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Das Essen der syrischen Flüchtlinge—zu Tisch im Benjamin Franklin Village

Im überfüllten Benjamin Franklin Village in Mannheim drehen sich die Tage der Flüchtlinge um die Mahlzeiten des Lagers. Mit einer geschmuggelten Pfanne und Instant-Kaffee versuchen die beiden Freunde Basel und Samir ein bisschen ihrer Unabhängigkeit...
Samir kocht Abendessen für die Jungs. Alle Fotos von der Autorin.

„Ich war so durstig, dass ich Meerwasser getrunken habe, mit einem Happen Brot", erinnert sich Basel, ein 25 Jahre alter Syrer aus Damaskus. Das sind seine Erinnerungen an den Tag, als er an der türkischen Mittelmeerküste auf ein Schlauchboot warten musste, das ihn nach Griechenland bringen sollte. Überall versuchten Flüchtlinge und Migranten, sich in Menschengruppen zu verstecken, Basel gab sich als Tourist aus, um dem wachsamen Auge der Polizei zu entgehen. In Bademontur planschte er im Meer und machte mit einem Freund Selfies. Die Hitze verstärkte ihren Durst und ihren Hunger, sie hatten keine Zigaretten und ihre Verzweiflung wurde immer größer. Die Sonne brannte. Zwei Urlauber befanden sich mit ihrem Boot ganz in der Nähe von Basel und machten sich einen schönen Urlaubstag. Sie wussten irgendwie, dass diese beiden jungen Männer anders waren. Sie gaben ihnen das bisschen Verpflegung, das sie auf ihrem Boot hatten: Wasser, Zigaretten, Saft und Obst. Basel sagte nichts.

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Drei Monate später in einem Café in Mannheim. Basel erinnert sich an seine 25-tägige Reise von der griechischen Insel Kos bis zum Benjamin Franklin Village, einer Flüchtlingsunterkunft in Mannheim. Zusammen mit ein paar Freunden machte er sich auf den gefährlichen Weg nach Europa—auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, die es nach vier Jahren blutigen Bürgerkriegs in Syrien doch mal in die Schlagzeilen geschafft hat. Im Gegensatz zu Mazedonien und Ungarn, die ihre Grenzen geschlossen haben, bleiben die Türen nach Deutschland offen und man erwartet hier bis Ende des Jahres 1,5 Millionen Flüchtlinge.

Die Tage im Benjamin Franklin Village beginnen für Basel mit dem Weckdienst. Wer Weckdienst hat, erinnert die anderen, zum Frühstück zu gehen, das es nur zwischen 8 und 10 Uhr gibt. Heute ist Basel dran. „Samir! Baloud! Aufwachen!", so reißt er die anderen aus ihrem Schlaf, die ihm nur mit Schweigen entgegnen. Sein Zimmer teilt sich Basel mit fünf anderen. Zum Beispiel mit Samir, einem Musiker aus Latakia, der mit ihm nach Europa gereist ist. Ihre Tage drehen sich um die abgepackten Mahlzeiten, 2,5 Liter Wasser und andere Snacks, die sie in der Unterkunft bekommen. Wenn sie es nicht schaffen aufzustehen, verpassen sie die einmalige Gelegenheit auf ihre Tagesration—fade Tiefkühlmahlzeit, Würstchen, Joghurt, ein kleiner Schokoladenriegel und Pita.

Und so wird das Warten zur Routine. Sie essen, schlafen, schreiben SMS. Manchmal düsen sie mit dem Rad zum Einkauf in den nächsten Supermarkt, in die Innenstadt oder zum Bolzplatz. Aber davon abgesehen, bleiben sie den Tag über im Bett und warten darauf, dass ihr Name auf der Transferliste erscheint. Basel und Samir gehörten zu den 10.000 Flüchtlingen, die in Budapest gestrandet waren, als Ungarn den wichtigsten Fernbahnhof abriegelte. Sie gehörten zu den Tausenden Flüchtlingen, die nach Österreich gelaufen sind und von dort nach Deutschland einreisen konnten.

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Das Benjamin Franklin Village ist alles andere als die deutsche Idylle, die sich so viele von ihnen vorgestellt hatten. Auf dem ehemaligen amerikanischen Militärstützpunkt befinden sich große Wohngebäude, sterile Asphaltschluchten, eine Schule, ein Fußballfeld. Dieser Ort wurde entworfen, um dem amerikanischen Bedürfnis nach Komfort und Vertrautheit zu entsprechen. Heute leben hier mehr als 5.000 Flüchtlinge. Ein ungewöhnlicher Zufluchtsort für eine Vielzahl von verschiedensten Menschen, aus ihrer Heimat geflohen und ihrer kulturellen Wurzeln beraubt.

Die Zeit vergeht im Schneckentempo. Ohne den Wasserkocher und den elektrischen Grill, den Basel und Samir reingeschmuggelt haben, wäre die Monotonie unerträglich. So können sie sich wenigstens allein etwas zu essen machen. Ein paar Würstchen oder ein bisschen Mortadella vom Grill, einen Schluck Tee oder einen Instant-Kaffee, wann sie wollen. Nachdem sie nach Jahren in der Türkei ihre Träume letztlich nicht verwirklichen konnten, sind sie nach Deutschland gekommen. Hier werden sie leben, Deutsch lernen und arbeiten und studieren können. Vor zwei Monaten kamen sie hier an und nun droht die Warterei zu ihrem Lebensinhalt zu werden. „Los, lass uns spielen!", sagt Basel und kickt den Fußball in Samirs Richtung. Die zwei Männer treten aus der Türschwelle heraus in den trostlosen Flur des Containers. Samir zielt auf den Ball und schießt.

