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Menschen sind scheiße, oder bin ich scheiße, weil ich ein Mensch bin?

Zwei spezielle WTF-Momente in meinem Leben haben mir klar gemacht, dass wir rückgratlose, unreflektierte Geschöpfe sind.

Foto von Thomas Lieser | Flickr | CC BY-NC-SA 2.0

Katharina Nöstlinger ist die Nichte der großen Christine Nöstlinger, mit der sie für unsere Literaturausgabe 2013 auch ein sehr schönes Interview geführt hat. Vergangenes Jahr hat sie außerdem ein Praktikum bei uns gemacht und schickt uns seither immer wieder Texte über Dinge, die sie besonders aufregen.

Eigentlich hasse ich Menschen gar nicht so, sonst könnten mich die besonders beschissenen Exemplare nicht so aus der Fassung bringen. Aber wahnsinnig toll kann ich sie irgendwie auch nicht finden und zwei spezielle WTF-Momente in meinem Leben haben mir klar gemacht, dass wir rückgratlose, unreflektierte Geschöpfe sind.

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Den ersten hatte ich im zarten Alter von 12 Jahren, und es war einer der desillusionierendsten, aber auch lehrreichsten Momente überhaupt. In diesem Alter hat man noch wenig Ahnung davon, dass es auch Menschen gibt, die nicht wie Mama, Papa, Oma und Opa das Endziel haben, dass man der glücklichste Mensch der Welt ist oder die dir wenigstens wohlgesonnen sind. Damals bin ich noch nicht mal in der Schule bei irgendwelchen psychotischen Lehrern und Lehrerinnen in Ungnade gefallen, die mir vor allem gelehrt haben, was das Wort Willkür bedeutet. In dem Alter ist man meistens noch ein braves Kind, dem nach und nach immer klarer wird, dass die Werbung lügt und die Welt nicht aus My Little Ponys mit duftenden Haaren und Knoppers pünktlich „morgens halb zehn“ besteht—sondern auch aus betrunkenen Kinderbelästigern in Straßenbahnen und Straßenbahnpassagieren, denen es bestenfalls unangenehm ist, so etwas mitansehen zu müssen.

Weil ich zum Glück ein emotional eher robustes, aber auch wahnsinnig reinliches Kind war, fand ich es eigentlich hauptsächlich ziemlich grauslig. Der Typ, der mich an die Straßenbahnwand gedrückt hat und für ein paar Stationen nicht mehr los lies, hätte sich wahrscheinlich allein mit dem, was er die letzten 2 Tage versoffen hatte, eine neue Garderobe leisten können, die er seinem Geruch nach auch dringend nötig gehabt hätte. Das war aber nicht das eigentlich Schlimme. Zu heulen begann ich erst, als ich ausgestiegen war und mir bewusst wurde, dass es in einer gut gefüllten Bim absolut fucking niemand für notwendig hielt, mir gegen ein betrunkenes Arschloch zur Seite zu stehen, das dreimal so massig und dreimal so alt war wie ich.

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Situation Nummer zwei passierte letzten Samstag und war gleich ein doppelter WTF-Moment. Auf der Mariahilfer Straße sitzt meistens ein Bettler ohne Beine, fast immer in einem Haufen aus Mäcki-Essen und Verpackung. Manchmal rinnt eine Pissespur den Gehsteig runter, denn wie gesagt, er sitzt den ganzen Tag dort und hat keine Beine. Die Leute gehen vorbei, manche blicken herablassend, angeekelt, manche bringen ihm offensichtlich Essen. Ich laufe auch immer ganz schnell vorbei, hauptsächlich weil dort immer irgendwelche NGOs ihre supernervigen „Es geht gar nicht um eine Mitgliedschaft, ich hab nur eine Frage zu deinen Schuhen“-Menschen stehen haben. Diesen Samstag standen keine dort, aber zwei andere Menschen in Uniform.

Foto von glasseyes view | Flickr | CC BY-SA 2.0

Einer davon suderte über den Bettler gebeugt, wild herumfuchtelnd im abschätzigsten Ton: „und wenn I wieder kumm, dann is der ganze Scheiß da weg! Des kann sich ja kahner anschaun!“ Was der beinlose Mann darauf antwortete, konnte ich nicht verstehen—wie auch, ich ging ja nur vorbei. Etwas weiter weg blieb ich mit offenem Mund stehen. Ich wollte hingehen und den Polizisten fragen, ob er irgendwie geistig total minderbemittelt ist—der Mann hat immerhin keine Beine? Hallo? Ein Mensch mit Hirn kann doch nicht im Ernst von einem Menschen ohne Beine verlangen, dass er zum Mistkübel geht und Müll entsorgt. Aber auch außer mir blieb niemand stehen. In was für einer Gesellschaft lebe ich, in der es niemand für notwendig hält, den Inbegriff des Wehrlosen, das materialisierte Sinnbild des Übels dieser Welt und unserer privilegierten Position vor einem vertrottelten Beamten zu verteidigen?

