10 Fragen an einen Bestatter, die du dich niemals trauen würdest zu stellen
Fotos: Hanko Ye

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10 Fragen

10 Fragen an einen Bestatter, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

"Hattest du mal Sex bei einer Beerdigung?" – "Nein, aber auf einem Friedhof."

Niemand besucht Bestatter gern: Die Leute denken an Tod, Verlust oder zumindest an den buckligen, mit Spaten und Messband bewaffneten Totengräber aus Lucky Luke. Eric Wrede erinnert an nichts von alldem. Er ist 37, tätowiert, eher Typ Start-up-Unternehmer aus Berlin-Kreuzberg als ergrautes Bestatter-Klischee im schwarzen Anzug. Früher war er Musikmanager und machte sich nur Gedanken, ob ein Song im Radio laufen würde oder nicht. Nachdem er dort aber ein Interview mit einem Bestatter hörte, wechselte er die Branche und machte eine Ausbildung in einem Bestattungshaus in Berlin.

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2014 gründete Eric das Unternehmen Lebensnah mit dem Ziel, die deutsche Abschiedskultur zu verbessern. "Wir möchten keine Waren verkaufen", sagt er. Beratung, Beerdigung und Öko-Sarg gebe es deshalb als Gesamtpaket, individuelle Wünsche, wie Blumen oder Musiker, berechne er, ohne selbst etwas daran zu verdienen. Sein Büro erinnert an ein skandinavisches Architektenstudio – im Schaufenster stehen Urnen, die wie Blumentöpfe aussehen, Glühbirnen hängen an geschälten Ästen. "Es soll nicht dunkel aussehen", sagt Eric. Wir haben Fragen.

VICE: Hattest du mal Sex bei einer Beerdigung?
Eric Wrede: Nein, aber auf einem Friedhof. Nach einem Date. Da dachte ich auch: "Scheiße, wenn die mich dabei erwischen, dann gibt’s die Schlagzeile 'Bestatter vögelt auf Friedhof'". Wir waren auf der Halbinsel Stralau und haben am Wasser gesoffen, Sommer eben. Wir wollten weg von den Leuten und der Friedhof war die einzige Grünfläche, wo wir hin konnten. Auf dem Friedhof war ich danach nie wieder. Als Bestatter Frauen zu daten, hat schon ein paar Mal echt gut funktioniert. Stell dir vor, du bist auf einer Party und alle arbeiten bei VICE oder einer langweiligen Plattenfirma. Da ist ein Bestatter auf jeden Fall der spannendste Gesprächspartner. Ich fände es auch affig, wenn ich meinen Beruf verschweigen würde. Ich baue ja keine Atombomben.

Wie hat man Sex, wenn man Stunden zuvor noch eine Leiche gesehen hat?
Ich habe damit keine Probleme. Das ist eher für mein Gegenüber schwierig. Klar denken Frauen: "Moment, hat der nicht gerade noch 'ne Leiche angefasst?" Da wird man schon gefragt, ob man sich die Hände gewaschen hat. Als ich Single war, musste ich oft erklären, dass ich kaum Körperkontakt mit den Verstorbenen habe, weil ich Handschuhe trage. Aber jetzt habe ich eine Freundin, die weiß das.

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Es ist aber total irritierend, eine tote Frau einzukleiden, die lebendig auch ein Date sein könnte. Wenn jemand in meinem Alter ist und du denkst: "Das ist eine attraktive Frau, mit der hätte ich geflirtet." Also das denke ich, wenn ich Fotos aus dem normalen Leben der Toten sehe, nicht bei einer Verstorbenen.

Was war das Ekligste, das du als Bestatter machen musstest?
Einen Verstorbenen vom Klo runterholen, der gekackt hat. Ich kann mit einem faulenden Körper leben, aber bei so was bin ich raus. Das war ein Mann, etwa 50, dicker Typ, der hatte auf dem Klo einen Herzinfarkt. Ich glaube, er lebte allein, weil er schon ein paar Tage zu Hause auf dem Klo saß. Wir haben ihn fast nicht runterbekommen. Das war echt meine Grenze.

Der schlimmste Tote war aber einer mit einem abgetrennten Kopf. Selbstmord durch eine S-Bahn. Der Körper war in drei Teile geschnitten. Wurmbefall ist fast noch schlimmer. Das sind Leute, die länger draußen gelegen haben, zum Beispiel im Wald.


