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Gottfried Helnwein über Doktorspielchen, Arnold Schwarzenegger und Helmut Zilk

Der Mann mit Sonnenbrille und Bandana klärt euch darüber auf, was der Beistrich ist und warum Kokain Scheiße ist.

Weil Gottfried Helnwein neben Keith Richards und Captain Jack Sparrow der einzige Typ ist, der auch 2013 mit Bandana und Sonnenbrille noch cool ausschaut und zufälliger Weise die Albertina dem Maler eine allumfassende Retrospektive widmet, haben wir ein seitenlanges Interviews mit dem Künstler geführt, das so lange ist, dass wir es auf ZWEI Blogposts aufteilen mussten, weil sonst das Internet kaputt gegangen wäre. Im ersten Teil gab's Fotos aus seinem Atelier in L.A. und Helnweins Haltung zu Terrorismus, Krise, die EU und sein Lobgesang auf die kulturelle Revolution der 60er, also lest das gefälligst zuerst!
Im zweiten Teil werdet ihr jetzt unter anderem darüber aufgeklärt, was der Beistrich ist und was man früher (als noch alles besser war) in Wien so alles erleben konnte. Außerdem habt ihr die Möglichkeit eine Auswahl Helnweins Werken bestaunen, die auch in der Albertina zu sehen sein werden.

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Abgesehen vom Titelporträt sind alle Bilder von Gottfried Helnwein.

Ich würde noch einmal gerne über Ihre Bilder reden. Als Sie zu malen begannen, haben Sie im grauen Nachkriegswien gelebt. Jetzt verbringen Sie aber die Hälfte des Jahres im bunten L.A. und die andere im grünen Irland. Trotzdem ist das Thema dasselbe geblieben?

Ja, das stimmt. Initialzündung für meine Bilder war der Holocaust. Ich habe viel recherchiert und bin dann auch auf andere Schrecken der Geschichte gestoßen. Zum Beispiel den Vietnamkrieg, der in Wahrheit viel brutaler war als das, was man in den Medien vorgesetzt bekommen hat. Ich hab schließlich festgestellt, dass sich Gewalt, Grausamkeit, Sadismus und Unterdrückung durch die Menschheitsgeschichte ziehen, und aus irgendeinem Grund hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich war richtiggehend besessen und wollte immer mehr darüber wissen und vor allem die Ursachen verstehen. Die meisten Menschen haben gesunde Verdrängungsmechanismen, die ein Weiterleben möglich machen. Mir fehlt dieser Mechanismus. Der einzige Weg für mich, mit diesem Wissen fertigzuwerden, war, es zu malen.

The Meeting, 1996 aus der Serie "Night", mixed media (Öl und Acryl auf Leinwand), Holger Timm, Berlin © VBK, Wien, 2013

Anfangs dachte ich, L.A. sei die Antithese zu den religiösen Hochburgen Österreich und Irland, dann habe ich aber bemerkt, dass L.A. einfach nur weniger katholisch, jedoch genauso verrückt nach Religion ist.

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Hier gibt es alle Religionen. In L.A. und generell in Amerika ist es eigentlich völlig egal, woran jemand glaubt oder nicht. Man kann alles sein, worauf man Lust hat. Hier in L.A. existieren tausend verschiedene Religionen nebeneinander und es gibt keinerlei Konflikte deswegen. Es gibt chassidische Juden, die ausschauen, als würden sie im 18. Jahrhundert leben, Black Muslims und Zeugen Jehovas. Aber das ist den Leuten hier so egal wie nur irgendwas. Das beweist, dass Menschen mit verschiedenen Glaubenssystemen friedlich zusammen oder nebeneinander leben können, solange sich niemand von außen einmischt und sie manipuliert. Deshalb denke ich, dass bei all diesen angeblichen Religionskonflikten der Glaube nur ein Vorwand ist und in Wahrheit ganz andere Gründe dahinterstecken. In Wirklichkeit sind es immer materielle, imperialistische Interessen und Religion wird nur benutzt, um Emotionen aufzustacheln.

