Vor 55 Jahren hat die Antibabypille begonnen, unseren Sex zu revolutionieren. Doch auch ein halbes Jahrhundert nachdem die Pille auf den Markt kam, ist die Auswahl bei den Verhütungsoptionen überschaubar. Noch immer ist in erster Linie die Frau dafür verantwortlich, die unerwünschten Nebenprodukte unserer Triebe zu vermeiden. Und noch immer wirken sich alle existierenden Verhütungsmethoden, abgesehen von der Kupferspirale, dabei massiv auf ihren Hormonhaushalt aus, was eine ganze Reihe von Nebenwirkungen mit sich bringt.
Männer haben noch weniger Möglichkeiten als Frauen, sich um die Verhütung zu kümmern. Ihnen bleibt neben halbwegs sicheren Kondomen (und dem mal so gar nicht sicheren Rausziehen) lediglich die Vasektomie, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Bei dieser Durchtrennung der oberen Samenleiter im Hodensack besteht zwar eine 50/50 Chance, dass sich der Eingriff wieder rückgängig machen lässt—aber das reicht natürlich nicht, um Männer unter 40 in größerer Anzahl von der Methode zu überzeugen. Es werden zwar momentan weitere Verhütungsmethoden für den Mann erforscht, bislang aber hat es noch keine auf den Markt geschafft.
Was aber wäre, wenn es einen medizinischen Eingriff zur Verhütung für den Mann gäbe, der ganz normalen Sex erlaubt und sich einfach wieder rückgängig machen ließe? Was, wenn ein Mann nach einer Operation nur unscharfe Munition abfeuern würde, bis er und seine Partnerin für ein Kind bereit sind—ganz ohne Schnipp-Schnapp?Medizinisch gibt es schon heute eine solche Möglichkeit männlicher Verhütung, die sogar schon über 30 Jahre lang an Menschen und Tieren getestet wurde—Komplikationen sind dabei gut wie keine aufgetreten. Der kleine Eingriff mit dem Namen RISUG (Reversible Inhibition of Sperm Under Guidance) wurde 1970 in Indien von Sujoy Guha erfunden, einem Professor für Medizintechnik am Indian Institute of Technology. Die Methode ist kostengünstig, minimal invasiv und vollständig rückgängig zu machen—es ist der effektivste nicht-permanente Weg, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, den die Welt bislang gesehen hat.Nachdem der Tropfen injiziert wurde, kannst du eigentlich nichts mehr falsch machen.
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Die idiotensichere Pille für den Mann
Es klingt eigentlich zu gut, um wahr zu sein, aber indische Tierversuche und klinische Tests haben gezeigt, dass die Methode funktioniert. Sie kann mit nahezu perfekten Resultaten aufwarten und bringt keine ernstzunehmenden Nebenwirkungen mit sich. Im Gegensatz zu Antibabypille und Kondomen, deren Effizienzrate weit unterhalb der auf der Packungsbeilage dargestellten Idealszenarien liegt, gibt es bei Verhütungs-Injektionen, wie auch bei Spiralen, quasi keinen Raum für Anwendungsfehler.Für die Pharmaindustrie ist es bisher einfach kein lukratives Geschäft.
Was passiert mit den Spermien?
