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Strache macht im ORF-Sommergespräch, was er am besten kann: sich widersprechen

Strache muss auf den Putz hauen, darum kommt er nicht herum.

Screenshot via orf.at

Strache schaut relativ erholt aus. Zumindest verglichen mit den Wochen rund um die Bundespräsidentenwahl, als sich der Stress offenbar bemerkbar machte und der FPÖ-Chef doch gelegentlich sehr ausgezehrt in der Öffentlichkeit herumgeisterte.

Er hatte auch ein bisschen Zeit. Im Juli urlaubt Strache traditionell auf Ibiza, und auch danach war es fast ungewöhnlich ruhig um ihn. Die größeren Themen der letzten vier Wochen—Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei, Mindestsicherung, Burkaverbot, 1-Euro-Jobs—liefen alle ein wenig an der FPÖ vorbei. Das ist ein bisschen seltsam, weil vieles davon Themen sind, die die FPÖ seit Jahren verfolgt hat. Und jetzt ließ sie diese ein bisschen ungenutzt an sich vorüberstreichen.

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Strache hat die Zeit genutzt. Er startet gut in sein mittlerweile zehntes ORF-Sommergespräch am Montagabend. Strache gibt sich eine halbe Stunde lang staatsmännisch, was auch damit zu tun hat, dass sich das Team um die gut vorbereitete Moderatorin Susanne Schnabl dazu entscheidet, den FPÖ-Chef zuerst zu Themen wie Arbeitsmarktpolitik und EU zu befragen, statt ihm sofort mit seinen Lieblingsthemen Asyl und Flüchtlinge (beide Worte fielen in den ersten 25 Minuten kein einziges Mal) Raum zur Selbstentfaltung zu geben.

Und doch muss man sagen, dass Strache auch inhaltlich ordentlich vorbereitet ist. Er widerspricht sich häufig, aber das muss in der Politik kein Problem sein. Der FPÖ-Chef sieht bei Schnabls harten Fragen zu Beginn nicht unbedingt schlechter aus als seine Kolleginnen und Kollegen in den letzten Wochen. Das lässt auch ein wenig Luft aus der gerne verbreiteten These, dass man die FPÖ eigentlich nur außerhalb des Flüchtlingsthemas anfassen müsse und sie sich dann im Gespräch von selbst auflösen würde.

Strache beherrscht den Spagat mittlerweile so gut, dass er problemlos in Rio hätte antreten können.

Laut Berichten der Presse plant Strache seit Längerem eine "Wirtschaftsoffensive". Und so gibt er sich auch im Sommergespräch betont liberal: Senkung der Abgabenquote, Initiativen für Betriebe, Verwaltungsreform, Abbau von bürokratischen Hürden. Das ist gut und schön und hilft ihm sicher bei den Mittelständlern auf dem Neustifter Kirtag, aber nicht bei den wütenden und/oder ängstlichen Wählern vom Viktor-Adler-Markt.

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Es ist zumindest fraglich, ob die Trickle-Down-Hypothese dort so gut ankommt. Deshalb versucht Strache diese Flanke mit dem Vorschlag von der "sektoralen Arbeitsmarktschließung" zu schließen. Also Protektionismus. Eine Idee, die in letzter Zeit durch Politiker wie Donald Trump ohnehin wieder viele Freunde gewinnt. Es ist auch die erste Chance für Strache, einen Treffer durch nur halbherzig versteckte Xenophobie zu landen.

Strache muss momentan an allen Ecken und Enden so sehr den Spagat machen, dass er in Rio locker noch die zweite Medaille für Österreich hätte holen können. Er muss neue Wechselwähler ansprechen, ohne seine Stammwähler zu verdrängen. Seine persönlichen Werte sind deutlich schlechter als die der FPÖ und auch die von Kanzler Kern. Und mit Hofer wächst ihm langsam, aber sicher ein innerparteilicher Konkurrent heran, der—sollte er am 2. Oktober nicht Bundespräsident werden—ein Wahlergebnis von fast 50 Prozent im Rücken hat und wohl nicht ewig in der zweiten Reihe stehen will.

