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Popkultur

'The Knick' hat Schläuche im Darm und Kokain zwischen den Zehen

The Knick ist wahrscheinlich die allerbeste Show seit Langem ohne irgendwelche Feinzeichner und Soderbergh ein Gott. Schlecht ist mir trotzdem ein bisschen.
Alle Screenshots aus ,The Knick‘

Unser Verhalten beim Serienschauen hat ja viele Gesichter. Manche sehen prinzipiell nicht fern und holen doch in einer Woche plötzlich 10 Jahre alte Staffeln Doctor Who nach. Mittlerweile gar nicht so wenige können keinen Tag vergehen lassen, ohne am Feierabend alle einzelnen Neuerscheinungen der goldenen amerikanischen und britischen TV-Landschaft abzuarbeiten.

Dann teilt sich das Publikum erneut in die mit Sitcom-Diät und die Drama-Hipster. Die einen brauchen Big Bang Theory oder Two and a Half Men um am nächsten Tag in der Mittagspause Gesprächsstoff zu haben. Die anderen lassen sich gar nicht herab aufs niedere Niveau der „Comedy" und stürzen sich auf jede neuwertige, mysteriöse und Lebensfreude vernichtende Serie, die wie 2000er Indierock-Bands am besten ein „The" im Titel haben: Da fallen mir The Divide, The Leftovers, The Lottery, The Following oder Rectify ein.

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Beide Fronten könnten sich wohl am ehesten auf Orange is the New Black einigen—auch wenn mir die Hauptcharaktere ab einem gewissen Punkt zu blöd geworden sind. Dann gibt es natürlich auch die Dunkelziffer an True Blood-Fans. Irgendwie scheint die Serie aber jedem egal geworden zu sein, obwohl sie am Sonntag das Finale der siebten und letzten Staffel feierte.

Wie dem auch sei, mein TV-Verhalten ist eher monogam. Für jedes Genre reicht ein Vertreter, ein Must-See, und endlich habe ich nach vielen Enttäuschungen auch in der Kategorie Drama meinen perfekten Kandidaten gefunden.

Ganz einfach: Für Comedy und einfache Gags, wende man sich direkt an Drunk History, die es in ihrer zweiten Staffel immer noch schaffen, einen mit den sympathisch versoffenen Americana-Geschichten von Möchtegernhistorikern zum Lachen zu bringen. Wer Weirdness am besten in Kombination mit Animation sehen möchte, muss Bravest Warriors vom genialen Pendleton Ward Ward in sein Leben aufnehmen. Eine Sci-Fi-Fantasiebombe, bei der man sich wie im Kopf eines zehnjährigen Kindes mit ADHS auf LSD fühlt.

Bei der schwierigen Entscheidung für eine Dramaserie, die einen genialen anachronistischen Synthie-Soundtrack, eine Atmosphäre wie Zugluft im Nacken und solide, süchtigmachende Charaktere bieten soll, kann die Wahl nur auf The Knick fallen.

Hierbei handelt es sich um eine metzgernde Arztserie, die in New York um 1900 spielt und für die sich Steven Soderbergh—Mister „Ocean's Contagion" mit dem Faible für männliche Stripper, Liberace und Che Guevara—verantwortlich zeichnet. Jeder Filmregisseur, der was auf sich hält, braucht schließlich eine hochqualitative Dramaserie mit Social Commentary.

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The Knick startet mit einem zerknautschten Clive Owen in einer Opiumhöhle und einem direkt darauffolgenden noch nicht ganz ausgereiften Kaiserschnitt, kurz nachdem sich der Starchirurg Kokain zwischen die Zehen spritzen muss—zum fit werden. I'm in!

Schnell fühlt mal sich an Dr. House erinnert, da nicht nur der Drogenkonsum und eine genial-grantige Wesensart dem Vicodin schluckenden Diagnostiker ähneln, sondern auch die Handlungsbögen vom unterschätzten afroamerikanischen Medizinerkollegen.

Rassismus und Segregation werden in The Knick brutal und ohne Feinzeichner thematisiert, ebenso wie frühe Abtreibungszustände—durchgeführt von geistlichen Schwestern(!). Der Black Doctor boxt aus Frust die Leute in seinem Ghetto nieder, die Sanitäter betreiben mit ihren Fleischfuhren Glücksspiel und der ganze verdammte Melting Pot New York droht langsam überzugehen.

In einer der kommenden Folgen wird ein alle dunkelhäutigen Menschen in Reichweite ziellos niederschlagender weißer Lynchmob beeindruckend inszeniert und so verhandelt, dass ich mich dabei nicht wie im Toleranzmuseum an der Hand genommen fühle. Angesichts der Vorfälle in Ferguson 11 Jahrzehnte später scheint das alles ein bisschen wie sozialhistorischer Stillstand. Da waren wir schon mal weiter, gefühlt jedenfalls.

The Knick hat zwar großen Freak Show-Charakter, aber das Gefühl bleibt trotzdem aufrecht, dass es Dinge wie Nasenarmtransplantationen, Rattenbisslähmungen und Kiefer brechende Gläubiger tatsächlich im Sumpf des frühen Big Apples gegeben haben muss. Spätestens wenn die Krankenschwester beim Löschen eines elektrischen Feuers im OP tot umkippt, merkt man, dass hier keine Figur eine Sonderbehandlung bekommt und Tote den Stellenwert von Komparsen haben.

Und auch wenn das alles jetzt vielleicht nach Übelkeit erzeugendem Torture-Porn, übertriebenen Körperwelten-Fetisch und alles in allem nach Unwohlsein wie Schläuche im Darm klingt, kann ich diese Serie nur schwerstens Empfehlen. Die Emmys sind vorbei und wäre The Knick schon letztes Jahr angelaufen, hätte diese Serie definitiv einen Popo voll an Preisen abgeräumt.

Josef auf Twitter: @theZeffo