Auch bei VICE: Fake-Beerdigungen in Südkorea


Du hast jeden Tag mit dem Tod zu tun. Wie denkst du über Suizid?
Ich habe Angst vor dem Sterben. Dafür finde ich das Leben viel zu geil. Ich will 150 Jahre alt werden. Auch wenn ich mich jeden Tag mit Toten beschäftige, geht diese Angst nicht weg. Im Gegenteil: Wenn ich Tote sehe, denke ich, dass ich genau das nicht sein will. Das bedeutet nicht, dass ich meinen Beruf nicht mag. Es ist ähnlich wie bei Ärzten, die ja eine hohe Suizidrate haben, weil sie wie Bestatter wissen, wie viel Leid die letzte Phase einer Krankheit bringen kann. Deshalb finde ich auch Sterbehilfe gut. Wenn jemand sagt, dass er nicht mehr kann, dann soll er gehen dürfen.

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Isst du dich auf Trauerfeiern richtig satt?
Wenn ich da bin und es lecker ist: Auf jeden Fall. Aber es ist halt einfach selten lecker. Letztens gab es Stullen mit einer leckeren Kürbiscreme drauf. Es gab auch einmal Blumenkohl-Trüffel-Suppe, die war wirklich sehr gut. Aber meistens habe ich gar nicht die Zeit, um mitzuessen. Ich halte mich eher zurück. Selbst wenn ich einen engen Draht zur Familie habe, ist das für viele andere sehr komisch. Das ist ja auch der Moment, wo die sich entspannen sollen.

Was war die skurrilste Beerdigung, auf der du je warst?
Ein hochrangiges Militärmitglied hat im Alter seine Homosexualität entdeckt und lag dann in einem lila Samtanzug im Sarg. Fantastisch geschnitten. Ich glaube, er lebte nicht offen schwul, aber das war sein Mittelfinger ans System. Draußen wurde mit allen militärischen Ehren von ihm Abschied genommen. Das war so absurd.

Wie oft spielst du Mitgefühl nur vor?
Gar nicht. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich habe auch noch nie "Mein Beileid" gesagt. So etwas finde ich geheuchelt, weil ich den verstorbenen Menschen nicht kenne. Klar bin ich empathisch und reagiere mit Feingefühl. Aber mein Job ist es, den Menschen zu helfen. Ich rede mit den Hinterbliebenen über alles, frage sie, wie es ihnen wirklich geht. Aber ich werde keine Phrasen dreschen.

Hast du dich schon mal geweigert, jemanden zu bestatten?
Ja, einen deutschen Promi. Die Person hatte ein Kind und ich hatte das Gefühl, dass es bei dieser Bestattung nur um die Außenwahrnehmung ging und nicht darum, wie das Kind damit klarkam. Ich habe mich nicht geweigert, aber nach einem Gespräch mit den Angehörigen habe ich sie dazu gebracht, selbst zu merken, dass sie bei uns nicht richtig sind. Ich verstehe Inszenierung, aber da muss die Basis stimmen. Wenn sie sich erst um das Kind gekümmert hätten und dann um die Inszenierung, hätte ich das verstanden. Aber wenn es nur ums Zurschaustellen geht, ist das nicht so meins.

Warst du schon mal betrunken auf einer Trauerfeier?
Ja. Ich war am Vorabend aus und alles hat sich anders entwickelt als gedacht. Feiern gehen ist ja auch legitim, finde ich. Am nächsten Tag war ich so verkatert, dass ich nicht mehr Auto fahren durfte. Ich hatte nur eine Stunde Schlaf und war so betrunken, dass ich auf dem Friedhof kotzen musste. Außer meinen Kollegen hat es aber keiner gesehen. Die Familie war in der Kapelle und ich bin dann kurz raus. Ich hab auch nicht Bescheid gesagt, weil ich dazu nicht mehr imstande war.

Hast du schon mal jemanden aus deiner Familie bestattet?
Ja, meinen Opa. Das war heftig. Ich hätte gedacht, dass ich besser darauf vorbereitet wäre. Man stellt sich ja im Kopf schon die Bilder vor. Ich habe ihn aus dem Krankenhaus abgeholt, da war ich gerade zwei Jahre Bestatter. Es war aber geplant, dass ich ihn beerdigen werde. Wer sonst hätte es tun sollen? Ich könnte nicht damit leben, wenn es jemand anderes übernommen hätte. Es ist eine Aufgabe, der man sich stellen muss. Das Schwierige daran ist, die eigenen Familienmitglieder als Angehörige vor sich zu haben. Nächstes Mal würde ich den Fall wieder annehmen, damit er bei uns in der Firma ist, würde aber wahrscheinlich meine Kollegen bitten, dass sie ihn betreuen.

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