Die trügerische Sicherheit von Telegram
Die Gerichtsdokumente zeigen allerdings, dass das BKA durch eine besondere Methode längst in der Lage ist, die Nachrichten von Terrorverdächtigen mitzulesen—und das auch tut. Genau diese Methode wird den Mitgliedern der OSS zum Verhängnis. Sie liefert den Ermittlern wertvolle Einblicke darüber, wie die Gruppe tickt und ob ihre Mitglieder vorhaben, ihre menschenverachtende Ideologie auch in die Tat umzusetzen.Terror-Liveticker: Warum der IS in Dhaka seine Social Media-Strategie änderte
Wie die Abhörmaßnahme funktioniert
Doch auch viele Zweier-Chats dürften für das BKA offen liegen: Denn anders als WhatsApp startete Telegram bis zum jüngsten Update die Verschlüsselung nicht automatisch—bei Telegram mussten Gespräche zuerst einzeln als sogenannter „geheimer Chat" begonnen werden, wie die Funktion heißt. Eine Voreinstellung, die Sicherheitsexperten schon länger kritisierten, und die auch dazu führt, dass trotz der sehr abhörsicheren Option der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung noch immer zahlreiche private Chats für die Angriffsmethode des BKA anfällig sein dürften. Das gilt auch für geräteübergreifende Chats, die ebenfalls nicht verschlüsselt werden können.An dem Gesetz, das das Abhören regelt, hat sich seit 1968 nicht viel geändert—an der Welt und den verwendeten Technologien schon.
Bonus-Schritt: Die Vertuschung
Erhebliche Zweifel an der Legalität
Das rechtliche Problem im Falle Telegram ist jedoch, dass hier eben nicht der Diensteanbieter des Verdächtigen die Informationen herausgibt, sondern dass sich das BKA selbst einen Zugang zu dem zu überwachenden Account herstellt. Inwiefern das erlaubt ist, ist hochumstritten. Für Rechtsanwalt Dr. Nöding ist genau dieser Vorgang fraglich: Der Eingriff lasse „sich unter §100a nicht fassen. Der sieht vor, dass der Diensteanbieter eine Schnittstelle zur Verfügung stellt und über die wird der Datenstrom ausgeleitet." Hier installiere das BKA heimlich einen „dritten Kanal".Der Vorgang stelle in diesem Fall laut dem Fachanwalt für Strafrecht Udo Vetter keine reine „Ausleitung, sondern die Manipulation der Kommunikationssysteme" dar. Das könne man als Eingriff in die Integrität der Systeme werten. Und ein solcher Eingriff bräuchte, wie die Diskussion um den sogenannten Bundestrojaner zeige, eine eigene Rechtsgrundlage, um legal zu sein.Juristen zweifeln an der Legalität des Hacks: Hier installiere das BKA heimlich einen „dritten Kanal".
BKA und Generalbundesanwaltschaft wollten sich mit Verweis auf das laufende Verfahren gegenüber Motherboard nicht äußern. Auch dazu, ob die Abhörmethode vielleicht gar nicht rechtlich gedeckt sei, wollte man nicht Stellung beziehen—dementsprechend ist es am Münchner Gericht, in den kommenden Wochen eine erste rechtliche Einschätzung des Telegram-Angriffs zu liefern.Bundestrojaner von der Leine gelassen: Der Staat darf wieder hacken
Geisterfirma Telegram
Das Unternehmen, das formal seinen Sitz in Berlin hat, erklärt nonchalant, mit Absicht seinen eigenen Standort zu verschleiern. „Wir würden nichts davon haben, diese Informationen zu veröffentlichen; wir würden damit nur die Privatsphäre unseres Teams aufs Spiel setzen und uns zu einem einfacheren Ziel für Datenanfragen machen", schrieb der Gründer Durov in einer Mail an gruenderszene.de.Telegram geht auch gegenüber Anwälten unverblümt mit seiner sehr speziellen Firmentaktik hausieren: „Wir versuchen, Telegram so weit wie möglich zu dezentralisieren, um lokalen Rechtssprechungen aus dem Wege zu gehen :)".
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Die übermotivierte TKÜ oder: Der Klassiker hätte es auch getan
Schon eine Woche vor dem Treffen in der Gartenlaube sollen zwei Mitglieder der OSS mit einer Fahrt nach Tschechien noch konkreter an der Realisierung ihrer Terrorpläne gearbeitet haben: Markus W. und seine Lebensgefährtin Denise G. besorgen am 1. Mai große Mengen pyrotechnischen Sprengstoffes in Tschechien und bringen ihn illegal zurück nach Deutschland. Noch am selben Tag ruft W., der ebenfalls in München vor Gericht steht, den „Präsidenten" der Terrorgruppe Andreas H. an—das Telefonat ist ein „Glücksfall aus Ermittlersicht", wie der Oberstaatsanwalt vor Gericht erklärt: Die Ermittler hören dank der „klassischen" TKÜ das Telefonat ab, in dem W. dem Chef vorschlägt, den Sprengsatz mit Nägeln zu präparieren und in eine Asylsuchendenunterkunft zu werfen. H. stimmt dem Vorschlag zu, man unterhält sich noch über eine Verlängerung der Zündschnur aufgrund der Sprengkraft der Bombe.Durch das abgehörte Telefonat muss schließlich auch das OSS-Treffen in der Laube entfallen. Denn nun greift das MEK schon zwei Tage vor dem Stelldichein in der Kleingartenkolonie zu, nimmt die Mitglieder der Gruppe fest und führt bundesweite Razzien in zahlreichen Wohnungen durch. Die Telegram-Chats mögen für die Ermittler zeitweise von Bedeutung gewesen sein—doch letztlich ist es ein abgehörtes Telefonat, das den Zugriff ermöglicht und zur Verurteilung führen könnte.Die Ermittler hören dank TKÜ mit, wie W. dem Chef vorschlägt, den Sprengsatz mit Nägeln zu präparieren und in eine Asylsuchendenunterkunft zu werfen.