Der neue Schweizer Klimabericht liest sich wie eine Sci-Fi-Apokalypse
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Der neue Schweizer Klimabericht liest sich wie eine Sci-Fi-Apokalypse

Wasserknappheit, Hitzetote und einstürzende Bergbahnen: 75 Wissenschaftler zeichnen in einem interdisziplinären Forschungspapier eine düstere Zukunft für die Schweiz.

Titelbild von gravitat-OFF | Flickr | CC BY 2.0 Klimawandel: Für viele ein Phänomen, das in erster Linie Eisbären in der Arktis, Fischerdörfchen in Bangladesch oder Menschen mit Achselhaaren betrifft. Eine neue Klimastudie von den Akademien der Wissenschaften Schweiz zeigt jedoch: Die Klimaerwärmung ist im Alpenraum rund doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt und wird in der Schweiz einschneidende Folgen haben—für den Menschen sowie für seine Umwelt.

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Pünktlich zur Eröffnung der Weltklimakonferenz in Marrakesch haben 75 Klimaexperten eine umfassende Studie zu den Ursachen und Folgen der Klimaerwärmung in der Schweiz veröffentlicht. Zudem nennt das Forschernetzwerk wissenschaftlich fundierte Handlungsmöglichkeiten, um der Klimaerwärmung Einhalt zu gebieten und präsentiert Alternativen, um Infrastrukturen, Städte und Agrarwirtschaften an die bisherige Erwärmung anzupassen und Schäden an Mensch und Umwelt zu minimieren.

Seit die Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts ins Rollen kam und Verbrennungsmotoren als günstige Energielieferanten weltweit Einzug in Fabriken, Haushalte und Fortbewegungsmittel hielten, hat sich das Klima im weltweiten Mittel um 0.85 Grad erwärmt. In der Schweiz betrug der Anstieg im selben Zeitraum jedoch satte 1.8 Grad. Das Ziel des seit Freitag in Kraft getretenen Pariser Klimaabkommens, die Klimaerwärmung seit des Messbeginns 1864 unter 2 Grad zu halten, scheint für die Schweiz also schon bald ausser Reichweite. Die Hauptursachen für die Erwärmung sind gemäss der Studie "die Nutzung fossiler Energieträger, die Zementproduktion und Landnutzungsänderungen wie die Entwaldung sowie der damit verknüpfte Ausstoss von CO2 und weiteren Treibhausgasen."

Gewisse Menschen mögen die Klimaerwärmung für eine Erfindung der Chinesen halten, doch die wissenschaftliche Gemeinschaft ist sich bis auf eine Handvoll Forscher schon lange einig, dass sie real und menschengemacht ist.

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Gletscherschmelze führt zu Hitzesommer

Die Schweiz verfügt mit ihren zahlreichen Gletschern über gigantische Wasserspeicher in den Bergen. Dr. Christian Huggel ist einer der Autoren der Studie und Forscher am Geographischen Institut der Universität Zürich. Er geht davon aus, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts der grösste Teil der Schweizer Gletscher verschwinden wird.

Um die Gletscherschmelze einzudämmen, werden bereits heute Gletscher wie der Rhonegletscher im Sommer grossflächig mit weissen Leinentüchern abgedeckt. Dadurch werden die wärmenden Sonnenstrahlen reflektiert. Da die in den Bergen gespeicherten Eismassen auch das Flachland abkühlen, wird es gemäss Huggel im Zuge der Gletscherschmelze mehr und mehr Hitzesommer geben, was vor allem in den tiefer gelegenen Städten zu Problemen führen könnte. Im Rekordsommer von 2003 gab es schweizweit rund 1.000 Hitzetote.

Zudem wird es gemäss Huggel in heissen Sommern vermehrt auch Dürrephasen geben. Bereits heute besteht in besonders trockenen Sommern der grösste Teil des Zuflusses aus Gletscherschmelzwasser. Wasser gab es in der Schweiz bisher immer im Überfluss. Bei zunehmender Knappheit wird das Wasser zwischenzeitlich jedoch rationiert und die Verteilung zwischen den Kantonen und Gemeinden politisch geregelt werden müssen.

Vermehrt auftretende Naturkatastrophen

In anderen Jahreszeiten wird hingegen ein plötzlicher Wasserüberfluss zum Problem: Naturkatastrophen wie Hochwasser werden gemäss Rolf Weingartner von der Universität Bern aufgrund der veränderten meteorologischen Bedingungen im 21. Jahrhundert häufiger auftreten und in den Städten zu riesigen Schäden führen. Weingartner rechnet damit, dass sich die Hochwassersaison durch die höheren Temperaturen verlängern und die Niederschlagsmenge zunehmen wird.

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Die Klimaerwärmung wird neben dem Wasserhaushalt auch die Landschaft des Hochgebirges verändern. Huggel und seine Kollegen rechnen damit, dass der Permafrostboden im Hochgebirge bis Ende des Jahrhunderts auftauen wird, was das Gestein destabilisieren und vermehrt zu Gerölllawinen und Felsstürzen führen dürfte. Bergbahnen, deren Masten im Permafrostboden verankert sind, werden wegen der Erdrutschgefahr wohl komplett neu errichtet werden müssen.