Alternativen bei denen keine Verhütung notwendig ist: Robot Love. Sex aus der Zukunft
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Trotz dem nicht abschließend geklärten Ende in der Spermiensackgasse könnte Vasalgel die lang ersehnte Pille für den Mann sein, die auch medizinisch für mehr Gleichberechtigung in Sachen Verhütung sorgt. Warum kommt die Methode also noch nirgendwo auf der Welt großflächig zum Einsatz?Zunächst einmal gehen viele Männer schon bei dem Ausdruck „operative Empfängnisverhütung für den Mann" auf Abwehrhaltung. Aber was ist schlimmer: Ein paar Stiche in den Hodensack für 15 Minuten und kinderloser Sex für ein Jahrzehnt—oder alle Lebenspläne über den Haufen werfen und sich die nächsten 18 Jahre um den ungeplanten Nachwuchs kümmern?Das Verständnis für die Technologie wird nicht gerade dadurch gesteigert, dass eine ganze Reihe von Missverständnissen zu dem Eingriff umherschwirren. Es handelt sich hier nicht um eine Vasektomie—der Eingriff ist noch nicht einmal gravierend genug, um ihn als Operation bezeichnen zu können. Die Samenleiter können ohne Verwendung eines Skalpells freigelegt werden, indem einfach der Hodensack mit einer speziellen Zange durchstoßen und die Haut jeweils über den Leitern auseinandergezogen wird. Das dabei entstehende Loch ist so klein, dass es noch nicht einmal genäht werden muss.„Man hört oft verfälschte Beschreibungen über Vasalgel—dass die Injektion direkt in deinen Penis geht, was aber nicht der Fall ist. Das verängstigt Männer natürlich … aber es liegt eben an der falschen Beschreibung", sagte Sokal.
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Die Skepsis
Es gelang mir auch, Guha zu erreichen, den Erfinder von RISUG. Er hatte in Indien in Abstimmung mit der ICMR an RISUG gearbeitet, stellte die entsprechenden Spritzen bereit und fungierte als Berater bei den klinischen Tests. Er ist überzeugt, dass die Entwicklung nach wie vor auf einem guten Weg ist: „Da man sich nicht bei mir gemeldet und um Rat in bestimmten Fragen gebeten hat, nehme ich an, dass es aus einer technischen und medizinischen Sicht keine Probleme gab", schrieb er in einer E-Mail.Damit ihr es nicht tun müsst habe ich einen Tag mit VR-Pornos verbracht (NSFW)
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Tatsächlich gibt es bisher keine allgemeinen Hinweise darauf, dass die Methode nicht funktioniert hätte (sei es in Versuchen an Tieren oder Menschen). Es gibt allerdings einen Fall, in dem ein Studienteilnehmer berichtete, dass seine Frau nach der Injektion schwanger wurde. Der Fall wird zwar auf eine falsch durchgeführte Injektion zurückgeführt, aber es kann auch nicht komplett ausgeschlossen werden, dass seine Frau von einem anderen Mann schwanger wurde.Dann gibt es da noch eine Studie, die angibt, dass einige Komponenten der Polymer-Verbindungen von RISUG und Vasalgel als krebserregend eingestuft worden waren. Die Studie basiert auf Untersuchungen, die in Folge von außergewöhnlichen Unfällen in Chemiefabriken gemacht wurden, bei denen die Betroffenen allerdings wesentlich höheren Mengen der Stoffe ausgesetzt waren, als sie bei der Injektion verwendet werden.
Das wahrscheinlich beste Argument, um aus wissenschaftlicher Sicht gegenüber der Markteinführung von RISUG und Vasalgel skeptisch zu sein, liegt jedoch in einem kulturellen Faktor begründet: Typen haben in der Regel schlicht keine Lust, mit Ärzten über ihre Eier zu sprechen. Es nicht gerade einfach, sie fünf oder zehn Jahre nach dem Eingriff zu einer Nachfolgeuntersuchung zu bewegen. So hatten Forscher bislang große Probleme adäquate Daten zu erheben, um den Zulassungsbehörden die Wirksamkeit ihres Verfahrens stichhaltig beweisen zu können.Ich glaube nicht, dass es eine Verschwörung des Patriarchats ist, die die Entwicklung momentan aufhält. Ich denke, es liegt am Geld. Es braucht einfach viel, viel Geld.
