Wer bei Facebook ein Hakenkreuz postet, bekommt Ärger. Wer bei Telegram ein Hakenkreuz postet, dem passiert erst einmal nichts. Wenn Neonazis keinen Bock auf Stress haben, gehen sie also zu Telegram.Mindestens 57 Gruppen und Channels von rechtsextremen Bands lassen sich in der Chat-App finden. Hier machen sie, was sie auf vielen Plattformen sonst nicht mehr dürfen: Sie teilen verbotene Musik, informieren über Konzerte, verkaufen CDs und T-Shirts.
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Telegram, von vielen als WhatsApp-Alternative mit drolligen Bots und Sticker-Paketen gefeiert, hat sich zu einer der wichtigsten Plattformen für Rechtsextreme entwickelt. Im April 2018 empfahl die US-Neonazi-Website Daily Stormer ihren Lesern, dorthin zu wechseln. Seitdem nutzen immer mehr Gruppen der extremen Rechten die App.Telegram ist für seine extrem liberale Auslegung von freier Rede bekannt und toleriert Extremismus viel eher als andere Plattformen wie Facebook, Instagram oder Discord. Die App ist eine Mischung aus Messenger und Sozialem Netzwerk. Nutzerinnen und Nutzer können sich relativ anonym in Gruppen und Channels vernetzen.Damit ist Telegram auch das ideale Werkzeug für Neonazis, um menschenverachtende Ideologien zu verbreiten und Nachwuchs zu rekrutieren. Alben mit extrem rassistischen, volksverhetzenden oder antidemokratischen Inhalten werden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert – ihre Verbreitung ist verboten. Auf Telegram sind sie trotzdem zu finden.VICE hat überprüft, wie viele der in Deutschland wichtigsten 368 rechtsextremen Bands sich dort ohne Probleme finden lassen. Als Grundlage diente eine Liste rechtsextremer Musikerinnen und Musiker des Online-Portals Belltower News der Amadeu Antonio Stiftung.
Mindestens zehn Prozent der einflussreichsten rechtsextremen Bands sind auf Telegram
Für unseren Test haben wir die Namen der 368 Bands in die Suchmaske von Telegram eingegeben: Zehn Prozent waren mit eigenen Channels oder Gruppen vertreten. Durch gepostete Links innerhalb der Channels und Gruppen konnten wir weitere Telegram-Gruppen finden, teilweise von dazugehörigen Musik-Labels. Insgesamt haben wir dadurch 57 Telegram-Channels und Gruppen über rechtsextreme Musik aufgespürt. Die Mitgliederzahlen variieren stark: Die kleinste zählt 13, die größte 8.669 Mitglieder. Sie gehört zum Rapper Chris Ares.
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2019 wurden so viele rechtsextreme Telegram-Gruppen gegründet wie nie zuvor
Auch die Betreiber des Telegram-Channels der Band "Fight Tonight" schreiben in ihrem ersten Beitrag, dass ihnen das "ganze Gemache bei Facebook ziemlich auf den Sack geht". Der Betreiber des Channels zur Band "Sturmwehr" schreibt, dass er auf Facebook gesperrt sei. Er nennt es "30 Tage Gesinnungshaft".
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Links, Bilder, mp3s: Das teilen rechtsextreme Bands auf Telegram
Insgesamt wurden auch 4.884 Bilder und Videos geteilt, häufig CD-Cover und Festivalplakate. Die Rechtsextremen sind dabei vorsichtig genug, keine Symbole verfassungswidriger Organisationen zu zeigen. Beliebte Motive sind Totenköpfe, dunkle Reiter, Flammen. Die geteilten Videos sind häufig verwackelte Konzertmitschnitte oder Infos über abgesagte Events.Hinter den meisten der 1.353 Audiodateien steckte rechtsextreme Musik, darunter viele indizierte Titel. In 21 Channels und Gruppen wurde Musik der jeweiligen Band geteilt, davon teilten mindestens zwölf Gruppen auch Lieder, die auf dem Index stehen – deren Verbreitung also verboten ist. Auf Spotify und YouTube würden diese Titel sofort gelöscht werden, wenn sie jemand meldet. Telegram dagegen ist ein Marktplatz für rechtsextreme Musik geworden.
In mindestens 12 Telegram-Channels und Gruppen kursieren indizierte Lieder
Indizierte Titel gibt es unter anderem auf den Telegram-Channels zu der Band "Stahlgewitter". Die Musiker Frank Krämer und Daniel "Gigi" Giese spielten häufig auf Konzerten der heute verbotenen Organisation "Blood & Honour". 2003 durchsuchte die Polizei sieben Wohnungen der Bandmitglieder wegen des Verdachts der Volksverhetzung auf dem Album Politischer Soldat. In ihrem Song "Pervers und Abnormal" ruft die Band dazu auf, homosexuelle Paare zu "kastrieren", auch dieser Titel ist auf Telegram zu hören.