The guys

Die Jungs aus dem Benjamin Franklin Village.

Flüchtlinge werden deutschlandweit mittels des computerbasierten EASY-Systems auf verschiedene Unterkünfte verteilt. Die Verteilung erfolgt über Quoten, die sich nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahlen richten. Baden-Württemberg, wo auch Basel und Samir hingeschickt wurden, hat die dritthöchste Quote in Deutschland.

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„Die Registrierung ist die größte administrative Herausforderung", sagt Christiane Springer, Kreisgeschäftsführerin des Deutschen Roten Kreuzes, das derzeit das Benjamin Franklin Village betreut. Durch den starken Zustrom von Flüchtlingen müssen nicht-staatliche Einrichtungen viele Asylbewerber und Migranten aufnehmen. NGOs und staatliche Einrichtungen leiten die Erstaufnahmeeinrichtungen. Für die ersten Monate, bevor die Asylsuchenden überhaupt Flüchtlingsstatus erhalten, wird zur Unterbringung alles genutzt: Turnhallen, leerstehende Kasernen, Schulen und Notunterkünfte aus Containern. Vor dem starken Anstieg des Flüchtlingsstroms über das Mittelmeer in diesem Sommer und der panischen Reaktion Europas auf die Flüchtlingskrise verbrachte ein Flüchtling maximal drei Monate in einer solchen Aufnahmeeinrichtung. Derzeit beträgt die Wartezeit sechs Monate.

Making dinner

Lecker Abendessen.

Zum farbenfrohen Tiefkühlessen und in jeder freien Stunde wird geraucht.Eine Cateringfirma liefert das Essen in die Unterkunft streng nach den Richtlinien der Regierung. Jeden Tag wir deine andere Mahlzeit serviert, aber nach etwas mehr als einer Woche gibt es wieder das Gleiche. Danach kennt man den wässrigen Einheitsbrei.

„Wir sind nicht wegen des Essens hergekommen", sagt Basel. „Das Essen ist schlecht, wir meckern kurz, aber nach ein paar Minuten ist das vergessen." Obwohl das kantinenähnliche Essen—das ironischerweise in der alten Kantine der Schule ausgeteilt wird— einzig mit Monotonie gewürzt ist, füllt es ihre Mägen, die sonst nur angsterfüllt sind. „Brot, Butter und Marmelade werden irgendwann langweilig, aber man will ja nichts wegschmeißen." Das Frühstück ist mitnichten ein befriedigendes Festmahl, aber es ist nahrhaft: einfache Brötchen, Milch, Wasser, Marmelade, Obst und eine komische grüne Paprika. Zum Abendessen gibt es Würstchen, Mortadella oder abgepackte Burger-Pattys, die morgens verteilt wurden. Und so sammeln sich auf den Brettern, die als Tischersatz dienen, leere Joghurtbecher und Plastikbesteck—neben Tabak und Papers.

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Mit seiner Ausstrahlung erhellt Basel quasi die sonst so düsteren Container und Wohnblöcke der Flüchtlinge. Er geht die Hauptstraße in der Anlage auf und ab, grüßt freundlich und plaudert mit den Leuten. Die fünf jungen Männer haben bereits Monate zusammen in der Unterkunft verbracht und sich tagsüber nur noch wenig zu sagen. Nachts allerdings verwandelt sich ihr Zimmer in eine Art arabisches Café. Mit dem Wasserkocher machen sie sich Getränke: Mate für Baloud, ursprünglich aus Homs, Kaffee oder schwarzen Tee für die anderen. „Mama Samir", wie Basel seinen Freund gerne nennt, grillt Würstchen mit geschmolzenem Käse, den sie im Supermarkt gekauft haben.

Scrambled eggs feast

Ein Festmahl: Rührei gebraten in einer geschmuggelten Pfanne.

Nach Angaben des UNHCR sind 62 Prozent der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, Männer; davon sind 22 Prozent zwischen 18 und 59 Jahre alt. Nachts treffen sich alle in Basels Zimmer, rauchen, quatschen und trinken Tee. Samir holt seine Gitarre raus und spielt hin und wieder „Nothing Else Matters". An meinem ersten Abend in der Unterkunft bat Basel einen Freund, der eine Kochplatte und eine Pfanne reingeschmuggelt hatte, einen einmaligen Leckerbissen für uns zuzubereiten: Rührei. Zur Feier des Tages gab es Olivenöl, mit das Wertvollste, was er besitzt. Serviert wurde das heiße Rührei in der großen, verbotenen Pfanne.

Das Leben im Benjamin Franklin Village und ihre etwas ungewöhnlichen Lebensumstände als Flüchtlinge haben Basels und Samirs Sozialleben nicht beeinflusst. Freitagabend trafen sie sich zum Essen bei einem deutschen Freund. Die beiden passten perfekt in die Wohnung mit ihrer lässigen Atmosphäre und der House-Musik. Sie tranken Wein und schnitten Gemüse in der hippen Küche ihres Freundes. Nur einmal redeten sie kurz über das Benjamin Franklin Village, diese Gedanken lösten sich aber schnell im wohlriechenden Dampf der Suppe auf. Es klingelte an der Tür, ein weiterer Freund kam mit Alkohol und verschiedenen Säften, um sich wagemutig an Cocktails zu versuchen. Alle setzten sich gemeinsam an den Tisch, Samir versprach, beim nächsten Mal Baba Ghanoush zu machen und sie begannen zu essen—ganz still und zufrieden.

Update: Am 21. November wurden Basel und Samir von dieser Unterkunft in eine Gemeinschaftsunterkunft verlegt. Sie warten nun auf die nächsten Schritte, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.