Wie das "Schild und Schwert"-Festival die Neonazi-Szene vereinen wollte
Alle Fotos: Roman Kutzowitz

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Rechtsextremismus

Wie das "Schild und Schwert"-Festival die Neonazi-Szene vereinen wollte

Die NPD ist so gut wie pleite. An Hitlers Geburtstag versuchen die Neonazis sich beim Festival im sächsischen Ostritz wieder stark zu fühlen. Mit Hitler-Grüßen und Sieg-Heil-Rufen.

"Schwarzi", ein kahlrasierter Mann Mitte 30 mit Ziegenbart, steht lächelnd vor der Polizeikontrolle und trinkt Bier aus einer Plastikflasche. "Wir sind keine Assis", sagt er und haucht eine leichte Alkoholfahne in die Luft. "Wir treffen uns zu Festivals und Konzerten wie heute immer wieder." Seine Glatze glänzt in der Sonne, sein Shirt ziert Hannes Ostendorf, Sänger von Kategorie C, einer Hooligan-Band, die der Bremer Verfassungsschutz als "gewaltbereite Rechtsextremisten" einstuft. "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber halt nicht vor meiner Haustür", sagt "Schwarzi".

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Ein paar hundert Meter weiter östlich lehnt Uwe Meenen im Karohemd an einem hölzernen Brückengeländer. Der 53-Jährige arbeitet für den NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt als Referent im EU-Parlament, 2012 wurde er wegen Volksverhetzung verurteilt. Meenen ist frisch rasiert, trägt die Haare als akkuraten Seitenscheitel und und spricht leise. Dann zitiert er Hegel und doziert, wie die EU die deutsche Souveränität beschneide. "Ich hab kein Problem damit, Nazi genannt zu werden", sagt er, als ihn ein englischsprachiger Journalist fragt, ob er sich als einer sehe.

Uwe Meenen, Referent des NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt

Rechtsrock-Tourist und Neonazi im faltenlosen Hemd: zwei Rechtsextreme von insgesamt etwas mehr als 800 Besuchern des rechtsextremen "Schild und Schwert"-Festivals im sächsischen Ostritz. Thorsten Heise organisiert das Festival, war mal Elektroniker und sitzt heute im NPD-Bundesvorstand. Er kommt aus der gewaltbereiten Kameradschaftsszene und ist unter anderem wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch verurteilt.

Unter dem Motto "Reconquista Europa" hat er Neonazis auf das Gelände des "Hotel Neißeblick" an die deutsch-polnische Grenze geladen. Seit 2007 hat sich die Zahl der NPD-Mitglieder fast halbiert, von 7.200 auf etwa 4.000. In nur sechs Bundesländern holte sie bei vergangenen Landtagswahlen mehr als ein Prozent der Stimmen, sie könnte jederzeit pleite gehen, weil die Bundesregierung ihr komplett die staatliche Finanzierung entziehen will. Das "Schild und Schwert"-Festival ist der Versuch zu zeigen, dass die Partei noch nicht bedeutungslos ist.

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Nun sollen mit einem Festival Rechtsextreme aus dem Bundesgebiet und Ausland mit Kulturangeboten geködert werden. Die NPD hat Neonazibands wie Die Lunikoff Verschwörung eingeladen. Deren Sänger Michael Regener wollte einst – als Frontmann der mittlerweile verbotenen Band Landser – Afrika "wieder deutsche Kolonien" bringen. MMA-Kämpfer schlagen sich beim "Kampf der Nibelungen" die Gesichter ein, einige verlassen das Festival mit Wunden im Gesicht. Wenige Meter weiter stechen Tattookünstler Runenschriftzüge und Soldatensilhouetten in die Haut der Besucher. Sogar ein Politikforum wurde organisiert, bei dem über die "Fremdsteuerung durch die EU" diskutiert wird. Bei "Schild und Schwert" findet sich alles, was das rechte Herz begehrt.

Kameradschaften, Hooligans, Kampfsportler, Rechtsrocker und langjährige NPD-Kader – sie alle sind an diesem Wochenende in die sächsischen Provinz gereist. "Unser Ziel ist es gewesen, eine Veranstaltung zu schaffen, die alles vereint: Politik, Kunst, Musik und Sport", sagt Thorsten Heise.

