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Populismus

Fünf Gründe, warum es nicht OK ist, eine AfD-Politikerin als ehemalige Sexarbeiterin zu outen

Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand die Anzahl deiner Sexpartner oder deine Toysammlung bei Facebook postet?
Foto: imago | Rolf Remming

Ist die AfD eine reaktionäre Partei? Ja. Propagiert sie ein diskriminierendes, heteronormatives Familienbild? Ja. Ist eine ehemalige Sexarbeiterin in ihren Reihen aktiv? Laut eines Berichts des Recherchebüros Correctiv: ja. Über alle drei Dinge kann man sich aufregen, aber aus unterschiedlichen Gründen.

Bei eins und zwei wegen der politischen Inhalte. Und beim "Sexskandal", wie Correctiv schreibt? Da setzt der Voyeurismus-Reflex ein: Wer, was, wie, wo, will man halb schadenfreudig, halb sensationslüstern wissen. Das ist der Aufreger.

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Wieso haben wir in der Regel Sex in unserem Bett und nicht im Büro? Genau: weil es Kollegen, Freunde und die Öffentlichkeit nichts angeht, ob wir auf Blümchensex oder Rollenspiele in Lack und Leder stehen. Wie würdet ihr es finden, wenn morgen alle Kollegen wüssten, dass ihr letztes Wochenende einen Dreier hattet? Oder dass schon Monate nichts mehr lief? Sexualität sagt ja auch nichts über Fähigkeiten im Job aus.

Zugegeben: Wenn wir nun darüber berichten, kann man argumentieren, dass wir in einen Kackhaufen treten, und uns danach nicht die Schuhe abputzen. Wir sind an der Verbreitung von etwas Unschönem beteiligt. Und ja, dass wir für eine AfDlerin Partei ergreifen, kommt uns auch seltsam vor. Aber: Hier geht es nicht um diese Frau. Hier geht es um Sexismus und die Pauschal-Verurteilung von schätzungsweise 400.000 Sexarbeiterinnen alleine in Deutschland. Deshalb hier unsere Gründe, warum man (ehemalige) Sexarbeiterinnen nicht outen sollte.

Weil das nicht die Aufgabe von Journalisten ist

Normalerweise veröffentlicht das Recherchebüro Langzeit-Reportagen mit dem Anspruch, gesellschaftsrelevante Missstände aufzudecken. Mit der Skandalisierung des Sexlebens einer Politikerin wird kein Missstand aufgedeckt, sondern reproduziert: boulevardeske Effekthascherei, die stereotype Klischees zementiert.

Weil es Sexismus ist

Was ist die billigste und schäbigste Art, eine Frau zu diskreditieren? Man macht sie via Sexismus zum Objekt. Sexuelle Neigungen sind plötzlich wichtiger als Überzeugungen, Werte, Inhalte, Qualifikationen und Äußerungen.

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Weil die AfD so viel wichtigere Gründe bietet, aufgrund derer man sie angreifen kann

Die AfD wird mehr und mehr zur Selbstzerfleicherpartei. Wenn Machtkämpfe öffentlich werden, sich die Parteivorsitzende in einem Video selbst für gescheitert erklärt und rechtspopulistische Dauerhetze gerechtfertigt oder zum Maus-Ausrutscher deklariert wird, dann kann man zweierlei tun: durch Fakten-Checks populistische Aussagen demontieren oder das Aufmerksamkeitsgehetze einfach ignorieren. Zwei Austeilerstrategien, die der AfD erheblich mehr schaden dürften, als die Politiker mit ihrem Privatleben anzugreifen.

Weil es das Leben von Sexarbeiterinnen schwerer macht

Der Sexarbeiterinnenverband "Hydra" geht von 400.000 Prostituierten in Deutschland aus. Wie schwer vielen der Ausstieg fällt, könnt ihr hier lesen. Eine Kölner Sozialarbeiterin von der Prostituiertenhilfe beim Sozialdienst katholischer Frauen fragt: "Was sollen wir einer Frau in den Lebenslauf schreiben, die 10 Jahre im Rotlichtmilieu gearbeitet hat?" Die Diskriminierung von ehemaligen Prostituierten ist ein gesellschaftlicher Missstand. Wer eine Sexarbeiterin outet, stigmatisiert sie, richtet den Finger auf sie. Wenn eine ehemalige Sexarbeiterin mit ihrer Vergangenheit nicht hausieren geht, dann ist das verständlich und ihr gutes Recht. Es ist ihre Entscheidung. Und nicht die von "Enthüllern".

Weil es keinen einzigen AfDler bekehren wird

Egal, was nun vermeintlichen AfD-Anhängern die Augen öffnen soll: Haters gonna hate. So wie dieser Herr.

Die "Ich-mach-mir-die-Welt-wie-sie-mir-gefällt-Manier" von Aluhüten und rechten Hardlinern wird auch durch Fakten, die vermeintlich nicht in ihr Weltbild passen, nicht revidiert. Sad. So sad!

Unser Fazit: Kritik an der AfD gerne. Wenn sie angebracht ist. Immer und immer wieder, bis diese Partei endlich tot ist. Aber mit Inhalten. Wer was wie wann und wo mit wem im Bett gemacht hat, sollte erst dann zum Gegenstand der Berichterstattung werden, wenn es ein strafrechtlicher Tatbestand ist. Alles andere ist genau das, weswegen man die AfD immer wieder kritisiert: Populismus.

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