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the Earth Died Screaming Issue

Sieben Projekte, die die Natur wirklich an ihre Grenzen bringt

Seit Jahrtausenden verändern Menschen die Erde, indem sie für den Städte- und Ackerbau die Wälder roden, Tiere ausrotten und invasive Arten in empfindliche Ökosysteme einschleppen. Wie sieht unser nächstes Kunststück aus?

Aus biologischer Sicht ist das Anthropozän bemerkenswert. Seit Jahrtausenden verändern Menschen die Erde, indem sie Waldrodung für Städte- und Ackerbau betreiben, Tiere ausrotten und invasive Arten in empfindliche Ökosysteme einbringen. Durch den Klimawandel nehmen wir auf globaler Ebene Einfluss und mit dem Aufkommen der Antibiotikaresistenz auch auf der mikroskopischen.

Wissenschaftler haben das Verhältnis des Menschen zur Natur lange aktiv ignoriert. Vor allem die Biotechnik war für eine reduktionistische Herangehensweise an die Beeinflussung komplexer Ökosysteme bekannt. Doch ein wachsendes Bewusstsein für das Anthropozän hat auch zu mehr Ansätzen geführt, die mit und nicht gegen die Natur arbeiten. Bei einer Biotechnikkonferenz beschrieb der Risikoanleger Steve Jurvetson vor Kurzem, dass wir uns wegbewegten von einer „hergestellten, entworfenen, kontrollierten und durchgestalteten Welt, in der die Dinge unserem Willen folgen, hin zu einer gewachsenen, organischen, robusten Zukunft, in der physische Objekte gezüchtet werden".

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Heute erforschen Entwickler und Bioingenieure die Schnittstellen von Biologie, Technik und Politik. Sie imaginieren neue Daseinsformen und neue Wege, mit unserer Umwelt zu interagieren. Manche der folgenden Entwürfe existieren nur als Science-Fiction oder in Kunstgalerien, andere als Prototypen in Laboren, und manche befinden sich bereits in diversen Stadien der praktischen Anwendung—an der „Natur", die wir uns geschaffen haben.

THE INCREDIBLE SHRINKING MAN

Werden wir nur die Natur neu erfinden, oder wird sich im Anthropozän die Menschheit selbst überarbeiten? The Incredible Shrinking Man ist ein Langzeitprojekt, das erforscht, was passieren würde, wenn Menschen nur 50 Zentimeter groß wären. Menschen mit dieser Größe würden weniger Platz und Ressourcen brauchen und so die Umwelt entlasten. Die Philosophen S. Matthew Liao, Anders Sandberg und Rebecca Roache haben 2012 in einer Fachzeitschrift für Umweltethik ein bescheideneres Ziel für die Anpassung des Menschen vorgestellt: Eine 15 cm geringere Durchschnittsgröße würde die Stoffwechselrate um 15 bis 18 Prozent senken und somit den Nahrungsbedarf drastisch reduzieren. Ein solch relativ kleiner Größenunterschied könnte mit Präimplantationstests und der Selektion von Embryos mit „kleinen Genen" erreicht werden oder auch mit Hormonbehandlungen in der Kindheit sowie Medikamenten, die Frauen während der Schwangerschaft nehmen, um das Geburtsgewicht zu reduzieren.

DESIGNING FOR THE SIXTH EXTINCTION

Der Erhalt der von uns so stark belasteten Ökosysteme ist eine der großen Sorgen im Anthropozän. Doch vielleicht müssen wir manchmal in die Natur eingreifen, um sie zu retten. In Designing for the Sixth Extinction schlägt die Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg vor, eine Reihe voneinander abhängiger künstlicher Spezies zu züchten, die die Aufgaben ausgestorbener Arten übernehmen und verschiedene vom Menschen verursachte Probleme lösen könnten. Darunter sind eine Mutantenschnecke, die einen erhöhten Säuregehalt im Boden neutralisiert und ein selbstreplizierender Biofilm, der Laub überzieht und Schadstoffe bindet, wodurch er die Luft dekontaminiert. Ginsbergs spekulativer Entwurf bezieht sich jedoch nicht nur auf den Wald: Sie schlägt auch ein Verwaltungs- und Patentsystem vor sowie Anreize für Biotechfirmen, ihre Forschungs- und Entwicklungsgelder in Projekte zu investieren, die keinen Umsatz einbringen.

