Auf Patrouille nach Obi Nauw. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. April 2008 © Tim Hetherington
Medic "Doc" Old behandelt Specialist Gutierrez, der bei einem Angriff von Taliban auf den 'Restrepo'-Außenposten verletzt wurde. Der Posten wurde nach dem Medic Juan Restrepo vom Second Platoon benannt, der im Juli 2007 durch Aufständische getötet worden war. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. 17. September 2007 © Tim Hetherington
Stephen Mayes: Ich habe Tim kennengelernt, als er Fotojournalismus an der Cardiff University in Wales studierte. Sobald er 1997 seinen Abschluss in der Tasche hatte, ging es ihm allerdings um mehr als nur Fotografie. Die restlichen 90er Jahre hindurch wiederholte sich zwischen uns vor allem ein Thema: "Das ist alles schön und gut, aber was machst du damit?"
Bobby küsst Cortez beim Raufen in den Baracken des Second Platoon am Korengal Outpost. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. Juni 2008. © Tim Hetherington
Für Tim ging es vor allem darum, wie hinter Konflikten im Wesentlichen männliche Sexualität steckt – allerdings nicht auf eine sexuelle Art. Viele Probleme von Männlichkeit drehen sich um die Unfähigkeit, Liebe auszudrücken. Wir haben diesen sehr rudimentären Blick auf männliche Sexualität als eine Art An/Aus-Schalter, aber da ist viel mehr. Weil es keine Einladung für Männer gibt, darüber nachzudenken, das zu erkunden oder irgendetwas damit anzustellen, außer sich "gefälligst zu benehmen", kommen wir nicht voran.
Konflikte sind deswegen so spannend, weil es Orte sind, an denen Männer sich ausdrücken. Dort sind Männer am menschlichsten – inmitten der unmenschlichsten Umgebung. Tim hatte den Eindruck, dass sie dort mit sich selbst und anderen eine Verbindung aufbauen konnten, wie es ihnen zu Hause niemals möglich gewesen wäre. Tim suchte nach dem, was Männer beschränkt und davon abhält, sich mehr auszudrücken."In Konflikten sind Männer am menschlichsten – inmitten der unmenschlichsten Umgebung."
Granatengurt. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. 16. September 2007 © Tim Hetherington
In seiner letzten Unterhaltung mit mir hat Tim darüber gesprochen, warum er lieber die Frontlinien als die Flüchtlingslager fotografierte. Er fühlte sich den kämpfenden Männern viel näher und hatte das Gefühl, aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein.Tim versuchte, selbst zu verstehen, was genau ihn dorthin zog. Es geht bei Kämpfen nicht einfach nur um Territorium, Geld oder so. Er verstand es als grundlegendes Bedürfnis, die Auseinandersetzung zu suchen. Privat war Tim allerdings ein unfassbar friedfertiger Mensch. Im Alltag suchte er nie einen Konflikt, trotzdem fühlte er sich zum Krieg hingezogen. Zum Teil spielte da auch das Gefühl von Abenteuer mit rein. Außerdem war da die Liebe. Tim empfand eine Liebe, die er nicht anders ausdrücken konnte.Und er hat dieses Leben wirklich gelebt. Während Tim in Afghanistan mit den Soldaten auf Patrouille war, brach er sich den Knöchel. Aber er ließ sich von ihnen nicht helfen. Er wanderte zwei Tage mit gebrochenem Knöchel und schwerem Rucksack durch die afghanischen Berge, um Hilfe zu holen. Er war einer von ihnen.
Sergeant Elliot Alcantara, Second Platoon, Battle Company, 173rd Airborne Combat Team. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. Juni 2008. © Tim Hetherington
Als Tim 2011 mit seinem Dokumentarfilm Restrepo für den Oscar nominiert wurde, hatte er ein Publikum gefunden – und etwas über männliche Sexualität im Konflikt zu erzählen. Sleeping Soldiers, seine Fotoserie für Vanity Fair, war der erste Vorstoß in diese Richtung.
FCO Ross Murphy, Second Platoon, Battle Company, 173rd Airborne Combat Team. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. Juli 2008. © Tim Hetherington
Ohne ihre Uniformen waren diese Männer anders. Tim erklärte, dass der amerikanische Soldat wie Coca-Cola sei: eine internationale Marke mit Wiedererkennungswert. Die Soldaten sind aber nur eine Marke, bis sie ihre Uniformen ausziehen. Die Männer halbnackt und schlafend inmitten einer extrem umkämpften Region Afghanistan zu fotografieren, erinnert Menschen an die Verletzlichkeit und Aggression."Die Männer halbnackt und schlafend inmitten einer extrem umkämpften Region Afghanistan zu fotografieren, erinnert Menschen an die Verletzlichkeit und Aggression."
Specialist Steve Kim, Second Platoon, Battle Company, 173rd Airborne Combat Team. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. Juni 2008. © Tim Hetherington
Ich erinnere mich gut daran, wie er in mein New Yorker Büro kam. Er sagte kein Wort, sondern legte mir nur Kontaktbögen auf den Tisch. Er hatte die Fotos in Afghanistan gemacht. Dann fragte er, was ich davon halte. Was ich da vor mir hatte, ging weit über konventionelle Kriegsfotografie hinaus: spielende Männer, die sich gegenseitig in die Brustwarzen zwicken, oberkörperfrei und viel Hautkontakt. Es war weder sexuell noch erotisch, aber gleichzeitig hatten sie hier die Freiheit, sich auszudrücken.
Männer vom Second Platoon schaufeln Erde für Sandsäcke, um Teile des 'Restrepo'-Bunkers zu verstärken. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. Juni 2008. © Tim Hetherington
Seine Bilder decken die Wahrheit auf. Und die Wahrheit lautet nicht, dass Männer Waffen tragen. Die Wahrheit liegt tiefer. Tim wollte das thematisieren, ohne jemanden anzugreifen. Auf Konfrontationen bekommen wir von Männern nur die übliche Reaktion. Für ihn geht es darum, die Männer von innen heraus zu erreichen: durch Verständnis.
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Tim spürte etwas und wollte wissen, warum Menschen das nicht erkannten. Und natürlich spüren wir das auch, aber wir reden einfach nicht darüber oder lenken davon ab. Das wollte er umgehen. Er hat nicht versucht, Menschen vor den Kopf zu stoßen. Es war das genaue Gegenteil. Tim wollte, dass sich die Menschen wohl in ihrer Lebenswirklichkeit fühlen.
Ein Soldat vom Second Platoon ruht sich nach einem Tag schwerer Kämpfe im 'Restrepo'-Außenposten aus. Korengal-Tal, Provinz Kunar, Afghanistan. 16. September 2007 © Tim Hetherington