Peinlich, 1971; Aquarell, Buntstift, Bleistift und Tusche auf Karton; Christian Baha, Zürich © VBK, Wien, 2013

Aber der Katholizismus war für Sie schon sehr lange ein Thema. Ganz klar, Sie sind in Österreich aufgewachsen. Selbst ich war Ministrant und hab als Kind das Alte Testament vorgelesen bekommen, obwohl ich fast 40 Jahre nach Ihnen geboren wurde.

Sie waren auch Ministrant? Ich war von frühester Kindheit an fest im Griff der katholischen Kirche. Als Kind habe ich viel Zeit bei meinen Großeltern verbracht, und die Nachbarn meines Großvaters hatten eine Tochter von unglaublicher Schönheit. Man hat immer gemunkelt, dass der Vater Zigeuner sei, und ich denke, dass sie von ihm ihr wunderbares Aussehen geerbt hat. Ich war noch ganz bieder und keusch, also im Prä-Ministranten-Alter, als sie mich in die Künste des Doktorspiels einweihte. Beeindruckt von ihren Fachkenntnissen, habe ich mich sofort in sie verliebt. Leider blieben unsere Aktivitäten nicht lange im Verborgenen und so kam es, dass meine Eltern davon erfuhren. Das Drama war groß, da im Katholizismus das einzige wirkliche Übel dieser Welt die Unkeuschheit ist. Sofort ist Panik ausgebrochen, denn die Vorstellung, dass ich eventuell mit dieser Schuld sterben könnte und damit der ewigen Verdammnis ausgeliefert wäre, war für meine Eltern unerträglich. Also musste ich schnell zur Beichte. Meine Eltern haben dann bei der Erzdiözese Wien eine Ausnahmegenehmigung für die Frühkommunion erwirkt und ich musste in den Seelsorgeunterricht.

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Aber waren Sie auch richtig gläubig?

Als Kleinkind habe ich natürlich meinen Eltern geglaubt, aber ich bin sehr bald draufgekommen, dass das meiste nicht stimmte, dass ich von ihnen und allen anderen Autoritäten angelogen wurde. Das war ein Vertrauensbruch. Der katholischen Kirche ging es in erster Linie immer um den Machterhalt. In diesem Sinne wurde über Jahrhunderte alles zerstört und unterdrückt, was einen Hinweis darauf geben konnte, dass vor dem Jahr 0 auch schon irgendwas war. Von der griechischen Mythologie oder den Philosophen wusste hier lange Zeit niemand etwas. Erst über den Umweg arabischer Abschriften haben die Leute sehr viel später wieder von Aristoteles und dieser unglaublichen Welt an Wissen erfahren.

In the Heat of the Night, 2000; Öl und Acryl auf Leinwand; Privatsammlung © VBK, 2013

Obwohl das Christentum eigentlich aus der platonischen Lehre entstanden ist.

Das Christentum ist aus vielen Lehren entstanden. Es ist ein Konglomerat, eine völlig synthetische Religion. Ein genialer Schachzug. Man hat wirklich alle Kulte der Vergangenheit, die irgendeine Art von Gravitation und Magie hatten, im Christentum aufgehen lassen. Zum Beispiel den Mithras-Kult, den Sol-Invictus-Kult und den Bacchus-Kult, der dafür verantwortlich ist, dass wir das Fleisch Gottes essen. Es geht bis zum Gilgamesch-Epos und den Sumerern zurück, von denen die Urform des Alten Testaments stammt. Das Christentum wurde zu einer Art Superreligion, die keine andere Religion neben sich duldete und erstmals alles rundherum vernichtet hat, sodass niemand mehr die wahren Ursprünge feststellen konnte. Viele lehnen heute die christlichen Lehren als Märchen ab und werden Atheisten. Ich sehe die Sache nicht so krass. Ich habe nichts gegen Märchen, ganz im Gegenteil, ich finde, dass Märchen der sogenannten Realität meistens überlegen sind. Ist er wirklich übers Wasser gegangen? Who knows? Also ich habe kein Problem, wenn jemand übers Wasser gehen kann.

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Ein guter Abschluss für das Katholizismus-Thema. Ich habgelesen, Sie haben 1985 ein tausend Jahre altes Schloss bezogen. Waren Sie damals schon so erfolgreich?

