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Reisen

Die Frauen der PKK kämpfen bis zum bitteren Ende

Unterwegs mit den Frauen, die für ein freies Kurdistan kämpfen.

Auf dem Gipfel einer Gebirgsstraße im nördlichen Irak stehen zwei Jugendliche in zu großen Armeeanzügen an einem Kontrollpunkt. Sie gehören der als Terrororganisation eingestuften PKK an, welche die 50km2 hinter den Checkpoint, südlich und westlich des Kandil-Berge, an der iranischen Grenze kontrolliert. In den letzten Monaten ist es für sie um einiges schwerer geworden, sich frei zu bewegen und seit Oktober 2011, als bei einem Anschlag der PKK in der Türkei 25 Soldaten ums Leben gekommen sind, mehren sich die Luftangriffe.

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Meine Führer sind drei Einheimische, die wissen, wie man den Regierungstruppen, die mich in das nahe gelegene Arbil zurückschicken würden, aus dem Weg geht. Als sich der Jeep, in dem sie mich herumfahren, dem Kontrollpunkt nähert, sind die Jugendlichen sichtlich genervt, da sie ihre Deckung verlassen müssen. Nachdem sie einen Moment lang das Auto beäugt und mit jemandem am anderen Ende des rauschenden Walkie-Talkies gesprochen haben, winken sie uns jedoch durch. Am Ende der Straße befindet sich ein kleines Haus mit einem Strohdach, wo ich Ronahi Serhat, eine der vielen PKK-Soldatinnen, treffe.

Wenn es so etwas wie eine typische Guerillakämpferin gibt, dann ist das bestimmt nicht Serhat. Sie ist jetzt 40 und sieht aus, als wäre sie einmal sehr schön gewesen. Sie trat der PKK in den 80ern als Studentin bei und hat seitdem die meiste Zeit hier in den Kandil-Bergen verbracht. „Ich war die letzten 20 Jahre im Kampf“, ist das Erste, was sie sagt. „Ich weiß nicht, wie die Zeit so schnell verging.“

Ich hatte bereits von den ausschließlich weiblichen Einheiten der PKK gelesen und mich gefragt, was Frauen wie Serhat dazu bewegen könnte, in die Berge abzuhauen und zur Waffe zu greifen. Die Frauen bei der PKK werden keineswegs von den Gefechten ferngehalten—nur wenige Wochen nach unserem Treffen sollten türkische Truppen bei einem Zusammenstoß in der südöstlichen türkischen Provinz Bitlis 15 PKK-Kämpferinnen töten.

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Nicht alle schätzen den Kampf der PKK

Die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung lebt im verarmten Südosten der Türkei. Hier wuchs auch Serhat unter politisch extrem instabilen Verhältnissen auf. Infolge eines Militärcoups im Jahr 1980 wurden Mitglieder linksorientierter und kurdischer Gruppen routinemäßig aufgelöst und eingesperrt. Sie erzählt mir von einem Angriff auf ihr Elternhaus in ihrer Kindheit, bei dem sie aus Angst, sie könnten zu ihrer Verhaftung führen, zwei Kassetten mit kurdischer Musik oben in einem Baum versteckte.

„Nach dem Putsch wurden Menschen getötet, festgenommen und gefoltert“, erklärt sie. „Wir durften unsere eigene Sprache nicht mehr sprechen. All diese Dinge hinterließen bei mir Spuren.“

Angesichts massiver Unterdrückung durch das Regime von Kenan Evren griff die PKK einige Jahre nach dem Putsch zu den Waffen, um für einen unabhängigen kurdischen Staat im Südosten zu kämpfen. Zu dieser Zeit verpflichtete sich auch Serhat. „Ich ging zur Universität. Das ist ein Ort, wo du Menschen mit unterschiedlichen politischen Ideen triffst und ich schätze, mir wurde da einiges klar.“

Serhat, ich, ein „außenpolitischer“ Sprecher der PKK namens Roj und einige andere Kämpfer nehmen zum Mittagessen Platz: ein Festessen mit Thunfisch, Suppe und frischem Obst, das mit 7UP heruntergespült wird. Sie sind sehr gastfreundlich, aber bald wird klar, dass es schwierig sein wird, Serhat dazu zu bringen, offen zu sprechen. Sie gehört dem 31-köpfigen Exekutivkomitee an und ist, wie die meisten Mitglieder, ihrem Anführer Abdullah Öcalan gegenüber, der seit 1999 inhaftiert ist, leidenschaftlich loyal. Während unseres Gesprächs zollt sie ihm und der PKK für alles von der Verbesserung der Frauenrechte bis hin zum Vorsitz einer Art Erleuchtung der kurdischen Bevölkerung Tribut. Sie hält ihre Rede in langen, gut einstudierten Monologen voller Verweise auf Öcalans Schriften und Ideen.

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„Wir wollen eine demokratische Lösung für die ‚kurdische Frage’ finden“, sagt sie, „aber Öcalans Freilassung aus einem türkischen Gefängnis muss Teil dieser Lösung sein.“

Sie berichtet mir, dass es in erster Linie Öcalans Analyse der Probleme kurdischer Frauen war, die sie zur Gruppe führte. „Es war anders als alles, was ich jemals zuvor gelesen hatte“, schwärmt sie. Besagte feministischen Ideale der PKK haben sich im Laufe der Jahre als effektives Rekrutierungswerkzeug erwiesen. Durch das strikte Verbot von Beziehungen zwischen Kämpfern wird die Disziplin zwischen den Rängen gewahrt. Außerdem ermöglicht es konservativen kurdischen Vätern, ihre Töchter in der Gewissheit in die Berge zu schicken, dass ihre Würde intakt bleibt.

„Wenn Leute der PKK beitreten, ist eine der ersten Sachen, die sie lernen, wie man Frauen respektiert“, sagt sie. „Vorher hatten Frauen einen sehr niedrigen Status innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Aber das hat sich durch den Kampf verändert.“ Und was die Wirkung der Gruppe auf die kurdische Gesellschaft betrifft? „Manchmal machen die Männer Witze darüber“, lacht sie. „Sie sagen: ‚Wir können dir nichts antun, weil die PKK hinter dir steht.’“ Mit uns in dem kleinen Haus sitzen (schlauerweise neben einer Heizung) ein Junge und ein Mädchen, das jünger zu sein scheint als Serhat, als sie der PKK beitrat. Ich fragte mich, ob es Öcalans feministische Schriften waren, die sie dazu gebracht hatten, zu den Waffen zu greifen, aber das kommt mir unwahrscheinlich vor. Seit der Gründung der PKK hat sich die Situation der Kurden geringfügig verbessert, aber der kurdische Rundfunk und politische Aktivitäten sind noch immer eingeschränkt und im November warf Human Rights Watch der türkischen Polizei vor, „das Netz der Bekämpfung pro-kurdischer Politik immer weiter auszuwerfen.“ Demonstrationen von riesigem Ausmaß, bei denen Rechte für Kurden eingefordert werden, finden regelmäßig statt.

Als es langsam dunkel wird, machen sich die drei Kämpfer auf den Rückweg in die Berge. Bevor sie gehen, schenkt Serhat mir ein Buch mit Öcalans Schriften aus dem Gefängnis. Es enthält Kapitel über „die Institutionalisierung und Expansion der feudalen Zivilisation“ und „die Expansion und Reifung der Sklaverei“, aber keines über Frauenrechte. Nichtsdestotrotz zieht es noch immer junge Mädchen in die Berge, um der PKK beizutreten und das wird wahrscheinlich so lange so bleiben, bis sich die Situation im Südosten der Türkei ändert.

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