Intelexit: Von der Guerilla-Aktion zur Ausstiegshilfe für reuige Geheimdienstler
Bild: Intelexit.org

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Intelexit: Von der Guerilla-Aktion zur Ausstiegshilfe für reuige Geheimdienstler

DIe Hintertür zur Demokratie aus der Geheimdienstarbeit ist ein Aussteigerprogramm namens Intelexit.

Die Schauspielerin saß bereits auf ihre Rolle vorbereitet im Publikum. Doch auftreten musste sie nicht.

Sie sollte der geladenen Presse am Mittwochmorgen in Berlin vorgaukeln, die Anwältin eines hochrangigen deutschen Geheimdienstlers zu sein, der sich bei der Initiative Intelexit gemeldet hätte, um endlich aus ethischen Gründen seinen „Dienst" zu quittieren.

Ähnlich wie Aussteigerprogramme für Neonazis will Intelexit Geheimdienstlern mit Gewissenskonflikt eine erste Hilfe beim Abschied von der Spionage bieten. Nicht als Plattform für Whistleblower—dafür gäbe es schon viel besser aufgestellte Organisationen, so eine Sprecherin von Intelexit. Der Fokus läge auch nicht im Rechtsschutz für Aussteiger, sondern in der psychologischen Betreuung des Einzelnen beim Umgang mit der persönlichen Verantwortung, die er als Teil einer Maschinerie trägt, welche die Grundrechte anderer systematisch beschneidet und verletzt.

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Auch vom Peng!-Kollektiv: Berliner Aktivisten übernehmen Vattenfall-Zentrale und erklären neue Kohlepolitik

Mit subtilem Augenzwinkern hat das Peng!-Kollektiv, ein loser Berliner Verband politischer Guerilla-Künstler in der Tradition der Yes Men, Intelexit vor gerade mal drei Tagen ins öffentliche Leben gerufen: Jeder solle sich selbst fragen, wie lange die eigene Berufswahl gegenüber der Gesellschaft zu rechtfertigen und mit dem eigenen Gewissen zu vereinbaren ist. Intelexit bezeichnet sich selbst—unter Anspielung auf den Backdoor-Zugang zu Rechnern—feinsinnig als „die Hintertür zur Demokratie". Auf der Website gibt es einen Generator für Kündigungsschreiben und Kontaktmöglichkeiten per PGP.

Doch die geplante Scharade bei der Pressekonferenz am Alexanderplatz war gar nicht nötig, erzählt mir Jean Peters vom Peng!-Kollektiv verblüfft: Tatsächlich hätten sich trotz aller Kürze der Kampagne bereits Menschen gemeldet, die aussteigen wollten.

Einige der Intelexit.Org-Aktivisten nach erfolgreichem Kleistern einer freundlichen Ausstiegs-Ananas. Bild: Intelexit (Verwendet mit freundlicher Genehmigung)

Um den Geheimdienstmitarbeitern den ersten Kontakt in Richtung Ausstieg zu erleichtern, holt sie Intelexit dort ab, wo sie sich befinden: Direkt an den Dienststellen der GCHQ, NSA und des BND—mit Hilfe von Guerilla-Plakatierungen, fürsorglichen Flyer-Verteilaktionen und mobilen Werbeanzeigen auf Trucks und Anhängern, die gut sichtbar vor beliebten Cafés und Personaleingängen positioniert wurden. „Wollten Sie Ihrem Land dienen und spionierten letztlich ihr eigenes Volk aus?", steht auf einem der Plakate neben der URL der Intelexit-Website. „Hör auf dein Herz—nicht auf die Telefongespräche anderer", auf einem weiteren.

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Am Montag, den 28.09., veröffentlichte das Peng!-Kollektiv dazu ein schickes Hochglanzvideo, in dem unter anderem der NSA-Whistleblower Thomas Drake und eine Wiener Psychologin über den Umgang mit der Schuld und den schwierigen Schritt aus den Spionageorganisationen sprechen.

Wir brauchen die Diskussion um die Rolle der Dienste—neben der supergeheimen Kaffeemaschine im 7. Keller des Verfassungsschutzes genauso wie in der Öffentlichkeit.

