinen Kämpfern in ein kleines Zauber-Paradies ein, in dem alles, was der gemeine Westler mit chinesischer Kultur assoziiert, in wenigen Holzhütten beieinander existiert. Das Paradies-Dorf ist bevölkert von gutmütigen Martial-Arts-Expertinnen und -Experten und süßen kleinen Fabelwesen, die aussehen wie Pokémon. Dreischwänzige weiße Füchse etwa oder pelzige Pummel-Tierchen ohne Gesichter. Oder diesen beiden bullenartigen Fantasielöwen, die wir aus dem Eingangsbereich chinesischer Restaurants kennen: Der eine mit einer Art Mops, der andere mit dem Ball unter der Pranke. Dazu Pfeil, Bogen und Esoterik. Wenwu sucht hier brutal sein individuelles Glück und ignoriert währenddessen, dass er das Glück der anderen zerstört. 

Wenwu steht hier für das Böse, den weltumspannenden Kapitalismus, der Nationalstaaten transzendiert und sich seine Regeln selbst macht. Mit aller Gewalt richtet er sich gegen Natur und Gesellschaft und das, was das Zusammenleben schön macht. Dabei entfesselt er das noch viel Bösere, was am Ende kulminiert in einem Kampf zwischen einem der chinesischen Zauberdrachen, die eher an Schlangen oder Fuchur aus der Unendlichen Geschichte erinnern, und einem ungleich hässlicheren lovecraftigen Monster.

Die Tradition wehrt sich also gegen den Eindringling, die Natur gegen das Fremde. Die wird unterstützt von den nun kampferprobten Kids aus San Francisco. Und so böse der Kapitalismus dargestellt wird, so verachtenswert seine Methoden sind und so rücksichtslos sein Handeln, so fragwürdig ist doch auch dieses Verständnis von Kultur. 

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Das ist doch schon identitär?

Denn ist nicht die Reinhaltung des Zauberdorfes, das Ausschließen der fremden Einflüsse auch das, was eine Identitäre Bewegung gutheißen würde? Zeugt diese homogene Gesellschaft, die allen, die den Weg zu ihr suchen, diesen wortwörtlich verstellt, nicht auch das, was eine EU tut, die Geflüchtete an den Außengrenzen leiden und auf dem Mittelmeer ertrinken lässt? Was im echten Leben Grenzschutzbeamte und unbarmherziges Wasser ist, wird bei Marvel zum Wald, der alle verschlingt, die kein Recht haben, das Dorf zu besuchen.

Eine extremistische Fortführung dessen, was die Generation Fridays For Future eigentlich gut meint, verbündet sich mit den indigenen Magiemenschen und ihrem Zauberdrachen, um deren Lebensgrundlage zu bewahren – und perspektivisch die der gesamten Menschheit. Wer gewinnt, soll hier offen bleiben, aber am Ende ist es immer noch ein Marvel-Film.

Im Kontext des Films muss man diese Abwehrhaltung so verstehen, dass man sich vor der Zerstörungswut des Spätkapitalismus wehren will und deswegen das naturalistische Kleinod aufrechterhält, in dem es allen gut geht und der Markt keine Macht hat. Nur dass man dabei all jene zu Fremden erklärt, die nicht hier geboren wurden. 

Modern, woke und PC. Aber halt nicht nur

Der Film zielt auf die Generation Z. Politisch interessiert und aktiviert, woke und umweltbewusst und bereit, den Konflikt mit der Boomer-Generation zu eskalieren: Shame on you! Shang-Chi bedient ihre Themen. Wenn Schutz der Zauberwelt gezeigt wird, ist eigentlich Naturschutz gemeint. Die gute Nation rettet die Welt, kein Rassismus, Feminismus – die Welt des Shang-Chi sieht erst mal hübsch aus.

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25 Filme hat es gedauert, bis Marvel einen asiatischen Protagonisten gewagt hat. Ach was, einen weitgehend asiatischen Cast und mit Destin Daniel Cretton auch Regisseur. Und tatsächlich vermeidet der Film die meisten rassistischen Stereotype. Sie werden noch nicht mal wirklich thematisiert, ironisch gebrochen oder dergleichen. Sie finden einfach fast nicht statt. Dass dieser Text das thematisiert, räumt ihnen mehr Platz ein als der Film selbst. 

Auch ist Katy eine selbstbewusste Frau, die zwar nicht so crazy kämpfen kann wie Shang-Chi, dafür aber genauso gut saufen und feiern. Es gibt auch keine Großaufnahmen von ihrem Hintern, was zu Beginn der Marvel-Ära ja noch eine "Ehre" war, die vor allem Scarlett Johansson zuteil wurde. 