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Die größte Hürde ist die Zulassung
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Die Verhütung der Pharmaindustrie
„Die großen Pharmaunternehmen mögen natürlich Medikamente, die Menschen tagtäglich und über mehrere Jahre hinweg einnehmen müssen", so Sokal. Die Macher von RISUG betonen dagegen gerne, dass das Ausgangsmaterial weniger als die Spritze kostet, mit der es injiziert wird. Vasalgel dürfte somit deutlich günstiger als die Spirale sein.„[Pharmaunternehmen] haben diese Vorgabe: Sollten sie nicht 450 Millionen Euro im Jahr mit einem neuen Medikament verdienen, dann ist es die Zeit und Energie nicht wert, die darin investiert werden müsste", sagte Sokal und spielte damit auf seine Gespräche mit Vertretern der Pharmaindustrie an. Sollte diese Rechnung stimmen dann bräuchte es jährlich allein in den USA 625.000 Injektionen, um das Interesse der Pharmaindustrie zu wecken—das sind etwa 125.000 Eingriffe mehr, als es jährlich Vasektomien gibt.Vasalgel wäre deutlich günstiger als die Spirale.
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Selbst wenn eine geniale Werbekampagne die Verhütungsinjektion für den Mann unglaublich populär machen würde, warum sollten die großen Pharmaunternehmen, die alle mit den verschiedenen Hormonpräparaten zur Empfängnisverhütung gutes Geld verdienen, ein Interesse daran haben?Sokal glaubt allerdings nicht an eine Verschwörung—mehr an das Fehlen eines finalen medizinischen Durchbruchs. „Ich weiß nicht, ob [die großen Unternehmen] versuchen, die Vasalgel-Forschung zu torpedieren. Sie sehen es wahrscheinlich nicht als Bedrohung für ihr Geschäft. Der wissenschaftliche Mainstream ignoriert es bis jetzt. In den Medien hat es auch noch keine große Wellen geschlagen. So lange es noch keine eindeutigen Zahlen gibt, gilt das ganze Unterfangen für sie wahrscheinlich als unterfinanziert—als reine Spekulation."Die Parsemus Foundation entschied sich nach ihrem Kauf des Patents dafür, die Forschung an RISUG zurückzuschrauben und stattdessen auf eine andere Variante, Vasalgel, zu setzen.Das Hauptproblem bei RISUG war die fehlende chemische Stabilität, die für die FDA Standards als Voraussetzung gilt. Weil der Hauptbestandteil von RISUG säurer wird, während er über längere Zeit in Spritzen gelagert wird, ist das, was nach einem Jahr oder mehr aus der Spritze herauskommt nicht exakt dasselbe wie das, was in die Spritze reinkommt. Um das Problem zu umgehen, haben sie einfach das saure Nebenprojekt von RISUG als Ausgangsmaterial genommen und es Vasalgel genannt.
Die chemische Stabilität eines Gels
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„Wir mussten eine lagerungsstabilere Version herstellen", sagte Lissner. „Wir gingen davon aus, dass wir es nicht von der FDA zugelassen bekommen würden, so lange wir nicht beweisen können, dass es chemisch stabil ist. Wir dachten uns also, warum versuchen wir es nicht einfach mit der sauren Version?" Bisherige Tierversuche mit Kaninchen lassen vermuten, dass Vasalgel genau so gut funktioniert wie RISUG, aber es braucht noch mehr Versuche für den Beweis, dass es genau so effektiv und sicher ist.„Wir gehen hier schon ein ansehnliches Risiko ein, weil es bisher nur eine einjährige Studie gab. Hoffentlich wird sich Vasalgel als so verlässlich wie RISUG herausstellen", sagte sie.Guha arbeitet derweil am Indian Institute of Technology in Kharagpur, Indien, und mithilfe der privaten Firma IcubedG Ideas, weiter an der Entwicklung von RISUG. Er ist optimistisch, dass RISUG schon bald bei den Konsumenten ankommen wird—zumindest in Indien. Laut den bisherigen Planungen soll Vasalgel 2020 auf den Markt kommen.