Nein, es war weniger das Geld, es war vielmehr der dringende Wunsch, in einem Schloss zu wohnen. Schon als Kind wollte ich immer in einem Schloss wohnen. Im Nachkriegswien war mir alles fremd, zu klein oder zu nieder, und ich habe immer gedacht: „Wo ist mein Schloss?“ Schlösser sind auf jeden Fall sehr praktisch, wenn man viele Kinder und Freunde hat.

Selbstportät, 1987; Polaroid; Privatsammlung © VBK, Wien, 2013

Obwohl Sie nicht nur Freunde hatten … Als Sie 1988 das Plakat für die Lulu-Inszenierung von Peter Zadek in Hamburg gestalteten, haben Sie Ihre erste Anzeige kassiert, oder?

Das stimmt.

Und einen neuen Bewunderer gewonnen. Der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk hat Ihnen persönlich zum Plakat gratuliert.

Damals gab es in Hamburg einen Riesentumult. Der Vizebürgermeister und die Frauenbeauftragte, die Presse—alle sind in Panik geraten und waren der Meinung, dass ich mit meinem Bild „die Grenzen der Kunst überschritten“ hätte. Ich wusste gar nicht, dass Kunst irgendwelche Grenzen hat. Aber der Zilk hat mir damals mit den Worten „Ich weiß zwar um Ihr gestörtes Verhältnis zu unserer Stadt, aber vielleicht verzeihen Sie dem Bürgermeister, dass er Sie und Ihre Arbeit dennoch sehr schätzt.“ gratuliert.

Die ganze Aufregung, weil man eine nackte Muschi mit Schambehaarung gesehen hat?

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Ich glaube, dass es vielleicht eher damit zu tun hat, dass der Mann so winzig ist und dass er genau auf Augenhöhe mit der übergroßen Vagina steht und erstaunt darauf starrt. Aber es ist schwer zu sagen, was der genaue Auslöser war.

Selbstporträt als Untermensch I, 1986; Fotografie; Privatsammlung © VBK, Wien, 2013

In Amerika hatten Sie auch eine gute Beziehung zu Ihrem obersten Landesvertreter. Wo haben Sie Arnold Schwarzenegger eigentlich kennengelernt?

Ich glaube, Anfang der 80er Jahre hat uns in L.A. irgendjemand vorgestellt.

Ich finde es witzig, wie Arnold in Österreich einerseits hofiert wird, weil er so viel Erfolg hat, aber andererseits nicht für ernst genommen wird, weil er noch immer nur der Bodybuilder ist. Aber als Figur des Mainstreams hätte ich ihn niemals mit Ihnen in Verbindung gebracht.

Damals galt Bodybuilding als das Letzte. Man dachte, das sei nur für Zuhälter und Schwule. Es hat geheißen, der hätte kein Hirn, nur Muskelmasse. Aber ich habe schon sehr früh gewusst, dass Arnold eine Ausnahmeerscheinung ist. Arnold hat damals schon all seinen Freunden erzählt: „Eines Tages gehe ich dann nach Hollywood und werde so berühmt wie Clint Eastwood und Charles Bronson.“ Zu diesem Zeitpunkt hat er weder Hochdeutsch noch ein Wort Englisch gesprochen und schon gar keine Ahnung von Schauspielerei gehabt. Ihm war es auch völlig egal, dass jeder über Bodybuilding gelacht hat—er wusste, dass er die ganze Welt von seiner Leidenschaft überzeugen wird. Und er hat bisher immer recht behalten. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so ein unbegrenztes Selbstbewusstsein hat. Wenn er sich ein Ziel setzt, dann erreicht er das auch. Es ist, wie wenn ein Gigant aus der griechischen Mythologie direkt hineinstapft in unsere kleine, komplizierte Welt.

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Ein Herkules also.