Steigende Kosten für Gemeinden und Skigebiete

Gemäss Huggel stellen die Gerölllawinen nicht nur eine Gefahr für die anliegenden Bergdörfer dar, sondern auch für die ganze umliegende Region, die von den alpinen Wasserkraftwerken abhängig ist. Stauseen können von erodierenden Sedimenten zugeschüttet und die Turbinen der Kraftwerke dadurch beschädigt werden. Dass dies zu erheblichen Kosten führen kann, zeigen die Erdrutsche in Guttannen (BE), welche zwischen 2009 und 2011 mehrmals eine internationale Gaspipeline sowie die Kantonsstrasse lahmlegten. Das Umlegen der Pipeline sowie das Freischaufeln der Kantonsstrasse bereitete der kleinen Berggemeinde Kosten in Millionenhöhe. Zudem darf man davon ausgehen, dass auch die Skigebiete finanziell leiden werden, weil sich die Schneesaison um Wochen verkürzen und die Schneefallgrenze um mehrere hundert Meter steigen dürfte. Tiefer gelegene Skigebiete werden wegen Schneemangel wohl komplett schliessen müssen, da ab einer gewissen Höhe auch Schneekanonen nichts mehr ausrichten können.

Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen

Der Mensch schaufelt mit seiner selbstverursachten Klimaerwärmung nicht nur sein eigenes Grab, sondern bedroht damit auch die Flora und die Fauna. So werden sich gemäss Markus Fischer von der Universität Bern durch die klimatischen Veränderungen die jahreszeitlichen Rhythmen der Tier- und Pflanzenwelt verschieben, was das Zusammenspiel der Arten stören wird. Fischer hält es für wahrscheinlich, dass in naher Zukunft die Aktivität der Bestäuber nicht mehr mit der Blütezeit der Pflanzen zusammenfallen wird, was die Reproduktion der Arten sowie die Biodiversität vermindern würde.

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Zudem werden sich Tiere und Pflanzen, die sich wegen der Trockenheit oder der Wärme in die Berge zurückziehen, aufgrund des dichter werdenden Lebensraums einem härteren Konkurrenzkampf ausgesetzt sehen, was nicht absehbare Folgen haben wird.

Einige Arten könnten bis Ende des Jahrhunderts auch ganz aussterben, so zum Beispiel die Fichte, einer der wichtigsten Bäume in der Schweizer Waldwirtschaft. "Von einer Fichte kann ein Waldbesitzer 80 Prozent des Volumens an die Sägerei verkaufen. Bei einem Laubbaum ist vielleicht ein Drittel 'sägefähiges' Holz, der Rest wird zu billigen Holzschnitzeln verarbeitet", erklärt der Forstforscher Peter Brang gegenüber der Zeit.

Zudem werden die wärmeren Bedingungen auch den Anbau von Kulturen wie Winterweizen und Kartoffeln erschweren, währenddem sie die Reproduktion von Schädlingen wie dem Apfelwickler begünstigt. Wie Jürg Fuhrer von Agroscope in der Studie feststellt, werden sich viele Schädlinge gegen Ende des 21. Jahrhunderts stärker vermehren.

Traum von einer CO2-freien Welt

Angesichts der klimabedingten Herausforderungen, mit der die Menschheit im weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts konfrontiert sein wird, sollte Klimapolitik eine zentrale Rolle in der globalen Politik spielen. Die Studie kommt dann auch zum Schluss: "Jegliche Stabilisierung der globalen Temperatur—unabhängig von der angestrebten maximalen Erwärmung—kann nur erfolgen, wenn letztlich die Netto-CO2-Emissionen global auf Null reduziert werden. Folglich ist ein kompletter Ersatz aller fossiler Energieträger in allen Sektoren nötig (Elektrizität, Verkehr, Industrie, Infrastruktur und Gebäude)."

Um dieses ambitionierte Ziel auf globaler Ebene zu erreichen, braucht es jedoch ein kollektives Handeln seitens der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Und ein kollektives Handeln setzt ein kollektives Bewusstsein voraus. Wie schwierig es ist, alle Akteure auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, haben die uferlosen Diskussionen an den zahlreichen Klimagipfeln gezeigt, die in der Vergangenheit zu nichts mehr als blossen Lippenbekenntnissen geführt haben. Dass die USA—das Land mit dem höchsten Energieverbrauch pro Kopf—nun einen Klimaerwärmungsleugner als Präsidenten gewählt hat, wird das Problem auch nicht einfacher machen.

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Wir oder die Natur

Ein Makel des Menschen ist, dass er ein bequemes, reaktionäres Wesen mit einem ausgesprochen kurzfristigen Denkhorizont ist. Er nimmt gerne eine langfristige Strafe in Kauf, wenn er dafür eine kurzfristige Belohnung erhält. Das war im Dschungel vielleicht noch eine gute Überlebensstrategie, aber spätestens seit der Erfindung des Atomreaktors stellt diese Verhaltensweise eine echte Gefahr für das Leben auf diesem Planeten dar.

Die Autoren nennen in der Studie deshalb einige konkrete Methoden, wie du als Normalbürger einen Beitrag zur Minderung der Klimaerwärmung beitragen kannst:

  • Mässige deinen Gesamtkonsum, repariere Gebrauchsgegenstände
  • Verschwende weniger Nahrungsmittel
  • Ernähre dich möglichst fleischarm
  • Wähle Parteien, die Vorschriften zum CO2-Ausstoss fordern.
  • Isoliere das Haus, in dem du wohnst
  • Ersetze deine Öl- und Gasheizungen durch Solaranlagen
  • Achte beim Kauf elektrischer Geräte auf den Minergie-Standard

Es wird nicht einfach werden, die apokalyptische Zukunft abzuwenden, die die Forscher in ihrer Studie für die Schweiz zeichnen. Zu lange schon haben wir die Konsequenzen unseres Handelns ignoriert. Schlussendlich ist aber jeder selber für seinen eigenen Beitrag verantwortlich. Klar ist: Wenn wir unseren Lebensstil nicht von alleine ändern, wird es die Natur für uns tun.

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