"Wir sind Hools und werden uns ewig jagen, gegenseitig auf die Schnauze schlagen"

Sascha, Kolja, Kirill und Juri, vier Russen Anfang 20, sind extra 40 Stunden mit dem Zug aus Moskau angereist. Viermal mussten sie umsteigen. Am meisten, sagen sie, freuen sie sich auf die Band Kategorie C. Sie können die deutschen Texte auswendig. "Wir sind Hools und werden uns ewig jagen, gegenseitig auf die Schnauze schlagen", singen die Russen – auch bei Heimspielen vor Torpedo Moskau, wenn mehr als 13.000 Zuschauer ihr Team nach vorne peitschen. "In Russland sind sie sehr beliebt", sagt Sascha in einem Mix aus Russisch, Englisch und Deutsch. Laut dem Veranstalter kämen die Festivalbesucher aus 15 verschiedenen Ländern, darunter Rechtsextreme aus den USA, Österreich, Polen, Tschechien und Ungarn.

Laut Veranstalter kommen die Festivalbesucher aus 15 verschiedenen Ländern

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Der Schauplatz des "Schild und Schwert"-Festivals ist das Hotel "Neißeblick", eine ehemalige Textilfabrik, etwa so groß wie das Schloss Bellevue. Es bietet neben Kampfarena und Konzertbühne auch einen Campingplatz entlang des Neißeufers. An Verkaufsständen des verwinkelten Geländes verkaufen Rechtsextreme Sonnenbrillen und T-Shirts. Den Eingangsbereich schirmen drei große NPD-Plakate ab, auf denen ein Kind mit Kulleraugen die Besucher anschaut und "Kindergärten statt Asylheime" fordert. Hier bleiben die Rechtsextremen unter sich sich. Eine Geländeführung am Samstag wird "aus Sicherheitsgründen" abgesagt, nachdem am Vorabend ein Reporter von Spiegel Online körperlich angegriffen wurde.

Die Rechtsextremen hassen und lieben die Presse

Als sich die Absperrungen am Samstag zur Pressekonferenz schließlich öffnen, strömen fast 100 Reporter aus ganz Europa auf das Areal. Sie versammeln sich um das dilettantisch aufgebaute Podium, drängeln, schubsen, rotten sich zusammen. Jeder will in der ersten Reihe stehen. Daneben hat sich der hauseigene Sicherheitsdienst, die "Arische Bruderschaft", aufgereiht, er soll die Sicht auf das Festival versperren und verhindern, dass unliebsame Gäste das Gelände betreten. Auf dem Podium sitzen der NPD-Europaabgeordnete Udo Voigt, der sächsische Landesvorsitzende Jens Baur, der Berliner NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke, Hotelbesitzer Hans-Jürger Fischer und Veranstalter Thorsten Heise.

Veranstalter Thorsten Heise (Dritter von rechts) bei der Pressekonferenz

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Heise ist der Star, das "Schild und Schwert"-Festival seine One Man Show. Den ganzen Tag über grüßt er neu ankommende Besucher, weist den Ordnungsdienst an, spricht sich mit der Polizei ab. Der Mann mit Kinnbart und gegeltem Undercut antwortet auf fast alle Fragen während der Pressekonferenz. Er wirkt wie ein siegessicherer Häuptling, die Männer neben ihm wie seine gehörigen Fußsoldaten.

Heise spricht von einem "Europa der Vaterländer", sagt, er wünsche sich Volksabstimmungen und würde gerne mit Politikern wie dem sächsischen Ministerpräsident Michael Kretschmer diskutieren. Der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz ist nicht zu Gast – sei aber nächstes Jahr wieder eingeladen, speist ihn Heise ab und lächelt verschmitzt. Seine Ambitionen als Parteivorsitzender machte Heise bereits 2017 deutlich, scheiterte damals aber mit seiner Kampfkandidatur.

Eine knappe halbe Stunde dauert das Frage-Antwort-Spiel. Danach wird der Reporterpulk rausbegleitet, die Türen wieder verschlossen. Die Journalisten harren wieder in der eigens eingerichteten Wartezone aus. "Ihr Untermenschen", ruft ihnen ein tätowierter Fleischberg beim Betreten des Festivals zu. Ein anderer schlägt einem britischen Journalisten sein Smartphone aus der Hand. "Wir sehen uns noch später", droht er, bevor Polizisten ihn abführen.