Richtig. Außerdem ist er privat unglaublich lustig, witzig und sehr loyal und großzügig. Einmal hat er mich als Governor in sein Office im Kapitol eingeladen, wo ich einen Tag verbracht habe und ihm beim Regieren zuschauen konnte. Es war beeindruckend zu sehen, wie herzlich und respektvoll er mit den Leuten umgegangen ist. Ein Mitarbeiter hat mir gesagt: „Ich habe unter mehreren Governors gearbeitet, keiner hat überhaupt von meiner Existenz gewusst, aber wenn Arnold morgens kommt, umarmt er mich, grüßt mich mit meinem Vornamen, lobt meinen neuen Anzug und fragt, ob es meiner Frau besser geht. Ich weiß gar nicht, woher er die Information hat, dass meine Frau krank war.”

Gleichzeitig gilt er als ein starker Verfechter der Todesstrafe. Haben Sie darüber einmal mit ihm diskutiert?

Nein, dazu ist es nie gekommen. Ich bin auch ein Gegner der Todesstrafe. Aber man muss sagen, in Amerika ist das anders als in Europa. Hier gilt immer noch das calvinistische Prinzip der Vergeltung.

Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Ja, dieses Prinzip ist hier total verwurzelt. Das ist noch der Geist des Wilden Westens.

Epiphanie III (Darstellung im Tempel), 1989; Öl und Acryl auf Leinwand; Collection Barry Friedman, New York © VBK, Wien, 2013

Und mit dem Öffentlichwerden der Affäre ist jede Chance, von Schwarzenegger auch einmal ein Porträt als Präsident der Vereinigten Staaten zu malen, verschwunden.

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Das hat er mittlerweile längst überwunden. Ich glaube, das war die erste große Krise für ihn. Als die gesamte Presse über ihn hergefallen ist, habe ich ihn angerufen und ihm mein Atelier als Asyl angeboten. Inzwischen hat er ja wieder mit Filmemachen begonnen, und er betreibt weiterhin seine weltweite Kampagne für Green Energy. Arnold kann sich immer wieder neu erfinden.

Hierzulande gab es auch eine Verbindung zur Politik, als Franz Morak im Jahr 2000 Staatssekretär für Kunst und Medien wurde. Hat es Sie schockiert, dass er Teil der Regierungskoalition mit der Haider-FPÖ war?

Ich hab das nicht nachvollziehen können, da ich ihn als wilden, aufmüpfigen, rebellischen Typen kannte. Ich fand Morak immer sehr intelligent und lustig—und er ist ein hervorragender Schauspieler! Politisch vertreten wir völlig unterschiedliche Positionen. Aber ich finde ihn nach wie vor sympathisch. Jemand muss in meiner Vorstellung auch das Recht haben, eine völlig gegenteilige Meinung zu vertreten oder sich zu irren.

The Disasters of War 28, 2007; Öl und Acryl auf Leinwand; Privatsammlung © VBK, Wien, 2013

Witzig fand ich auch, dass Sie 2006 zum Ehrenbotschafter Niederösterreichs ernannt worden sind und sogar im Personalkomitee von Erwin Pröll auftauchen. Sympathisieren Sie mit der ÖVP?

Ich hab Erwin Pröll nicht als ÖVP-Politiker, sondern als Förderer der Künste kennengelernt, der mich bei der Donald Duck- Ausstellung in Niederösterreich unterstützt hat und der viel für die Kultur seines Landes gemacht hat. Er hat Museen für Rainer, Nitsch und andere Künstler errichtet. Ich habe also einen Mann erlebt, der offen ist und nicht nur parteipolitisch denkt. Anfang der 80er Jahre habe ich schon einmal die Jovialität österreichischer Politiker erlebt. Ich war mit Deix auf Einladung von Fred Sinowatz, Heinz Fischer und Charly Blecha essen und vor allem trinken. Wir haben gesoffen wie die Löcher und der Sinowatz war schon ganz violett im Gesicht, aber geschwankt hat der trotzdem nicht. Dann sah er grinsend vor sich hin auf sein Glas und sagte: „Regieren ist schön.“ Als wir dann heimgegangen sind, haben wir auf der Straße noch einen ordentlichen Wirbel erzeugt, geschrien und getobt. Einer wollt uns noch mit den Worten „Seids ruhig, sonst kommt die Polizei!“ beruhigen, aber der Charly Blecha hat nur geschrien: „Die soll’n nur kumma, de Beidln. I bin erna Chef!“

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Hahaha. Eine großartige Geschichte.

