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Journalisten nach der Flucht

Ein irakischer Flüchtling erzählt, wie er letztes Jahr Weihnachten mit Silvester verwechselt hat

"Liebe Österreicher, ich möchte mich für meine Taten letzte Weihnachten entschuldigen."

In dieser Kolumne schreiben geflüchtete Journalisten über ihr neues Leben in Österreich. * English Version below. *

Bevor ich im September 2015 nach Österreich gekommen bin, wusste ich fast nichts über die Kultur hier. Im Irak, wo ich vor meiner Flucht als Journalist arbeitete, spielt Weihnachten keine Rolle. Alles, was ich über Weihnachten weiß, habe ich vom Film Kevin allein zu Haus gelernt. Ich glaube, das ist der Hauptgrund für das peinliche Missverständnis, das mir und meinen Freunden letze Weihnachten in Wien passiert ist. Aber der Reihe nach.

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Ich wollte gleich nach meiner Ankunft in Österreich arbeiten. Deshalb half ichTrain of Hope am Westbahnhof als Übersetzer. Der 24. Dezember war der erste Tag in Österreich, an dem ich frei hatte. Jeder war so glücklich an diesem Tag. Es schien, als würde die ganze Welt diesen Tag feiern. Deshalb wollten meine Freunde—rund ein Dutzend Leute aus dem Asylheim—auch "Weihnachten" feiern. Warum auch nicht?

"Alles, was ich über Weihnachten weiß, habe ich von Kevin allein zu Haus gelernt"

Am späten Nachmittag verließen wir das Asylheim und tranken im Freien ein paar Bier. Im Irak ist das kaum möglich, weil es aufgrund religiöser Vorschriften verboten ist. Ich finde, diese Frage sollte nicht die Religion, sondern jeder selbst beantworten. Deshalb trinke ich auch als Muslim ab und zu Alkohol. Und eines muss ich kurz loswerden: Das österreichische Bier ist so köstlich! Es ist perfekt. Wer auch immer dieses "Gösser" herstellt: Meine Freunde und ich möchten ihm danken!

Leicht angetrunken wollten wir uns die Sehenswürdigkeiten von Wien ansehen; bisher hatten wir kaum Möglichkeit dazu. Am Stephansplatz feierten wir dann, sangen Lieder, klatschten, tanzten und freuten uns. Die Videos davon stellten wir für unsere Familien zu Hause auf Facebook. Wir wollten ihnen zeigen, dass es uns gut geht und auch wir Weihnachten feiern.

Wir haben lustige, irakische Lieder gesungen, die sich gut zum Tanzen eignen. Die Songs haben keine Bedeutung, sie machen nur Spaß.

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Und wenn ich ehrlich bin: Das Feiern tat richtig gut. Ich bin 27 Jahre alt und konnte im Irak aber nie ausgehen—besonders in der Nacht. Die Situation war viel zu angespannt. Die Gefahr, gekidnappt oder von einer Autobombe erfasst zu werden, war immer zu hoch.

Wir waren richtig gut drauf. Nach einiger Zeit merkte ich allerdings, dass uns ein paar Passanten komisch anschauten. Aber ich verstand nicht, warum und dachte: "An einem Tag wie heute darf man doch feiern, oder?" Auch als zwei Polizeiautos kamen, dachten wir uns nichts. Der Polizist fragte uns, ob wir Touristen seien. Wir erklärten ihm, dass wir Flüchtlinge aus dem Irak sind, die seit drei Monaten in Österreich leben. "Das Jahr hat 365 Tage. Warum müsst ihr genau heute so laut feiern? Wisst ihr nicht, welcher Tag heute ist?", fragte er.

Wir wussten schon, welcher Tag war, aber offenbar nicht, wie die Österreicher Weihnachten feiern. Als wir unwissend "Wo ist das Problem?" fragten, klärte uns der Polizist auf. Weihnachten sei ein Tag der Besinnung und Ruhe. Es komme nicht gut an, wenn man an diesem Tag laut singt.

Wir haben uns so schuldig gefühlt und uns hundert Mal bei den fünf Polizisten entschuldigt. Sie gaben uns zum Glück nur eine Verwarnung. Aber mir ist es noch immer ein Anliegen, mich bei den Österreichern zu entschuldigen. Ich bin so dankbar für alles, was die Österreicher für uns gemacht haben. Wir wollten nicht respektlos wirken. Wir wussten es einfach nicht besser. Wir dachten, Weihnachten sei so etwas wie Silvester.

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Wir werden das nicht mehr machen, versprochen. Oder anders gesagt: Dieses Mal feiern wir nicht am 24., sondern am 31. Dezember. Kommt doch mit!

Folge Mustafa Albaroudi auf Facebook | Protokolliert von Christoph Schattleitner


* English Version *

Before I came to Austria in September 2015, I hardly knew anything about the local culture. In Iraq, where I worked as a journalist before I had to flee, Christmas wasn't a thing at all. Literally everything I know about Christmas I've learned from the movie Kevin—Home Alone. Maybe that's the main reason for the embarrassing misunderstanding me and my friends experienced last Christmas in Vienna.

After my arrival in Austria I wanted to start working immediately. I engaged with the Train of Hope by translating a things for refugees at the Westbahnhof. The 24th of December was the first day in Austria I had a day off. Everyone was so happy on this day. It seemed, the whole world wants to celebrate. Therefor me and my friends, a dozen of people from the refugee camp, wanted to celebrate too. Because why not?

In the late afternoon, we left the camp and had a few beers outside. That's not really possible in Iraq, because drinking alcohol is prohibited for religious reasons. In my point of view, that shouldn't be a matter of religion, it should be everyone's personal choice. That's why I sometimes drink alcohol even though I'm a muslim. Also, let me say this: The Austrian beer is absolutely delicious! It's perfect. Whoever makes this beer called "Gösser": Me and my friends want to thank you!

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Once we were a little drunk, we wanted to go for a bit of sightseeing. Since our arrival, we hadn't really had enough chances to do so. On St. Stephen's Square, we decided to celebrate in front of the Cathedral. We sang, danced and clapped our hands. We also filmed it and put the videos on Facebook for our families at home. We wanted to show them that we're fine and also that we're celebrating Christmas like the locals.

And to be honest: I truly enjoyed to party. I'm 27 years old, but was never able to go out in Iraq—especially at night. It was too dangerous to get kidnapped or killed by a car bomb.

After some time of celebration, I realized that the people on the square were starring at us. I didn't got why and thought: "On this very day everyone is allowed to celebrate, nor?". Even when two police cars arrived, we didn't mind. One police officer asked us, if we were tourists. We explained that we are refugees from Iraq, living in Vienna for 3 months. "There are 365 days in the year. Why did you choose to party on this day, of all? Don't you know which day we have today?", he asked.

Tough we knew which day it was, we obviously didn't know how Austrians celebrate it. When we naively asked, what the problem was, the police officer explained it to us. Christmas is a day of quiet and consciousness. It's socially not accepted to sing loudly on this day in public.

We felt so guilty and pardoned hundreds times to the five officers. Luckily they only gave us a 'warning'. However, I want to apologize to all Austrians. I'm so thankful for everything they've done for us. We didn't want to be disrespectful. We just didn't know it any better. We thought Christmas was something like New Year's Eve.

We won't do it again, I promise. Or, to be more concise: This year, we won't party on the 24th, but on the 31st of December. Join us!