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In diesem Forum beschweren sich Leute über ihre durchgeknallten Eltern

Ein User beschreibt, wie sein Vater sein Handy zerhackte und ihm dann ins Gesicht schlug.
Beispiel-Screenshots aus dem InsaneParents-Subreddit
Screenshots von r/InsaneParents

Als der 22-jährige Owen* vor einem Umzug seine Sachen packte, fand er im Keller eine Schachtel mit einem zerstörten schwarzen iPhone. Sofort erinnerte er sich wieder an einen der schlimmsten Abende seines Lebens.

Vor fünf Jahren, Owen war 17, saß er zu Hause und chattete mit seiner Freundin am Handy. Sein Vater, ein Zeuge Jehovas und generell sehr streng, wollte sehen, was er schreibt und verlangte Owens Handy. Aus Angst, dass er herausfindet, dass seine Freundin nicht den Familienglauben teilt, weigerte sich Owen allerdings, ihm das Passwort zu verraten. Daraufhin nahm der Vater das Handy mit nach draußen, zertrümmerte es mit einem Beil, kam wieder rein und schlug seinem Sohn ins Gesicht. "Ich erinnere mich, wie meine Welt damals in Stücke zersprang", sagt Owen heute.

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Das traumatische Erlebnis teilte er vor ein paar Monaten in einem Subreddit mit 757.000 Abonnierenden: r/InsaneParents. Hier teilen Menschen Storys über strenge Eltern mit unorthodoxen Erziehungsmethoden – in manchen Fällen auch Missbrauch. "Der Sub ist eine Mischung aus dem Herzzerreißenden und dem Witzigen", heißt es in der Sidebar.


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Owen sagt, er wisse nicht mehr, wie er auf Insane Parents gestoßen ist, aber er wisse noch, dass ihm die Geschichten geholfen haben, sich wegen seiner eigenen Kindheitserfahrungen nicht so schlecht zu fühlen: "Ich habe mich gefreut, Menschen zu sehen, die mich verstehen können und die ähnliche Sachen durchgemacht haben – oder sogar schlimmere."

Als er sein altes kaputtes Handy fand, postete er ein Foto davon mit der dazugehörigen Geschichte auf der Seite. Schnell hatte er 84.000 Upvotes und wurde mit unterstützenden und einigen negativen Kommentaren – "fake!" – überhäuft. Er gab sogar einem anderen User Ratschläge, der sich in einer ähnlichen Familiensituation befand. "Es kann einem richtig gut tun und ich glaube, es hilft Menschen mit strengen Eltern, mit ihrer Situation besser umzugehen", sagt er.

Die beliebtesten Posts auf Insane Parents zeigen, wie schlimm das Leben mit kontrollsüchtigen Eltern sein kann: Eine 20-Jährige bekommt Ärger, weil sie die Pille nimmt. Ein Kind wird von seiner Mutter mit einer Sicherheitskamera überwacht, damit es auch um Punkt 15 Uhr den Abwasch macht. Manchmal berichten Menschen auch von körperlichen Übergriffen. Vor drei Monaten etwa postete ein Teenager ein Bild seines mit blauen Flecken übersäten Rückens. Zwischen diesen tragischen Geschichten tauchen allerdings auch immer wieder SpongeBob-Memes und Katzenfotos auf.

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Für viele hat der Subreddit etwas Therapeutisches. Owen sagt, es habe sich gut angefühlt, von der Community aufgemuntert zu werden. Der 18-jährige Angel hingegen sagt, er habe hier vor allem einen Ort gefunden, an den er Dampf ablassen kann: "Die meisten Menschen sind dem schlechten Verhalten ihrer Eltern ausgesetzt und haben keinen Ort, an dem sie sich darüber können." Er selbst würde sich ohne das Forum "definitiv beschissener fühlen".

Angel liebt seine Mutter und seinen Vater, er finde sie "toll", sagt er. Aber wenn es um seine Belange gehe, seien sie etwas taub. Seine Geschichten sind deswegen auch nicht ganz so heftig wie die einiger anderer User. Das zeigt auch, wie breit gefächert die Posts auf Insane Parents sind. Während manche ernsthaft nach Hilfe suchen, schreiben sich andere nur den Frust von der Seele.