Ein anderes Mal hatte der Deix Geburtstag und alle waren zur Feier gekommen: Vranitzky, Blecha, viele Reporter und natürlich das Fernsehen. Es war ein irrsinniges Getümmel, als sich ein Reporter mit seinem Mikrofon zu dem Jubilar durchkämpfte und fragte „Herr Deix, sind Sie stolz auf sich?“ Und Deix antwortete: „Ich bin stolz darauf, dass ich der Entdecker des Beistrichs bin!“ … Sie wissen ja, was der Beistrich ist, oder?

Ich habe keine Ahnung.

Der Beistrich ist die Bremsspur in der Unterhose, wie die Deutschen sagen würden, welche der Deix immer mit Vorliebe gezeichnet hat. Zumpferln und Beistriche. Also Deix antwortet dem Reporter: „Ich bin stolz darauf, dass ich der Entdecker des Beistrichs bin!“, worauf der Charly Blecha schreit „Es lebe der Beistrich!“ und Deix ihm vor versammelter Festgemeinde zuruft: „Charly, sei ehrlich, host du an Beistrich?“—„Jawoll! Und ich bin stolz auf meinen Beistrich!“ Das ist wirklich nur in Wien möglich! Dafür liebe ich diese Stadt! So etwas wäre in jedem anderen Land undenkbar. In Deutschland würde Gerhard Richter niemals vor versammelter Presse die Merkel fragen „Haste’ne Bremsspur in der Unterhose?“, worauf die Merkel antworten würde: „Jawohl! Und ich bin stolz darauf.“ Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.

Selbstporträt (BLACKOUT), 1982; Aquarell auf Karton; Christian Baha, Zürich © VBK, Wien, 2013

Aber ich habe die Befürchtung, dass es in der heutigen Politik auch nicht mehr möglich ist. Mittlerweile sind auch in Österreich die Spin-Doctors angekommen.

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Das stimmt, diese Zeiten sind wahrscheinlich vorbei. Deshalb hüte ich meine Erinnerungen an das anarchistische, wilde Wien auch wie einen Schatz. Ich hab gerade noch das Ende miterlebt. Auch als der Qualtinger einmal im Hawelka so angesoffen war, dass er einfach umgefallen ist und nicht mehr aufstehen konnte. Das ist immer wieder passiert. Aber dann ist der Sokol gekommen, auch völlig fett, wollte dem Qualtinger aufhelfen, fällt aber über ihn, speibt sich an und ist auch einfach liegen geblieben. Irgendwann lagen dann drei Leute übereinander, angspiebn und anbruzt und alles lacht. Das war die Künstlerwelt damals. Es herrschte eine Sehnsucht nach Ekstase und Rundumschlag. Der Wiener Aktionismus war ein Phänomen dieser Zeit.

Damals hat doch auch der mit Scheiße und Urin eingeschmierte Brus auf den Tisch onaniert.

Genau. Ich hab damals viele herbe Sachen erlebt. Vor allem mit dem Deix hab ich die ärgsten und peinlichsten Situationen meines Lebens durchlitten. Vieles würde man mir nicht glauben, wenn ich es heute erzählen würde.

Das heißt, es war auch sehr befreiend, aus Wien wegzugehen?

Aus vielerlei Gründen! Wien war damals ein so enges Loch, es war grauenhaft. Damals wollten eigentlich alle weg, aber Wien hat eine unheimliche Gravitation, die einen nicht auslässt.

Ich würd mich gern noch ein bisschen über Donald unterhalten. Haben Sie eine Lieblingsgeschichte?

Sie haben die Barks Donald-Geschichten gelesen?

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Ja, einige.

Ich kenne sie alle. Ich habe sie tausende Male gelesen. Donald ist mein Heiland. Deshalb hab ich auch so viele Lieblingsgeschichten. Eine ist „Only a poor old man“, in der Dagobert sein Geld aus seinem Geldspeicher schmuggelt und in einem Stausee versteckt.