Viele der Teilnehmer ziehen Hüte und Kappen tief ins Gesicht, tragen Sonnenbrillen und halten ihre Mittelfinger in die Kameras. Andere filmen Medienvertreter zurück. Während Heise im Blitzlichtgewitter badet, meiden seine Besucher den Pressepulk.

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Die Ordner in Reih und Glied

Eine schweigende Mehrheit in jeder Kleinstadt

Auf der Neißebrücke haben sich inzwischen zwei Frauen neben NPD-Mann Uwe Meenen gesetzt. Sie seien "Bekannte" von ihm, man kenne sich von verschiedenen Veranstaltungen, erklärt Meenen. Eine der beiden trägt kniehohe Reiterstiefel und lockige Haare, sie möchte anonym bleiben. Unter ihrem ärmellosen Top sind verblichene Tattoos zu erkennen. Sie habe mal als Friseurin gearbeitet, musste aber aufhören, als sie schwanger wurde.

Durch ihren Beruf sei sie sowohl mit reichen wie auch mit armen Menschen in Kontakt gekommen. "Ich sehe gar keine Szene in diesem Sinne mehr, sondern mehr ein Volksbewegung", sagt sie. Wer heute im Osten jung sei, sympathisiere mit den Gedanken der nationalen Bewegung. "Vielleicht nicht in Frankfurt am Main, aber hier in Sachsen hat diese in jeder Kleinstadt eine schweigende Mehrheit."

Als wolle er die These der Ex-Friseurin bestätigen, spaziert ein älter Herr am Gehstock am Nachmittag durch das 2.600-Einwohner-Städtchen. Als er auf der Neißebrücke ankommt, schaut er auf das Festivalgelände und hält kurz inne. "Die sind gar nicht so, wie ihr von der Presse das immer darstellt. Das sind ganz normale Jungs", sagt er in tiefem Sächsisch, während biertrunkene Neonazis vom Campingplatz aus pöbeln. An ihrem Zelt ist eine schwarz-rot-weiße Fahne angelehnt, darauf das Eiserne Kreuz und der Reichsadler.

Zur antifaschistischen Kundgebung der Initiative "Rechts rockt nicht" sind einige hundert Menschen gekommen, sie wollen Widerstand leisten und Haltung zeigen. Jugendliche laufen mit Regenbogenfahnen über eine Wiese zu lauter Ska-Musik und stehen an Ständen zusammen. Auf dem Marktplatz im Dorfzentrum findet das Friedensfest der Kirche statt. Die Familien der Anwohner spielen hier mit ihren Kindern, während verkleidete Jugendliche mit Devil Sticks jonglieren. Es riecht nach Steakbrötchen und Frittenfett. Bei der Bundestagswahl hatten nur elf Leute im Wahlkreis Ostritz ihre Zweitstimme für die NPD abgegeben. Aber heftiger Widerstand sieht anders aus. Laut dem Veranstalter Heise haben Stadtbewohner auch dabei geholfen, das Festival aufzubauen.

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Ungestört "Sieg heil!" rufen

Auf der polnischen Seite, etwa 300 Meter vom Grenzübergang, lässt sich vom Neißeufer auf das Campinggelände blicken. Obwohl die Polizei ein Alkoholverbot für das Festival ausgesprochen hatte, liegen Dutzende Rechtsextreme biertrinkend auf dem Gelände. Jugendliche sitzen in Campingstühlen, sie haben einen Pavillon mitgebracht und hören auf schlechten Boxen Rechtsrock. Beim Refrain setzen sie immer wieder ein: "Sieg Heil!"

Am frühen Abend wird es nochmal laut. Vor der Kontrollzone haben sich etwa 40 Neonazis aufgereiht und skandieren: "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen". Als Nächstes: "Hasta la vista, Antifascista". Dann brüllen sie: "Ruhm und Ehre der deutschen Nation" – ein Slogan, wegen dem eine Neonazi-Kundgebung in Döbeln 2014 schon einmal aufgelöst wurde, weil er zu stark an die SS erinnerte. Polizisten rennen hektisch vom Festivaleingang zur Kontrollzone und reihen sich vor den skandieren Neonazis auf. Sie kontrollieren im Anschluss jeden einzeln.