Der Spagat der "Partei der kleinen Leute", der ja nicht neu ist und auch in der starken Differenz zwischen den FPÖ-Wählern und -Kadern begründet liegt, zeigt sich auch im Sommergespräch immer wieder. Strache will Beamte abbauen, aber nur über einen Aufnahmestopp, damit niemand entlassen werden muss. Er will ältere Menschen in Beschäftigung bringen, aber keinen Druck auf die Unternehmen ausüben. Er will in Bereichen wie der 24-Stunden-Pflege, wo einen enormen Bedarf, aber wenig Prestige und kaum Geld gibt, die Löhne erhöhen, damit dort wieder mehr junge Österreicher arbeiten.

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Da darf man durchaus fragen, wie man das finanzieren will. Und ob es fair ist, auf dem Rücken der Ungarinnen und Polinnen Politik zu machen, die für einen Hungerlohn die Angehörigen dieses Landes pflegen.

Strache darf im weiteren Verlauf des Gesprächs kurz virtuell den Kanzler geben und über sein Schattenkabinett (es wird euch freuen zu hören, dass auch Johann Gudenus darunter ist) reden. Er ist ruhig, fokussiert, gut gecoacht. Strache darf die Türkei tadeln und Russland loben. Und dann behaupten, die FPÖ hätte nie den EU-Austritt gefordert, was rein technisch richtig ist. Allerdings spielt sie seit 10 Jahren ein gefährliches Spiel, indem sie ständig damit kokettiert.

Strache muss auf den Putz hauen, darum kommt er nicht herum.

Irgendwann, man kann gar nicht mehr so richtig sagen wann, kippt das Gespräch. Strache wird vom Kanzler wieder zum Oppositionsführer. Beim Thema Asyl hält er plötzlich eine Tafel hoch und behauptet, er wisse von "einem Insider aus dem Innenministerium", dass die Zahlen der Obergrenze eigentlich schon fast erreicht seien. FPÖ-Moderationskarten tauchen in seiner Hand auf.

Da muss man kurz an die These des "postfaktischen Zeitalters" denken: Die vorbereiteten Zahlen müssen nicht stimmen, damit Strache damit durchkommt. Sie sind live einfach nicht gegenzuchecken. Und wenn Strache Schnabl den Satz "Da haben sie offenbar schlecht recherchiert!" entgegen schmettert, hängt plötzlich "Aussage gegen Aussage" in der Luft, und zumindest bei seinem Publikum dürfte das funktionieren.

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Das ist plötzlich ein anderer Strache als in den ersten 30 Minuten. Es ist nicht ganz klar, ob er bewusst zwei Lager bespielen will oder ob ihm das Gespräch einfach ein wenig entgleitet. Aber eigentlich auch egal: Er braucht es, er muss auf den Putz hauen, gerade beim Flüchtlingsthema. Das sieht man auch später in den FPÖ-Wählerporträts, die wieder einmal zeigen, dass viele Leute die FPÖ deshalb wählen, weil sie Angst haben, dass jemand anders mehr bekommen könnte als sie selbst.

Lest hier, wie sich FPÖ-Wähler im Internet verhalten.

Gegen Ende kommt Strache dann doch nicht umhin, zu den Vorschlägen von Sebastian Kurz wie die 1-Euro-Jobs Stellung zu nehmen. Er muss sie gleichzeitig befürworten, aber auch darauf hinweisen, dass das ja eigentlich nicht der Verdienst von Sebastian Kurz sei, sondern der FPÖ. Dabei muss sich Strache ein bisschen verbiegen, aber nicht so, dass Bruchgefahr besteht.

Es ist ja überhaupt eine der größeren Fragen der letzten Wochen und überhaupt der politischen Kommunikation Österreichs, ob es der FPÖ schadet, wenn sich andere Parteien an ihre Positionen annähern. Nach der landläufigen "Schmied/Schmiedl-These" hilft es der FPÖ eher, weil sie dann so dasteht, als habe sie eh immer Recht gehabt. Österreichs Hauspolitologe Peter "The Filz" Filzmaier wies allerdings in der ZiB2 darauf hin, dass es durchaus die Strategie von Kurz (Burka) und Kern (Türkei) sein könnte, Strache aus den Schlagzeilen zu drängen und ihm dadurch die Luft zum Atmen wegzunehmen.

Strache hat sich im Sommergespräch nicht schlecht gemacht. Seine große Bewährungsprobe kommt allerdings mit der nächsten Nationalratswahl. Schafft er es da wieder nicht, die FPÖ in die Regierungsverantwortung zu führen, könnte auch der Stuhl des FPÖ-Chefs schneller wackeln als ihm lieb ist.

Jonas auf Twitter: @L4ndvogt