Pink Mouse, 2011; Öl und Acryl auf Leinwand; Sammlung Christian Baha © VBK, Wien, 2013

Nachdem ihm die Panzerknacker Supertermiten unterjubeln.

„Weihnachten in Kummersdorf“ ist auch fantastisch. Die Weihnachtsgeschichten sind die besten. Es gibt eine Barks Library, die alle Geschichten umfasst, die er jemals geschrieben hat. Diese Sammlung hab ich überall stehen. Zweimal in Irland, in jedem Stockwerk eine, und natürlich in meinem Studio und meinem Loft in Los Angeles. Ich kann immer sofort zuschlagen. Außerdem sind sie immer als Lehr- und Anschauungsmaterial für meine Kinder und Enkelkinder zur Hand.

Lesen Sie lieber im Original oder mögen Sie auch die Übersetzungen von Dr. Erika Fuchs?

Die sind manchmal fast besser als das Original! So sehr ich Barks verehre, Fuchs hat es ein paar Mal geschafft, das Ganze zu überhöhen und sogar noch besser zu machen. Vor allem ihre altmodische Sprache, die alles noch seltsamer, noch mystischer und eigenartiger gemacht hat.

Und dann diese vielen Alliterationen!

Ja! Sebastian Sandig, genannt der Wüstenwastel!

Ich hab den Eindruck, was Donald besonders auszeichnet, ist, dass er sich quasi nach jedem Fail wieder aufrappelt. Das ist für mich was sehr Amerikanisches. Der putzt sich ab und startet von Neuem, während man sich bei uns in alle Ewigkeiten schämt.

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Das ist richtig, das ist sehr amerikanisch. Auch dieses Leben in der Gegenwart, in dem kein Gedanke an das Gestern verschwendet wird. Das liegt vor allem daran, dass viele Einwanderer ihr altes Leben hinter sich lassen und im Land der unbegrenzten Möglichkeiten neu anfangen wollten. Alles wurde vergessen und der amerikanische Traum bildete die neue Erzählung.

In Ihrer Biographie ist mir aber kein wirklicher Rückschlag aufgefallen. Gab es keine dunklen Momente, kein Versagen?

Wenn Sie das so sehen, ist das gut. Für mich ist jeder Tag ein Kampf, und ich bin immer auf Widerstand gestoßen. Eine Existenz ohne Gegenwind kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Aber das ist vielleicht gut so, denn die größte Gefahr besteht für jeden Künstler darin, von der Spießergesellschaft umarmt zu werden. In Österreich bekommt ja jeder ab 50 einen Professorentitel, selbst ein Fußballer. Mir hat noch niemand einen solchen Titel angeboten, das halte ich für ein gutes Zeichen.

I Walk Alone, 2003; Öl und Acryl auf Leinwand; Daniel Lucas © VBK, Wien, 2013

Die Donald-Verehrung verbindet viele Künstler. Elfriede Jelinek hat auch einen Text über die schwierige Beziehung von A-Hörnchen und B-Hörnchen zu Donald für den Katalog zur Krems-Ausstellung verfasst.

Also den Text hat sie schon gehabt und mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Damals war sie unfähig zu schreiben, aber der Text war bereits perfekt. Donald war auch für sie ein wichtiges Ereignis ihrer Jugend. Auch H. C. Artmann und sogar Peter Handke und Günter Grass haben Donald, Dagobert und Tick, Trick und Track in ihre Literatur eingearbeitet.

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Literatur war aber generell ein großes Thema.

Literatur ist für mich noch immer ganz wichtig. Während ich male, höre ich immer Audiobooks—eine phantastische Erfindung. Ich kann mir jede Literatur, die mir wichtig erscheint, reinziehen.

Lesen Sie auch zeitgenössische Literatur?

Lese ich auch, Burroughs und Bukowski zum Beispiel. Ich arbeite mich in der Literaturgeschichte langsam vor. Ich habe mir alles von Thomas Mann angehört, russische, französische Literatur. Aber eher die Klassiker. Adalbert Stifter finde ich auch wirklich gut und aufregend. Der Nachsommer ist ein unglaubliches Meisterwerk. Es ist die einzige Erzählung, in der es keine Gegensätze gibt. Es geht einfach so dahin und es gibt in diesem Sinne auch keine Spannung.