Polizisten rennen hektisch vom Festivaleingang zur Kontrollzone

Während vorne Neonazis mit ihren Parolen einheizen, macht nun im hinteren Teil der Gruppe ein betrunkener Slowake Ärger, er ist kaum noch in der Lage, aufrecht zu stehen. Auf seinem weißen T-Shirt steht "See you in Walhalla". In seiner Heimatsprache pöbelt er einen am Seitenrand filmenden Kameramann an, schnell springen ihm deutsche Neonazis zur Seite. "Du bist so hässlich, du hast noch nie gefickt", ruft ein glatzköpfiger Mann zum Filmenden. Als der Slowake nach 15 Minuten noch immer keine Ruhe gibt, schreiten Ordner des Festivals ein. Das hauseigene Sicherheitspersonal – eben noch selbst in der ersten Reihe des wütenden Mobs – gestikuliert nun mit dem Geistesbruder, versucht, ihm zu erklären, dass er ihnen mit seinem Verhalten schade.

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"Ich wollte keinen Hitler-Gruß zeigen, mir ist die Hand ausgerutscht"

Am frühen Nachmittag betreten Polizeibeamte das Gelände und fordern die "Arische Bruderschaft" dazu auf, ihre Shirts umzudrehen, weil darauf zwei gekreuzte Handgranaten abgebildet sind – ein Motiv, das an das Wappen der SS-Division "Oskar Dirlewanger" erinnert. Die Polizei führt außerdem einen kahlgeschorenen Jugendlichen in drahtiger Brille ab, weil er Journalisten den Hitlergruß gezeigt hatte. "Ich wollte das gar nicht, mir ist die Hand ausgerutscht", beschwert er sich. Er wirkt den Tränen nahe. "Was soll ich denn jetzt noch machen?", fragt er.

Die sächsische Polizei registrierte beim "größten Polizeieinsatz der vergangenen zehn Jahre" etwa 70 Strafanzeigen. Der Großteil geht auf das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole und Volksverhetzung zurück. "Sieg heil!"-Rufe wurden von den 1.900 Polizisten vor Ort nicht geahndet. Festivalbesucher konnten T-Shirts der verbotenen Neonaziorganisationen "Combat18" und "Blood & Honour" stundenlang tragen, bevor sie erst in der Nacht zum Sonntag konfisziert wurden. Obwohl Rechtsextreme in Ostritz aus ihrer verfassungsfeindlichen Gesinnung keinen Hehl machen, löst die Polizei das Festival nicht auf.

Die Alternative zur Alternative

Um 13 Uhr am Samstag fährt der einzige NPD-Abgeordnete eines überregionalen Parlaments, der EU-Parlamentarier Udo Voigt, in einem weißen Kleinwagen vor. Wenn er spricht, hält er immer wieder kurz inne, so als müsse er erstmal seine Gedanken sortieren. "Wir bei der NPD haben kein Jugend-, sondern ein Medienproblem", sagt er. Während die AfD in "jede Talkshow eingeladen" werde, interessierten sich Medienvertreter selbst zu ihren Hochzeiten nicht für die NPD. "Nach 50 Jahren Politik glaube ich aber, dass die AfD nur der Durchlauferhitzer ist, die Stimmen sich aber danach dem nationalen Original zuwenden", sagt der 66-Jährige.

Bei der letzten Bundestagswahl holte die AfD in Sachsen fast 700.000 Stimmen, die NPD keine 30.000. Das Verfassungsgericht wollte die NPD 2017 nicht verbieten, Begründung: Sie sei zu irrelevant. An diesem Wochenende wollte sie zeigen, dass sie noch nicht ganz bedeutungslos ist. Wem die AfD zu gemäßigt ist, der findet bei uns eine Heimat – wir sind die Alternative zur Alternative, so die Botschaft von Heise, Voigt und Co. Jetzt positionieren sie sich also als Alternative zur Alternative, als Option für all diejenigen, denen die AfD nicht militant und radikal genug ist.

Am nächsten Wochenende wird Thorsten Heise schon den nächsten Aufmarsch organisieren: Er hat zur 1.-Mai-Demo nach Erfurt eingeladen.* "Was mich bei meiner politischen Arbeit antreibt, ist die Liebe", sagt er. Den Abend verbringe er auf dem Gelände des Festivals – unter Freunden.

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*Update, 24.04.2018: In der ursprünglichen Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass die 1.-Mai-Demo in Chemnitz stattfinden wird. Das stimmt nicht. Heises Aufmarsch ist in Erfurt.