Der 16-jährige Harry* postete in dem Subreddit, nachdem seine Mutter ihm aufgetragen haben soll, drei Seiten mit den Worten "Ich werde meine Eltern respektieren. Ich werde ihnen in die Augen schauen. Ich werde freundlich kommunizieren" vollzuschreiben. In seiner Beschreibung findet er das Verhalten seiner Mutter nicht wahnsinnig, als Missbrauch versteht er es schon gar nicht. Er sieht es vielmehr als normale Strafe. Warum postet er dann in dem Sub? "Es ist passiert, also dachte ich, das kann ich auch gleich posten", sagt er. Seine Story bekam 25.000 Upvotes.

simpsons meme

Ein Meme von r/InsaneParents

Harry fand allerdings, dass einige Menschen etwas extrem auf seinen Post reagierten. Manche empfahlen ihm, von zu Hause auszuziehen. "Es gibt eine Menge radikale Leute da draußen", sagt er. "Es passiert bei fast jedem Post. Jemand schreibt über eine kleine Strafe und sofort sind da Leute, die sagen: 'Oh mein Gott, das muss furchtbar sein. Spar Geld und zieh sofort aus, sobald du 18 bist.' Das ergibt einfach überhaupt keinen Sinn, zumindest nicht in meiner Situation."

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Der Ratschlag mit dem Auszug fällt so oft, dass einer der erfolgreichsten Posts auf der Seite ein Simpsons-Meme ist, dass sich über die Vorstellung lustig macht, dass Minderjährige einfach so bei ihren Eltern ausziehen können.

Wie Owen werden Userinnen und User oft beschuldigt, dass ihre Posts erfunden seien. Viele Beiträge enthalten auch deswegen Screenshots von Textnachrichten zwischen den Eltern und der betroffenen Person. Die Screenshots verwandeln die teilweise traumatischen Erfahrungen für die Lesenden aber auch zu leicht verdaulicher Unterhaltung. Je schockierender die Geschichte, desto mehr Upvotes gibt es.

Die Moderatorinnen und Moderatoren von Insane Parents schreiben, dass so viele Screenshots gepostet werden, weil viel Kommunikation heutzutage auf diese Weise stattfindet. "Deswegen gibt es mehr Gelegenheiten, fehlgeleitete Erziehung mit einem Screenshot zu dokumentieren", sagen sie. "Das ist am leichtesten zu posten."

Die 21-Jährige Userin B.A. sagte, dass sie von Leuten aufgefordert wurde, weitere Screenshots zu teilen, sonst würden sie ihr nicht glauben. Im Dezember hatte ihr Vater von ihr verlangt, ihn herumzufahren, obwohl sie zur Arbeit musste. Als sie dagegen protestierte, antwortete ihr Vater: "Es ist mir scheißegal, was du zu tun hast. Du fährst mich morgen. Du solltest dich verdammt noch mal schämen." Sie postete den Nachrichtenaustausch in der Gruppe.

Auch B.A. fand in dem Subreddit viel Unterstützung. "Ich hatte das Gefühl, dass mir wirklich zugehört wird", sagt sie. "Ich muss mich mein Leben lang mit diesem Verhalten rumschlagen, vor allem alleine. Und ich habe Probleme, mir da selbst zu trauen. Weil ich das so internalisiert habe, glaube ich oft, dass ich ein schlechter Mensch bin. Ich habe in dem Sub gepostet, weil ich wissen musste, was andere von diesem Austausch halten."

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Für die Moderatorinnen und Moderatoren steht die gegenseitige Unterstützung klar im Vordergrund. Für sie ist der Sub ein Ort, an dem man Teenagern "vergewissert, dass ihre Erfahrungen nicht normal sind". In der Vergangenheit haben die Admins auch mal das Jugendamt eingeschaltet. So hatten sie einen Facebook-Post gesehen, in dem eine Mutter ihren Kindern Bleiche zu trinken gegeben hat, um sie von Autismus zu heilen.

Dr. Dawn Branley-Bell, eine Psychologin an der britischen Northumbria University und Expertin für Online-Kommunikation, sagt, es wäre hilfreich, wenn die Moderatoren in der Sidebar Links zu Hilfstelefonen und Organisationen auflisten würden. Insgesamt findet sie die Seite aber hilfreich. "Ich habe nicht den Eindruck, dass sie besonders gefährlich oder schädlich ist. Die Vorteile der gegenseitigen Unterstützung und der Gemeinschaft überwiegen definitiv", sagt sie.

Nach seinem Post über sein zerstörtes Handy und seinen Vater habe er sich anfangs etwas unwohl gefühlt, sagt Owen. Er habe das Gefühl gehabt, die Kontrolle verloren zu haben, nachdem sein Post auch für Religionsdiskussionen benutzt wurde, anstatt sich auf das Verhalten seines Vaters zu beschränken. Insgesamt sei er trotzdem zufrieden mit seinem Platz in der Geschichte des Subs. "Jüngere Menschen können sehen, was andere durchgemacht haben, und sie wissen, dass sie nicht die einzigen sind. Zusammen kann man sich darüber lustig machen, obwohl es ziemlich ernste Situationen sind", sagt er.

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