Ich muss zugeben, davon habe ich noch nie gehört.

Während man das Buch liest, kann man auch nicht genau sagen, warum es gut ist. Aber auch Nietzsche hielt es für ein Meisterwerk.

Erwartung, 2000; Öl und Acryl; Privatsammlung © VBK, Wien, 2013

Sie haben auch Thomas Bernhard kennengelernt, oder?

Ich habe ihn auf seinem Vierkanthof besucht. Ich fand es faszinierend, wie er so in seiner Bergfestung saß und auf dieses Wien herabblickte, das er so abgrundtief hasste. Alle heiligen Zeiten fuhr er nach Wien, um „dort ein Hass-Bad zu nehmen“, wie er selbst sagte. Bernhard hat die Volksseele zum Kochen gebracht.

Was Ihnen ja auch des Öfteren gelungen ist.

Das war überhaupt nicht mein Plan. Ich war mir ursprünglich auch nicht sicher, ob sich irgendjemand für meine Aquarelle interessieren würde. Umso erstaunter war ich über die Heftigkeit der Reaktionen. Meine Ausstellungen wurden abgesagt, Bilder überklebt und sogar beschlagnahmt. Der Mödlinger Bürgermeister Stingl hat die Gendarmerie geschickt, weil er der Meinung war, ein Bild zeige einen „blutspeienden Penis“. Ich war völlig verblüfft, weil ich so etwas natürlich gar nicht gemalt habe. Ich wusste gar nicht, was er meinte. Aber dann wurde mir bewusst, dass es um die Darstellung einer Frau, die ein blutüberströmtes Kind am Schoß hatte, ging. Da wurde mir klar, dass es in Wirklichkeit die Bilder in den Köpfen der Leute sind, die ihnen ein Problem bereiten, nicht meine Malerei.

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Was schon sehr in die Nähe einer psychoanalytischen Fragestellung rückt. Wie stehen Sie zur Psychoanalyse?

Freud war ein Gigant. Sein Konzept des Unterbewussten halte ich für absolut richtig. Er hat damit große Erfolge erzielt. Auch seine Forschung zur Hysterie war bahnbrechend. Viele Frauen, die unter dem Krankheitsbild der Hysterie litten, waren als Kinder missbraucht worden. Leider ist die Psychiatrie heute ein gigantischer Wirtschaftszweig geworden, der von Pharmakonzernen vollkommen kontrolliert wird. Jedes Jahr werden neue Krankheitsbilder erfunden, um den Absatzmarkt für Psychopharmaka zu erweitern. Sogar Kinder und Babys werden heutzutage mit Psychodrogen vollgestopft.

Was aber nichts mit den Ideen Freuds zu tun hat.

Natürlich nicht. Es geht einzig und alleine um ein riesiges Geschäftsfeld, das aber sehr gefährlich ist. Die Selbstmordrate in den USA ist gigantisch, vor allem unter Menschen, die Psychopharmaka nehmen. Das wird in den Medien oft totgeschwiegen, aber es ist eine Tatsache. Unter den Side Effects ist immer ‚Selbstmordgefahr“ aufgelistet. Mittlerweile sterben viel mehr amerikanische Soldaten durch die eigene Hand als in Kriegshandlungen. Nimmt man die Anzahl der Freitode von Veteranen dazu, bläst sich fast jede Stunde einer das Hirn aus dem Kopf. Fast alle Soldaten nehmen Psychopharmaka, um den Wahnsinn des Krieges auszuhalten.

Andy Warhol, New York, 1983; Silbergelatine-Abzug; Privatsammlung © VBK, Wien, 2013

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Mit Mick Jagger und Muhammad Ali haben Sie Ikonen der 60er Popkultur gemalt. Sind Sie auch an der Gegenwart interessiert?