Natürlich fragt man sich, wieso der männliche Held nicht auch ein wenig weicher und emotionaler sein darf, aber insgesamt zeigt Shang-Chi die Geschlechter sehr viel gleichberechtigter als in anderen Marvel-Werken. Dann wiederum fragt man sich, warum der neue BMW-SUV, mit dem die Protagonisten es doch durch den todbringenden Wald in die Magiewelt schaffen, so furchtbar sexy aussehen muss. Trotzdem wird die woke Jugendkultur wenig finden, worüber sie sich beschweren kann. Zumindest wenn sie die politischen Motive nicht wahrnehmen will, die ihr da mit Thors Hammer persönlich in den Schlund geprügelt werden.

Trotzdem scheint Marvel, beziehungsweise Disney, der Mutterkonzern, Shang-Chi nicht wirklich zu vertrauen. Nur 45 Tage soll er im Kino laufen, bevor er auf Disney+ veröffentlicht wird. Wenn dieser komplett durchschnittliche Marvel-Film gefloppt wäre, wäre wohl der Grund gewesen, dass das Publikum keine Lust auf einen asiatischen Cast und Hauptdarsteller hat. Ist aber nicht passiert. Dieser durchschnittliche Marvel-Film, der erstaunlich gute Kritiken bekommt, weil man von Marvel weniger erwartet hätte, macht ordentlich Geld in den Kinos.

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Kampf dem Markt und allem anderen

Durchschnittlich ist Shang-Chi trotzdem. Und zwar im besten Sinne. Er macht erzählerisch nichts falsch und eben die Dinge richtig, die Marvel-Filme seit fast 15 Jahren richtig machen. Er dient derweil als Brücke, um ein paar neue Konzepte ins Universum einzuführen, wodurch Hardcore-Fans gezwungen sein werden, ihn sich anzuschauen. Neu sind The Ten Rings zum Beispiel oder die zehn Armreife aus dem All oder auch nur Shang-Chi und Katy. 

Dabei hat Shang-Chi ein Thema, das junge Menschen an Bord holt, ohne es älteren Menschen ins Gesicht zu klatschen. Und zum Schluss ist der Gedanke, dass Arbeit nicht das Wichtigste im Leben ist, auch ein schöner. Leider wird das interessante Motiv gegen Ende des Films wieder bloßgestellt. Da sagt der Großmeister im Bogenschießen beim Training zu Katy, dass Leute, die auf nichts zielen, auch nichts treffen können. Der Neoliberalismus, der ja eben noch durch den todbringenden Kapitalismus verdammt wurde, wird nun wieder zur Handlungsanweisung. Zumal dieses Zielen im Kontext des Films bedeutet, besser kämpfen zu können, Soldatin zu werden, gegen den Kapitalismus. 

Der Einzelne ist nichts

So lässt sich das Finale nur so lesen, dass der Nationalismus mit all seiner Menschenverachtung die einzige Lösung sein kann, um den Kapitalismus zu bannen. Der einzige Weg, der Allmacht der globalen Konzerne etwas entgegenzusetzen, ist es, die Nation mit kampfkräftigen Fightern auszustatten, die sich ihm in der Schlacht stellen. Das erinnert an das Narrativ über die sogenannten "Globalisten", die es sich zur Aufgabe gemacht haben, durch wirtschaftliche Einflussnahme die Völker der Erde zu unterwandern und zu beherrschen – ein zutiefst antisemitisches Narrativ, das sich schon in der antisemitischen Hetzschrift "Das Protokoll der Weisen von Zion" findet, mit dem die angebliche jüdische Weltverschwörung belegt werden sollte und das Antisemiten auf der ganzen Welt bis heute als Beleg für ihre menschenverachtenden Ideen dient.

Am Ende, Spoiler, geben die beiden Protagonisten dann zumindest ihr Leben auf der Erde auf, um sich den Avengers bei ihrem Kampf gegen das Unrecht im Universum anzuschließen. Das ist dann eine Mischung aus chinesischer: "Der Einzelne zugunsten des Ganzen"-Propaganda und der klassisch amerikanische Militär-Pathos. Irgendwie schön, wie harmonisch die Kulturen hier zusammenfinden.  

Militär, Aufgabe des Individuums bei gleichzeitigem Selbstoptimierungs-Quatsch und einer ordentlichen Portion exkludierendem Nationalismus. Das ist Shang-Chi, ein komplett durchschnittlicher Marvel-Film mit geilen Explosionen und Drachen-Fights.

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