Die Ewige Party


Foto: Christoph Voy

Wir wollen nicht vorschnell über dich urteilen, aber die Chancen stehen gut, dass Keith Morris dein Opa sein könnte. Er wäre ganz sicher nicht die Sorte von Opa, der du in der Bahn deinen Platz anbietest. Er ist die Sorte von Opa, der dir mit seiner kaum fassbaren Vitalität in deinen lethargischen jungen Arsch tritt. Also eine extrem seltene Spezies. Keith war der erste Sänger von Black Flag und langjähriger Frontmann der Circle Jerks. Er ist nicht weniger als eine lebende HardcorePunk-Legende. Seit zwei Jahren spielt er zusammen mit Leuten von Burning Brides, Rocket From The Crypt/Hot Snakes und Red Kross in OFF! einen für ihn definitiv nicht altersgemäßen Sound. Einen Sound, der wiederum in die kollektiven Ärsche der jungen Bands tritt, die von sich behaupten, Punkrock zu sein. Ein OFF!-Konzert ist nicht nur ein Adrenalinbad, es ist auch eine Lektion und vielleicht der beste Geschichtsunterricht deines Lebens. Kürzlich waren OFF! in Berlin und Keith gewährte uns ein paar Minuten Audienz.

VICE: Du warst seit über 20 Jahren nicht in Europa, richtig?
Keith Morris:
Naja, sagen wir seit 25 Jahren. Du warst noch nicht mal geboren als ich das letzte Mal hier war.

Glaubst du wirklich? Für wie alt hältst du mich?
Du bist vielleicht 17. Und du lernst gerade, wie man sich einen Bart wachsen lässt. Ich mach nur Spaß.

Du bist ja im Prinzip auch ein Berufsjugendlicher. Wie schaffst du es, diese „Been there, done that“-Attitüde zu vermeiden, die die meisten Musiker über 30 entwickeln?
Diesen Vorgang nennt man abstumpfen. Ich war auch einmal so, als ich dieser Punkrock-Sache überdrüssig wurde. Ich mache das schon seit 33 Jahren. Es ist doch so. Es gibt Bands, die groß werden und an die Spitze kommen und es gibt Bands, die einfach nur da sind und Platz wegnehmen. Es gibt Bands, die besser ihre Tagesjobs nicht aufgeben und es einfach nicht weiter versuchen sollten. Aber es ist nicht an mir, darüber zu urteilen, wer oben ist und wer nicht. Obwohl ich es dir natürlich sagen könnte.

Was braucht eine Band, um oben zu sein?
Eine Menge Persönlichkeit. Das Problem ist ja, dass sämtliche Musik schon gespielt wurde. Also kannst du nur du selbst sein und dein Bestes geben. Aber es gibt keine magische Formel. Sobald du nach einer Formel arbeitest, kannst du ja auch … (überlegt) … gleich mit Katy Perry spielen.

Würdest du mit Katy Perry spielen?
Das ist eine ganz schön knifflige Frage. Ein Teil von mir sagt: Ja klar, geh einfach raus und spiel vor all diesen Leuten, die sich wahrscheinlich einen Dreck um dich scheren. Manche werden den Saal verlassen. Manche werden sich die Ohren zuhalten. Manche werden vielleicht sagen: Oh, das ist ganz interessant. Oder: So was habe ich ja noch nie gesehen! Wir kriegen oft zu hören, was man alles nicht machen darf, von diesen Typen, die glauben, das Punkrock-Regelbuch gelesen zu haben und die keine anderen Bücher in ihrem Regal stehen haben. Wir stehen aber darauf, vor Leuten zu spielen, die mit unserer Musik nicht vertraut sind. Wir gewinnen neue Fans aus unterschiedlichen Richtungen. Deswegen spielen wir auch gern Festivals. Weg mit den Grenzen. Lasst jeden machen, was er will. So lange sich die Leute nicht gegenseitig ficken (im Sinne von sich schlecht behandeln—Anm. d. Red.), ist doch alles gut.