Diese Ikonen zu fotografieren, war eine Zeit lang ein Projekt von mir. Das Thema ist nicht tot, ich hab es nur beiseitegelegt. Ich will die Serie auch fortsetzten, aber es ist nicht leicht, heute solche charismatischen Persönlichkeiten zu finden. In den 60er Jahren herrschte ein Ausnahmezustand. Alles war wie elektrisiert. Jim Morrison, Hendrix, The Who, die Stones natürlich und Captain Beefheart und in der Literatur Bukowski, Burroughs—das waren alles authentische Künstler mit einer originären Aussage. Was in den 70ern und 80ern darauf folgte, war ein Trauerspiel. Ich glaube, das System hat verstanden, dass es einen Bedarf nach Kunst gibt, der sich auf Dauer nicht unterdrücken lässt, aber dass man Kunst sehr gut durch Entertainment ersetzen kann. Man hat es wie mit den Bienen gemacht: den Honig weggenommen und als Ersatz Zuckerwasser hingestellt. Was übrig bleibt, ist synthetisches Massenentertainment. Aber es hat funktioniert. Die Welt scheint damit zufrieden zu sein. Wenn ich mir die aktuelle Musikszene anschaue, mit Justin Bieber, Lady Gaga, Taylor Swift, so stehe ich vor einem Rätsel. Dass es aber nach unten keine Grenzen gibt, beweist „Gangnam Style“. Also ich tu mir im Augenblick ein bisschen schwer, Gesichter zu finden, die mich künstlerisch interessieren.

Sind heute nicht Hip Hop und Rap der authentische Ausdruck von Gegenkultur?

Ja, Hip Hop war authentisch. Aber auch diese Kunstform ist sofort kommerzialisiert worden. Die Macht der Kommerzindustrie ist gigantisch und umfließt alles Originäre wie eine Amöbe. Jede revolutionäre Kunstform wird heute nicht mehr bekämpft, sondern absorbiert und wirkungslos gemacht. Das passiert auch mit Hip Hop. All die rebellische Kraft, die dieser Kultur anfangs innewohnte, wurde sofort zum Mainstream gemacht. Das gilt auch für die Mode. Was früher Ghetto war, tragen jetzt auch die Milliardärstöchter aus Kuwait und Moskau: dieselben T-Shirts, dieselben Images und Aufschriften, dieselben Baseballkappen.

Righteous Man III, 1991; Mixed media, Öl und Acryl auf Leinwand; Christian Baha, Zürich © VBK, Wien, 2013

Haben Sie eigentlich jemals Drogen genommen?

Natürlich hab ich, so wie alle, damals Drogen genommen. Aber ich hab einen LSD-Trip erwischt, der mich fünf Jahre meines Lebens gekostet hat. Es war ein Absturz in die Hölle. Dann habe ich als Gegenmittel Valium genommen und wurde süchtig. Irgendwann habe ich dann beschlossen, radikal über Nacht mit allem aufzuhören. Seither hab ich nie wieder in irgendeiner Form Drogen oder Medikamente zu mir genommen. Auch keine Kopfwehtabletten oder Schmerzmittel. Und es lebt sich sehr gut so.

Und trotzdem sind Sie für eine Legalisierung?

Ja, der War on Drugs in den USA, den Nixon begonnen hat, ist absurd. Sehen Sie sich nur die Statistiken an. Im gleichen Maß, wie Geld in dieses Unternehmen gepumpt wurde, stieg auch der Konsum. Ich bin nicht für Bestrafung, jeder sollte in dem Fall die Freiheit haben, zu tun, was er für richtig hält. Aber das Leben ist aufregender und spannender, wenn man es unmittelbar lebt. Es gibt keinen Shortcut zur Erleuchtung.

The Disasters of War 7, 2007; Öl und Acryl auf Leinwand; Sammlung Christian Baha © VBK, Wien, 2013

Auf Kokain glaubt man, der König der Welt zu sein.

Was es wirklich wert ist, merkt man am besten, wenn man mit Leuten zusammensitzt, die auf Kokain sind. Das passiert natürlich gerade hier in L.A. nicht selten. Alle haben hochrote Gesichter, plappern aufgeregt durcheinander und denken, sie haben gerade die letzten Geheimnisse des Universums gelöst. Aber wenn man der einzig Nüchterne ist, merkt man, dass sie alle Scheiße reden.