THE MUSSEL CHOIR

Sensoren sammeln schon seit vielen Jahren in vernetzten Häusern und Städten Daten zu unserem Verhalten, doch inzwischen verlassen sich Wissenschaftler auf natürliche Sensoren, um mehr über Umweltfaktoren wie Verschmutzung und Luftqualität zu erfahren. Natalie Jeremijenkos Mussel Choir nutzt die „natürliche Intelligenz" von Muscheln zur Messung der Wasserqualität. Die Muscheln schließen sich bei Gifteinwirkung, zum Beispiel durch Zink oder Blei, und bleiben offen, wenn das Wasser trinkbar ist. Sie hat an der Außenseite einer der Muschelschalen einen Magneten angebracht und an der anderen Seite einen Sensor, der Magnetfeldschwankungen erkennt. Wenn die Muscheln sich in Reaktion auf Umweltbedingungen öffnen und schließen, senden die Magneten ein Signal an einen Computer, der singt, wenn die Muscheln geöffnet sind. Jeremijenko sagte dieses Jahr gegenüber Method Quarterly: „Ich vertraue den Muscheln mehr als Daten! Sie können das Dezimalkomma nicht versehentlich verschieben oder falsch kalibriert sein, denn ihr Leben hängt davon ab."

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OPENBIOME

Auch die Medizin entwickelt sich weg vom Reduktionismus und hin zu einer ökozentrischen Perspektive. Erkenntnisse bezüglich des mikrobiellen Ökosystems im menschlichen Körper haben in den vergangenen zwei Jahren Kot in eine Wunderdroge verwandelt. OpenBiome ist eine „Kotbank", die Fäkalien für Stuhltransplantate sammelt.

Die Darmflora enthält Billionen von Bakterien, die für unsere Verdauung und Immunabwehr unablässig sind. Antibiotika können sich verheerend auf dieses Ökosystem auswirken. Einzelne Spezies—wie Clostridium difficile, eine verbreitete Infektion, die furchtbaren Durchfall verursacht—können dadurch überhandnehmen. Die Verpflanzung von mikrobenreichen Fäkalien einer gesunden Person in den Darm einer Person mit C. diff hat eine Heilungsrate von 90 Prozent und ist somit erfolgreicher als jedes andere medizinische Verfahren.

THE NEW WEATHERMAN'S COOKBOOK

In The New Weatherman's Cookbook stellt der Künstler David Benqué eine Reihe Entwürfe vor, die synthetische Biologie einsetzen, um umweltschädliche Industrien zum Erliegen zu bringen und radikale Veränderungen herbeizuführen. Mit den New Weathermen hat Benqués eine fiktive Gruppe von Gentechnikern erfunden, die auf eine „symbiotische Weltordnung" mit biotechnischen Geräten hinarbeiten. In einem Projekt namens #PalmOPS schlagen die New Weathermen vor, die Palmölindustrie, deren Plantagen Regenwälder und Torfmoore zerstören, mit einer Guerillakampagne auszuschalten. Bakterien sollen die Palmen dazu bringen, Lipasehemmer zu produzieren, also Stoffe, die die Fettaufnahme im menschlichen Körper drosseln. Konsumenten des veränderten Öls würden erkranken und für das sorgen, was Benqué #BIOLULZ nennt.

MAMMUT-AUFERSTEHUNG

Der Genetiker George Church hat kürzlich verkündet, Forscher in seinem Labor hätten Elefanten-DNS mit der des Fellmammuts kombiniert, welches seit 4.000 Jahren ausgestorben ist. Es steht zwar noch in den Sternen der Technik, ob wir in der Lage sein werden, Mammuts „auferstehen" zu lassen—oder auch nur einen dickeren, kälteresistenteren Elefanten zu züchten—doch der Versuch, vergangene Ausrottungen durch Gentechnik rückgängig zu machen, kombiniert Technik und Umweltschutz auf faszinierende Weise. Manche Naturschützer befürchten allerdings, dass Arten und Ökosysteme in Zukunft noch leichtsinniger gefährdet werden könnten, wenn wir uns an die Vorstellung gewöhnen, unsere Fehler auf diese Art korrigieren zu können.

OXITEC-MÜCKEN

Die britische Biotechnikfirma Oxitec hat in den letzten zwei Jahren Millionen von gentechnisch veränderten Mücken in Zentral- und Südamerika freigesetzt. Wenn die allesamt männlichen Moskitos sich mit wilden Weibchen paaren, produzieren sie „selbstbeschränkende" Nachkommen, die sterben, bevor sie ausgewachsen sind. Damit geht der Bestand der Denguefieber verbreitenden Insekten zurück. Der Kampf gegen die Stechmücke und die von ihr übertragenen Krankheiten—bisher durch die Freilassung von Männchen, die sterilisiert wurden, und den Einsatz von Insektiziden wie DDT—ist ein wichtiges Beispiel für die Biologie des Anthropozäns. Wie Alexandra Daisy Ginsberg angemerkt hat, sind die Programme, die in den Oxitec-Mücken und anderen synthetischen Organismen stecken, das Leben und der Tod selbst.