Und auch das kann ja unter Umständen die Stimmung eines Festivals heben.
Du hast Recht, mein Freund. Ich sage dir, was die Welt braucht: Sie braucht weniger Waffen und Armeen und sie braucht mehr Leute, die öffentlich ficken.

Wir decken hier gerade ein großes Missverständnis hinsichtlich deiner Band auf. Im Herzen seid ihr Hippies, oder?
Ich bin mit Hippies aufgewachsen. Einer der Slogans unter der Punks damals war ja „Kill the Hippies!“ Aber warum? Ok, du magst ihre Musik nicht. Dann hör dir doch was anderes an. Du magst ihren Charakter nicht? Dann häng doch mit anderen Leuten ab.

Und ich vermute, gerade du konntest mit ihrer Musik durchaus etwas anfangen?
Ich bin 56 Jahre alt, ich bin mit den Stones, mit The Who und den Kinks groß geworden. Aber unabhängig von all dem: Ich bin einfach ein Fan von Musik. Ich schätze gute Musik. Und gute Musik kann von jedem gespielt werden. Gute Musik kann von einem Skinhead und von einem Langhaarigen gespielt werden.

Also kommt die Musik zuerst, dann die Einstellung?
(überlegt) … Irgendwie schon, ja. Einige meiner aktuellen Lieblingsbands sind Deerhunter oder Neon Indian oder Warpaint. Das sind alles keine Punkrockbands. Es sind einfach gute Bands.

Du hattest ja vorhin das Punkrock-Regelbuch erwähnt.
Vergiss nicht das Kostüm! Die Uniform! Du musst aussehen wie Sid Vicious. Oder du musst aussehen wie die Ramones. Dabei waren die Ramones ja nicht mal eine Punkrockband. Sie waren eine Pop-Band.

Wenn du die Lächerlichkeit der Punk-Routine erkannt hast, warum distanzierst du dich dann nicht auch Sound-ästhetisch davon? Letztendlich klingt OFF! ja sehr nach klassischem HardcorePunk.
Wir sind keine HardcorePunk-Band. Es ist schwer zu erklären, warum wir spielen, was wir spielen. Vielleicht sind wir einfach wütend. Wir machen einfach, was wir machen. Bei Black Flag hatten wir auch keinen Plan. Wir sind nur in einen Raum gegangen und haben angefangen zu spielen.

Du sagtest einmal, du hättest zu Black Flag-Zeiten viele Dinge gehasst. Auch OFF!s Musik klingt sehr hasserfüllt. Was sind die heutigen Objekte deines Hasses?
Es gibt heute mehr von allem. Mehr Autos. Mehr Flugzeuge. Mehr Gebäude. Mehr Regeln. Also ist es nur logisch, dass man auch mehr Dinge hassen kann. Vor allem aber kann ich mit unserer Regierung nichts anfangen, vom Militär ganz zu schweigen.

Das bisherige OFF!-Material, wurde ja ursprünglich für ein neues Circle Jerks-Album geschrieben. Wenn ihr heute OFF!-Material schreibt, geht es dann stilistisch in eine andere Richtung?
Nein, wir schreiben genau gleich. Es ist nur so, dass die alte Band (Circle Jerks – Anm. d. Red.) ihre Wurzeln vergessen hat. Ihre Mentalität war: Wir sind, wer wir sind und egal, was wir rausbringen, die Fans werden es gut finden. Was für eine schreckliche Einstellung! Das ist beschissen arroganter Rockstar-Schwachsinn. Damit will ich nichts zu tun haben. Ich komme aus der Arbeiterklasse, also lasst uns arbeiten und etwas aufbauen.