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Die Gruppe Landser war wohl eine der bekanntesten Neonazi-Bands Deutschland – bis sie 2008 vom Kammergericht Berlin als "kriminelle Vereinigung" eingestuft und ihre Mitglieder zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Sie hätten in ihren Liedern Menschen vieler Nationen in ihrer Menschenwürde herabgesetzt und ihnen das Lebensrecht abgesprochen, heißt es in der Begründung. Ihr Song "Ran an den Feind", auch auf Telegram zu finden, ist klar antisemitisch. Gesungen wird: "Bomben auf Israel”.Miro Dittrich forscht für die Amadeu Antonio Stiftung zu Rechtsextremen und Rechtspopulisten im Netz. Er sagt: "In den Telegram-Gruppen und -Channels wird rechtsextreme Musik vermarktet, weil den Rechtsextremen eine legale Vermarktung nicht möglich ist. Auch Konzerte werden dort klandestin organisiert. Wenn man das Konzert öffentlich bekannt gibt, würde es verboten werden oder die Antifa steht vor der Tür."Musik spiele eine wichtige Rolle dabei, Menschen in die rechtsextreme Szene zu locken. "Musik schafft Identität", sagt Dittrich. Sie könne Menschen an rechtsextreme Ideologien heranführen und auch dort halten. Starke Identifikation mit der Musik könne dazu führen, dass sich für die Anhängerinnen und Anhänger eine alternative Realität herausbildet – eine Realität, in der Merkel eine Kommunistin sei und islamistische Horden das Land überfielen. "Für diese Menschen entwickelt sich dann ein Handlungsdruck, der sich zum Beispiel in Stimmen für rechtsextreme Parteien äußert", sagt Dittrich, "oder in Gewalttaten."
Musik lockt Menschen in die rechtsextreme Szene
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Viele rechtsextreme Musiker gehen inzwischen vorsichtiger vor. Kein Song von Rapper Chris Ares ist indiziert, obwohl er dieselbe Ideologie propagiert wie alte Rechtsrocker: "Aufrecht stehen. Absolut. Gerade gehen. Deutsches Blut. Patrioten, die sich wehren."Die rechtsextreme Szene ist eng miteinander verwoben, das zeigt die Werbung für den "Revolutionären Kongress" in diesem Frühjahr, die in mindestens drei der 57 Gruppen zu finden ist. Hier wollen sich nicht nur rechtsextreme Musiker treffen, sondern offenbar auch Mitglieder von Parteien wie NPD, Die Rechte oder III. Weg, wie das Portal Blick nach rechts berichtet .Rechtsextreme Musik hilft der rechtsextremen Szene auch finanziell. Einnahmen aus Konzerten und Merchandise fließen oft zurück in die Szene, wie Dittrich erklärt. "Unter Rechtsextremen gibt es Streit, wenn jemand die ganze Kohle für sich behält." Finanziert würden auch Anwälte, Propagandamittel und Versammlungsorte.Durch das Geld lässt sich eine Linie von rechtsextremer Musik zu Rechtsterrorismus ziehen. "Für die NSU-Unterstützer, die vor Gericht standen, wurde auf Rechtsrock-Konzerten Geld gesammelt", sagt Kira Ayyadi, Expertin für Rechtsrock bei der Amadeu Antonio Stiftung. Bis heute seien Personen aus dem engsten Unterstützer-Kreis des NSU in der Rechtsrock-Szene aktiv, sagt sie, etwa Organisatoren, Security und als Bands. Belege dafür liefert unter anderem eine Antwort der Landesregierung Thüringen auf eine kleine Anfrage im Jahr 2018.
Nutzer teilen Hakenkreuze und das Kennzeichen der SS
In mindestens vier Gruppen wurden Symbole verfassungswidriger Organisationen gezeigt. Hakenkreuze oder die doppelte Siegrune, das Erkennungszeichen der SS, sind in geteilten Bildern zu sehen.Auch die Schwarze Sonne, die Lebensrune oder der Lebensbaum wurden von den Nationalsozialisten verwendet. Trotzdem ist ihr Gebrauch nur in bestimmten Kontexten illegal. Die Lebensrune war das Kennzeichen der SA – doch man findet sie auch auf Geburts- oder Sterbeanzeigen. So ist ihre Verwendung nach einem Urteil des bayerischen Oberlandesgerichts nur verboten, wenn ein sie auf einen "unbefangenen Dritten" den Eindruck erwecken könne, es handele sich um das Zeichen einer verfassungswidrigen Organisation.
"Für NSU-Unterstützer wurde auf Rechtsrock-Konzerten Geld gesammelt"
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Telegram lässt die Channels online
Auch auf VICE: Der Alltag einer Transfrau, die früher als Neonazi gegen queere Menschen hetzte
Auch VICE gegenüber bleibt Telegram verschwiegen. Nutzende können der Plattform Channels und Gruppen melden, die dort nicht hingehören, dafür gibt es eine eigene Funktion in der App. Als Begründung für die Beschwerde können Nutzende zwischen "Spam", "Gewalt", "Kindesmissbrauch", "Pornografie" und "Sonstiges" wählen.Wir haben uns für "Sonstiges" entschieden. In das daraufhin erscheinende Textfeld haben wir geschrieben, dass es sich um indizierte Musik handelt, die in Deutschland illegal ist. So haben wir insgesamt fünf der Channels und Gruppen gemeldet.Auch fünf Tage später waren sie weiterhin online. Auf unsere E-Mail vom 14. Februar, warum Telegram nichts gegen Neonazi-Content und illegale Musik unternehme, haben wir bislang keine Antwort erhalten.