„Technische und medizinische Probleme wurden behoben und es steht eine hinreichende Finanzierung in Aussicht", erklärte Guha gegenüber LadyBits in einer E-Mail. Auf meine Frage, warum die Phase III Versuche so lange gedauert hätten, verweist er auf die hohen Sicherheitsstandards in Indien und die Bedeutung eines erneuten Tests mit den Versuchsteilnehmern zehn Jahre nach der ursprünglichen Injektion. „Indien geht nicht einfach ohne erwiesene vorklinische und klinische Ergebnisse, die einer internationalen Prüfung unterzogen werden, den nächsten Schritt—nur um im Rampenlicht zu stehen und sich kommerzielle Vorteile zu verschaffen."Parsemus jedenfalls gibt tausenden potentiellen Interessenten Hoffnung: Momentan befinden sich laut Lissner 22.000 Männer auf der Warteliste für die klinischen Tests. „Wir stehen nicht in Kontakt mit Dr. Guha oder wissen über den genauen Stand seiner Forschung bescheid", sagte Lissner. „Ich hoffe, dass er Fortschritte macht. Egal wie man zur Lösung kommt, am Ende kommt es der ganzen Welt zugute."Laut Lissner stammen die meisten Anfragen zu Vasalgel von Menschen in zwischen 20 und 30 Jahren—sowohl von Männern, die gerne mehr Kontrolle über ihre Reproduktionsfähigkeiten hätten, als auch von Frauen, die mit den vorhandenen Methoden Probleme haben. Die am stärksten vertretene Gruppe von allen, so sagte sie, sind, „junge Männer in einer Beziehung, die sich um eine ungewollte Überraschung mit einem Kondom oder der Pille sorgen. Ich würde sagen, der medizinische Rückstand lässt sich damit erklären, dass man von 20 Jahren dachte, Männer hätten kein Interesse daran. Und vielleicht trifft das für die Männer vor 20 Jahren auch zu. Aber heute sieht das anders aus."In diesem Sommer möchte die Parsemus Foundation eine Crowdfunding-Kampagne initiieren und im Frühjahr 2016 hofft man auf den Beginn der klinischen Tests. Auch wenn einige oberflächliche Artikel, die im September 2014 erschienen waren, behaupteten, dass Vasalgel schon 2017 auf den Markt kommen würde, sagte Hamlin, 2020 sei realistischer.„Bislang hat noch niemand solche Geldsummen aufgetrieben und dazu auch noch den Atem gehabt, die Entwicklung bis zum Ende voranzutreiben", erklärte mir Lissner. Selbst wenn die Vasalgelversuche in den USA erfolgreich verlaufen, ist noch lange nicht geklärt, wer die männliche Verhütungsinjektion für den Rest der Welt produzieren wird. Sollte das Mittel in den nächsten fünf Jahren tatsächlich auf den Markt kommen, dann fühlen sich vielleicht auch einige Stiftungen dazu berufen, in die Finanzierung mit einzusteigen.Ich schaue voller Vorfreude in eine Zukunft, in der Männer die nachhaltigste aller Verhütungsmöglichkeiten übernehmen; eine Welt, in der Teenager-Schwangerschaften einem nicht mehr das Leben ruinieren würden und in der Frauen nicht mehr gezwungen wären, sich selbst mit Hormonen vollzupumpen oder gefährlichen Operationen zu unterziehen. Mit den interessanten Innovationen, die es momentan von der Kondomfront zu melden gibt, wird der Sex der Zukunft besser und sorgloser sein denn je. Bis dahin müssen wir uns weiter mit den umständlichen, potenziell unsicheren und wahrscheinlich gesundheitsschädlichen Optionen begnügen—auch wenn der Weg zu einer besseren Verhütung schon seit mehr als 30 Jahren vor unserer Nase liegt.Die volle englische Originalversion dieses Artikels findet ihr bei Motherboard US.