Wie kam es eigentlich zum Signing bei VICE Records?
Ein anderes Label war sehr interessiert, unser Zeug rauszubringen. Der Besitzer meinte, ich würde klingen als sei ich gerade mal 18 Jahre alt. Er sagte, es sei das beste Material, das er in den letzten vier oder fünf Jahren gehört hat. Gleichzeitig gab Steven (Bassist bei OFF! – Anm. d. Red.) zu bedenken, dass wir das Material trotzdem auch anderen Labels zeigen könnten. Dann brachte er Suroosh ins Spiel. Wir spielten es ihm vor. Er sagte: Let’s do this. Währenddessen sprachen wir mit der Person bei der anderen Company.

Wir reden von Epitaph, richtig?
Richtig. Ich werde auch nichts Schlechtes über Epitaph sagen. Brett Gurewitz ist ein toller Kerl. Aber es hätte dort neben uns noch ein neues Social Distortion-Album, ein neues Weezer-Album und ein neues Bad Religion-Album gegeben. Da wäre doch für OFF! überhaupt kein Platz mehr gewesen. VICE dagegen hatte gerade viel Zeit, sich um uns zu kümmern. Also haben wir die richtige Entscheidung getroffen. Wir lieben VICE.

Du spielst mit 56 in einer Rockband. Haben solche Konstrukte wie Jugend oder Alter überhaupt eine Bedeutung für dich?
Ich mache mir deswegen keine Sorgen. Ich mache das schon so lange. Mit der Zeit legst du dir eine dicke Haut zu. Viele Dinge prallen einfach an dir ab. Ich beschwere mich nicht über die Kids. Ich sage auch nicht, die Alten sollen ins Altenheim. Ich sage nur: Für mich ist es alles eine große Party. Alle sollen vorbei kommen, alle sollen eine gute Zeit haben. Alle sollen sagen: Wow, was für eine coole Band.

Aber macht sich das Alter bemerkbar, wenn du auf Tour bist?
Ich bin Diabetiker. Ich habe mal gute und mal schlechte Tage. Aber sobald du auf der Bühne stehst und die Musik beginnt, ist das alles egal, dann wird das alles vom Adrenalin verdrängt.

Du hast einen Song über Panikattacken geschrieben. Hat das Stück einen autobiographischen Hintergrund?
Ich leide an Schlaflosigkeit. Wenn ich in einer Nacht drei bis vier Stunden schlafe, dann ist das schon sehr gut. Zusätzlich bin ich aber sehr unruhig. Deswegen habe ich immer mal wieder Panikattacken. Ich bin dann extrem aufgekratzt, renne in meiner Wohnung herum, in meinen Boxershorts, um vier Uhr am Morgen, wenn alle anderen schlafen. Ich schwitze dann und zittere, mein Herz rast, ich sehe all das Zeug an meinen Wänden, meine Bücher, die Platten, die Möbel und ich frage mich, was soll ich mit all dem Zeug, was ist der Sinn von all dem, warum bin ich hier, ich will hier nicht sein, was ist der Sinn? Was ist der Sinn des Lebens? Es ist sehr autobiographisch.

Seit wann hast du diese Probleme?
Seit ungefähr zehn Jahren. Ich habe dann irgendwann mit Schlaftabletten angefangen, aber das brachte nichts. Ich meine, wer will sich schon mit Schlaftabletten zudröhnen? Du wirst von dem Zeug abhängig. Die Abhängigkeit von Medikamenten gehört zu den schlimmsten Abhängigkeiten überhaupt. Es gibt Pillen, die dir helfen eine Erektion zu bekommen. Im Kleingedruckten steht dann aber, dass dir davon die Augen bluten, deine Zunge anschwillt und du alle drei Stunden Dünnschiss bekommst. Du nimmst also die Pille, um eine Sache zu erreichen, bekommst aber gleichzeitig drei Dinge, die du mit anderen Pillen bekämpfen musst. Du bist ein Hamster im Rad der Pharmazie. Es dreht sich immer weiter.

Du versuchst heute, Abhängigkeiten aus deinem Leben rauszuhalten?
Ich trinke viel Kaffe. Das ist alles.

OFF!s First Four EPs sind bei VICE Records erschienen.

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