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Die Abgründe, die sich auftun, wenn man darüber nachdenkt, was an dieser Situation alles grundfalsch ist, sind bodenlos. Auf den Gedanken, was denn das für eine Polizei ist hier, möchte ich mich nach den letzten Demos in Wien gar nicht wieder einlassen, weil mich der konkrete Fall im Moment grantig genug macht. So ein Vorgehen ist nicht nur total menschenverachtend, sondern zeigt auch absolute Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Problemen, bei denen Menschen, die so viel Macht ausüben dürfen, unbedingt sensibilisiert sein müssen und nicht planlos einen auf harter Gesetzesvollstrecker machen.

Und auch alle anderen Menschen sollten in Wirklichkeit bei so einem Anblick weinen und keine „Geschieht ihm sicher recht“-Attitüde an den Tag legen. Denn die einzelnen Schwammerl bei der Polizei sind eben auch Opfer eines solchen Systems. Um das Geschehene noch einmal vor Augen zu führen; ein scheinbar wenig smarter Polizist stellt superunfreundlich absolut unrealistische Forderung an einen Bettelnden, der sich weder wehren noch fliehen kann. Menschen (das Ganze spielte sich auf der Mariahilfer Straße ab, am Samstagabend, bei Sonnenschein) gehen vorbei und niemand (inklusive mir) geht hin, um sich das Ganze zumindest aus der Nähe anzusehen.

Für alle, die meinen, das wäre ein bisschen viel Drama, weil ja eh nichts passiert ist: Nein! Die Unfähigkeit zu Zivilcourage ist symptomatisch für eine Gesellschaft, die durch und durch hierarchisch strukturiert ist. Wo man von klein auf lernt, wer mehr Macht hat, schafft an und da musst du folgen. Wenn du mehr Macht hast, darfst draufhaun auf die, die weniger zu sagen haben. Und wenn es dir gut geht, dann misch dich nicht bloß nicht zu viel ein, weil sonst ärgerst du am Ende noch wen, der am längeren Ast sitzt, und dann wird’s ungemütlich. Hab ich alles in 13 Jahren Schule gelernt, insofern: Danke, wurde perfekt aufs Leben vorbereitet. Immerhin bin auch ich wie gesagt nicht sofort stehengeblieben. Dass das so ist, ist nicht wurscht, sondern sehr lame. Und ich frage mich die bitterste der Fragen, mit der mich meine Beobachtung von Samstag zurücklässt: Was für ein Mensch bin ich eigentlich?

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Diese und andere erbauliche Fragen könnt ihr am Wochenende bei folgenden Partys mit anderen Menschen diskutieren:

DONNERSTAG

Wir feiern bei der Sky Night GIRLS im Schikaneder den Geburtstag unserer liebsten (aber auch einzigen) Hanna. Außerdem gibt es, wie der Name schon sagt, ein paar Folgen GIRLS plus Auflegerei, gratis Drinks, Cupcakes, Donuts und Goodies. Was es nicht gibt: Keinen Grund, nicht zu kommen. Zu kompliziert? Dann schaut ihr sowieso andere Serien.

Heute beginnt auch der MQ Summer of Sounds. Mit viel Sommer. Und mit Sounds. Und zwar im MuseumsQuartier. Eigentlich sagt das Event alles, was ihr wissen müsst. Seid gut, kommt vorbei, steigt auf keine Füße und geht zufrieden.

FREITAG

Erwin Wurm Finissage plus Live-Act ist gleich großes Fragezeichen, aber auch: viel Platz für Variablen, die ihr vor Ort auflösen könnt. Oder sowas in der Art, wir waren noch nie gut in Mathematik.

SAMSTAG

Heute feiert der Schneiderhof Geburtstag und Hatschepsut Huss, mit der wir auch schon mal ein Interview geführt haben, hat auch gleich ihre Vernissage dort. Schaut vorbei, werdet betrunken, genießt die Kunst.

SONNTAG

Music is the Answer, sagt das Loft, aber was war eigentlich noch mal die Frage? Egal, am Sonntag sollst du ruhen. Und damit meinen wir Party machen.

MONTAG

Heute ist ja der eigentliche Sonntag. Ihr seid vermutlich entweder immer noch wach oder habt komplett die Orientierung verloren, als ob ihr 24 Stunden rund um die Welt geflogen wärt. Für die Psychohygiene und zur Re-Orientierung empfehlen wir heute diese Artikel: Die Baseler Polizei räumt die Wagenstadt mit Pfefferspray, wir haben Donald Trump in Dubai zur Rede gestellt, der Jagdspaß reicher Männer und der Nachbericht zur Modeschau der Angewandten.

DIENSTAG

Against Me! spielen in der Arena und weil ihr gestern soweso einen Feiertag zum Verschnaufen hattet, könnt ihr bei uns 2 mal 2 Tickets für den Spaß gewinnen, wenn ihr uns eine E-Mail mit dem Betreff „Gegen alle“ schreibt.