Bereits zwei Tage nach der Veröffentlichung beraumte das Peng!-Kollektiv eine Pressekonferenz an, auf der erste Ergebnisse präsentieren werden sollten. Alles sei viel größer geworden als gedacht; die eigentlich eingeplante Schauspielerin wurde nicht gebraucht: „Wir hätten auch was gefakt, aber das war gar nicht nötig", so Jean.

Leider sass auf der Bühne gestern dann aber doch nicht das erste Dutzend echter BND-Whistleblower. Dafür anwesend waren neben der Künstlerin Lizvlx, als Sprecherin von Intelexit, die Drohnenopfer- und Menschenrechtsanwältin Nighat Dad, als Vertreterin der pakistanischen Digital Rights Foundation, der Netzaktivist Jérémie Zimmermann und Mitat Özdemir, der über seine desaströsen Erfahrungen mit deutschen Geheimdiensten nach den NSU-Morden sprach.

Özdemir erzählte von massivem Vertrauensverlust in deutsche Institutionen und deren Rechtsstaatlichkeit, den die Kölner Migranten durch Verfassungsschutz und Polizei erfahren hätten, nachdem eine Nagelbombe der NSU in der türkisch geprägten Keupstraße explodiert war und 22 Menschen verletzt hatte. „Niemand hat uns geglaubt, dass es Rechtsradikale waren. Wen schützen die eigentlich: Die Institutionen oder die Bürger?"

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Zum Ausmaß der Rückmeldungen durch angebliche Geheimdienst-Mitarbeiter wollten die Aktionskünstler keine Angabe machen; Sprecherin Lizvlx erklärte allerdings, von der schnellen Reaktion auf die eigene Kampagne überrascht zu sein. Als Aktionskünstler spielen die Mitglieder des Peng!-Kollektivs natürlich bewusst mit der öffentlichen Wahrnehung und den Medien und türken auch gerne mal komplette Pressekonferenzen wie im rahmen ihrer #vattenfake-Aktion.

Ob sich also tatsächlich bereits ein Mitarbeiter eines Geheimdienstes gemeldet hat, lässt sich nicht verifizieren. Die Sprecherin von Intelexit reagierte gereizt auf die Nachfrage, von welchen Organisationen sich Ausstiegswillige gemeldet hätten—die Journalisten sollten sich dazu doch bitte einfach selber etwas ausdenken.

Vor einer BND-Stelle in Berlin-Lichterfelde. Bild: Intelexit.org; Wagner, Jaussi.

Bei der Pressekonferenz in Berlin: jeremy Zimmermann, Lixvlx, Nighat Dad und Mitat Özdemir. Bild: Intelexit.org

Auch im NSA-Stammbundesland Maryland, wo sowohl das Hauptquartier als auch die Büros vieler NSA-Dienstleister liegen, ist Intelexit.org unterwegs.

Vor der Clay-Kaserne in Wiesbaden. Bild: Intelexit

Man müsse selbst noch herausfinden, wie ernst die eingegangenen Rückmeldungen zu nehmen seien. „Wir stehen da noch ganz am Anfang", räumte die Sprecherin Lizvlx ein. Und es bleibt die Frage, ob sich ein Geheimdienstmitarbeiter wirklich an eine Guerillakunstgruppe wenden würde, statt sich direkt der Courage Foundation, die ACLU oder dem Whistleblower-Netzwerk anzuvertrauen (allesamt Organisationen, mit denen Intelexit indirekt zusammenarbeitet).

Wen schützen die Dienste eigentlich: Die Institutionen oder die Bürger?

Um Aufmerksamkeit für das Thema der Demokratieaushöhlung durch Geheimdienste zu generieren, ist das letztlich aber auch irrelevant.

„Wir brauchen die Diskussion", insistierte Aktivist Zimmermann von La Quadrature du Net. „Und zwar neben der supergeheimen Kaffeemaschine im siebten Untergeschoss des Verfassungsschutz-Kellers genauso wie in der breiten Öffentlichkeit."

Unter Tränen forderte die Menschenrechtsanwältin Dad in ihrem Schlussplädoyer, die deutschen Medien müssten ihre Regierung in Frage stellen und über die Verantwortlichkeit Deutschlands im internationalen Drohnenkrieg und der (damit direkt verknüpften) Geheimdienstarbeit diskutieren. Dieser Aufforderung kommen wir gerne nach.