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Bundesregierung warnt vor Raketenbeschuss und will dennoch Abschiebeflieger nach Afghanistan schicken

In dem für Dienstag geplanten Flug werden offenbar auch Menschen sitzen, die Deutschland eigentlich nicht mehr abschieben wollte.
Bus zum Abschiebeflug aus München im März 2017 | Foto: imago | Michael Trammer 

Am Dienstag vor einer Woche veröffentlichte die Europäische Agentur für Flugsicherheit eine Nachricht der Bundesregierung. Diese warnt alle deutschen Fluggesellschaften davor, im afghanischen Kabul zu landen. Es drohe Beschuss durch "gezielte Flugabwehr-Attacken" und kleine Raketen, aber auch Angriffe direkt auf den Flughafen. Genau das war vor einem Monat geschehen, kurz zuvor waren noch US-Verteidigungsminister James Mattis und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Ort.

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Für drei Gruppen von Menschen gilt die Warnung anscheinend nicht: das Personal einer Chartermaschine, zahlreiche Bundespolizisten und eine Gruppe abgelehnter afghanischer Asylbewerber. Letztere sollen von den Beamten und Airline-Mitarbeitern am Dienstagabend aus Leipzig abgeschoben werden. Das berichten dpa und Spiegel.

Erst am Freitag hatte ein Selbstmordattentäter der Terrorgruppe Islamischer Staat 56 Menschen in Kabul getötet und 55 weitere zum Teil schwer verletzt. Fotos zeigen die blutüberzogenen Wände der schiitischen Moschee im Westen der Stadt, die vor allem von der Minderheit der Hazaras besucht wird. Bei zwei ähnlichen Anschlägen waren im August und September 35 weitere Menschen gestorben. Am Samstag sprengte sich dann erneut ein Selbstmordattentäter in Kabul in die Luft. Er riss mindestens 15 Kadetten mit sich in den Tod.


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Der tödlichste Angriff in diesem Jahr ereignete sich am 31. Mai: Eine Explosion im Diplomatenviertel Kabuls tötete über 150 Menschen und verletzte 450 weitere, die deutsche Botschaft wurde schwer beschädigt. Die Bundesregierung setzte daraufhin Abschiebungen nach Afghanistan vorerst aus, jedoch nicht für alle abgelehnten Asylbewerber. "Straftäter und sogenannte Gefährder" sowie "abgelehnte Asylbewerber, die bei der Aufklärung über ihre Identität nicht mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten", werde man weiter abschieben, erklärte die Regierung im Juni.

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Im September war ein erster Abschiebeflug von Düsseldorf nach Kabul gestartet. Der Flüchtlingsrat NRW ging von zwölf Abgeschobenen aus. Heute soll der zweite von Leipzig aus folgen. Wie viele Menschen an Bord sind, ist nicht bekannt – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge macht generell keine Angaben zu Abschiebungen. Jede abgeschobene Person wird außerdem von einem Bundespolizisten begleitet.

Kritiker sagen, die Bundesregierung halte sich dabei nicht an die selbst gesetzten Bedingungen. Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates, sagte Pro Asyl: "Mehrere der jetzt von Bayern in Abschiebehaft genommenen Afghanen fallen aus diesen Kategorien heraus." Es handele sich nur teilweise um Straftäter. Darunter seien auch solche, "denen mehrheitlich Bagatelldelikte zur Last gelegt werden", sagte Dünnwald. Eine Person sei zudem psychisch krank und nicht abschiebefähig.

Die Berliner Rechtsanwältin Myrsini Laaser betreut einen Betroffenen. Der afghanische Staatsbürger, der selbst als Kind von Geflüchteten im Iran geboren wurde und nie in Afghanistan gelebt hat, kam 2015 nach Deutschland. Vor einem Jahr wurde sein Asylantrag abgelehnt, die Polizei nahm ihn im Mai dieses Jahres in Abschiebehaft. Die Bundesregierung sagte seinen Flug allerdings nach dem Anschlag vom 31. Mai ab. Jetzt wurde der Mann erneut in Bayern festgesetzt. Laut Laaser befand er sich gestern noch dort in Haft, Kontakt mit ihm hat sie nur über einen Sozialarbeiter vor Ort.

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"Wir sind überrascht, dass unser Mandant abgeschoben werden soll", sagt Laaser am Telefon gegenüber VICE. Er sei nicht straffällig geworden und die deutschen Behörden sehen seine Identität als geklärt an – damit fällt er unter keine der drei Kategorien, die die Bundesregierung für Abschiebungen festgelegt hatte. Stattdessen gehört er den schiitischen Hazara an, jener afghanischen Minderheit also, deren Mitglieder Opfer der Anschläge am Freitag waren. Laaser glaubt zudem, es könne in Afghanistan der Eindruck entstehen, dass der Mann ein Straftäter sei, den die Bundesregierung abgeschoben habe. Freunde oder Familie hat er vor Ort keine. Seine Mutter und zwei Schwestern befinden sich in Deutschland.

Einen erneuten Asylantrag des Afghanen hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, das Verwaltungsgericht Augsburg bestätigte die Entscheidung. Laaser und ihr Mandant haben nun einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte dem Spiegel derweil, dass man keine Gefahr für die mitfliegenden Beamten oder die Abzuschiebenden erkennen könnte. Raketenwarnungen seien für Kabul "nichts Ungewöhnliches".

Update, 24. Oktober, 15:09: Wie Rechtsanwältin Myrsini Laaser auf Facebook schreibt, will das BAMF den erneuten Asylantrag ihres Mandanten nochmals prüfen. Er soll vorerst nicht abgeschoben werden.

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