Politik

Wie ein Rechercheteam den heimlichen Strippenzieher der AfD enttarnte

"Solch einen Fall gab es in über 70 Jahren Bundesrepublik noch nie."
Eine Montage zeigt Tom Rohrböck, er steht vor einem Hotel, in dem Deals mit der AfD stattgefunden haben sollen
Hotel: IMAGO | imagebroker || Flagge: IMAGO | BildFunkMV || Rohrböck: Facebook || Montage: VICE

Es klingt, wie eine Folge House of Cards: Ein 53-Jähriger Politstratege soll seit Jahren heimlich die Fäden in der AfD ziehen. Er soll Politikerinnen und Politiker in Luxushotels einladen, ihre Gegnerinnen ausstechen, ihnen Geld anbieten und sie in seinem Geflecht aus Scheinfirmen einstellen. 

Wer ist Tom Rohrböck?

"Strippenzieher", "Königsmacher", "Phantom" wird er in der großen Recherche genannt, die das jetzt aufgedeckt hat. Drei Jahre lang hat ein Reporterinnenteam von der ZEIT, dem WDR und NDR recherchiert, unzählige E-Mails und Chatprotokolle ausgewertet, mit Hunderten Menschen gesprochen. 

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Der dubiose Berater soll zu mehreren Dutzend Abgeordneten Kontakt gehalten haben. Immer wieder soll er massiven Einfluss auf Funktionäre und Ausrichtung der Partei genommen haben. So arbeitete er zwei Jahre lang heimlich eng mit Fraktionschefin und Bundestagsspitzenkandidatin Alice Weidel zusammen. In der Dokumentation bestätigt Weidel das – und wirkt bei der Frage nach Rohrböck fast verängstigt. 

Die AfD will jetzt eine Untersuchungskommission einsetzen, um die Vorgänge intern aufzuklären, berichtet die ZEIT. Auch, ob Politiker sich womöglich Vorteile durch ihn verschafft haben.


Auch bei VICE: 10 Fragen an Alice Weidel


Wir haben mit Investigativjournalist Christian Fuchs über die Recherche gesprochen. Er ist Autor der ZEIT und berichtet über Extremismus und die Neue Rechte, Lobbyismus und sexuellen Missbrauch. 

VICE: Wie habt ihr das "rechte Phantom" gefunden?
Christian Fuchs:
In einer Recherche zum grauen Kapitalmarkt – also unseriösen Anlagemethoden – haben wir durch Zufall in einem Handelsregisterauszug einen Namen gefunden. Eine Briefkastenfirma, angemeldet in Birmingham, gehörte einem AfD-Gründer. Im selben Firmenkonstrukt tauchte ein weiterer AfD-Gründer auf.

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Das kam uns sehr skurril vor, also haben wir angefangen zu graben. Wo führen die Firmen hin? Mit wem machen sie Geschäfte? Also ganz klassisch: Follow the Money! Wohin fließt das Geld? Was wir da gefunden haben, hat sogar uns umgehauen. 

Warum?
Weil mit diesen Firmen politische Aktivitäten finanziert wurden. Bisher hieß es immer, die AfD sei so erfolgreich geworden, weil sie eine politische Großwetterlage genutzt hat: Konservative waren angeblich heimatlos, die Menschen unzufrieden mit der Migrationspolitik der Bundesregierung, die CDU war vielen zu liberal geworden. Das war immer die große Erzählung vom Aufstieg der AfD.

Aber es war alles ganz anders?
Wir haben zumindest einen weiteren Teil der Geschichte gefunden. Neben Großspendern hat offenbar auch dieses Firmenkonstrukt bei der Finanzierung einiger Funktionärinnen eine Rolle gespielt. 

Wann tauchte der Name Tom Rohrböck zum ersten Mal auf?
Ziemlich schnell. Wir haben uns diese Briefkastenfirmen und Scheinfirmen angeschaut und Verlage, die eigentlich gar nicht wirklich was machten. Bald kamen wir über diese Spur an interne Mails und Firmenunterlagen und da tauchte der Name auf. Rohrböck gab den Chefs Anweisungen: Überweist dahin Geld! Lasst jenen Autor schreiben! Wir merkten also, dass der eigentliche Strippenzieher gar nicht im Handelsregister steht: Tom Rohrböck, der dubiose Berater.

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Rohrböck suchte Kontakt zu Politikern der AfD. Er lud sie in Luxushotels ein, knüpfte Beziehungen und wollte Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Hat er das geschafft?
Er hat es oft versucht, zum Beispiel Politikerinnen Geld angeboten. In zwei Fällen können wir gut belegen, dass er Einfluss genommen hat. Bei den letzten beiden Wahlen zum AfD-Landesvorsitz in Baden-Württemberg und Bayern hat er sehr aktiv versucht, seine Schützlinge, die er beraten hat, voranzubringen. 

Bei Corinna Miazga – der heutigen Chefin des Landesverbandes – hat er im Vorfeld der Wahl versucht, einen Konkurrenten zu überzeugen, nicht anzutreten. In diesem Fall hat das geklappt, der Kandidat hat sich zurückgezogen. So konnte sein Schützling Karriere machen.

Rohrböck setzte sich sehr für rechte Politik ein, unterhielt auch Kontakte zur NPD. Gleichzeitig schreibt ihr, es gehe ihm darum, "im Milieu der Mächtigen Fuß zu fassen und sich einen Namen zu machen". Ging es gar nicht um Politik?
Die Frage kann nur eine Person beantworten und das ist Tom Rohrböck selbst. Er ist ein Chamäleon und hat ganz widersprüchliche Dinge gesagt. Einerseits veröffentlichte er ein Manifest, eine Art rechtspopulistische Blaupause für rechte Parteien in Europa. Andererseits schreibt er später einem AfD-Abgeordneten, er sei "inhaltlich kein AfDler", und postet auf seiner Facebookseite ganz viele positive Artikel über Armin Laschet. 

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Rohrböck legt allerdings auch Finten. Er veröffentlichte auf seinen eigenen Webseiten unter Pseudonym Artikel über sich selbst, die Quatsch sind. Dass er in Nigeria und Italien sei, beispielsweise, obwohl das gar nicht stimmte. Vielleicht will er sich mystischer darstellen oder Verfolgerinnen abbringen.

In einem Absatz geht es um die Kindheit von Rohrböck, sein Vater war Versicherungsvertreter. Was interessiert dich mehr: den Menschen zu verstehen oder das Netzwerk und die mögliche Korruption nachzuvollziehen?
Die große, interessante Frage bei Menschen, die kriminelle Dinge tun, ist immer: Wie sind die so geworden? Von Anfang an haben wir uns bei Rohrböck gefragt: Was ist sein Ziel, die große Agenda? Aber selbst Menschen, mit denen er eng zusammengearbeitet hat – Politikerinnen, Geschäftspartner –, konnten uns das nicht sagen.

Am Ende mussten wir uns damit zufriedengeben, diese Netzwerke zu verstehen. In seinen Kopf können wir nicht reinschauen. Und obwohl wir alles versucht haben, wollte er nicht mit uns reden. Ob er ideologisch handelt oder nur aus Macht- und Gewinnstreben, können wir deshalb gar nicht genau sagen.

Das alles klingt nach House of Cards. Glaubst du, dass es in der Deutschen Politik in Wahrheit häufiger so läuft – dass es nicht um Inhalte sondern um Macht geht?
Das würde ich aus dem Einzelfall nicht ableiten. Rohrböck ist eine sehr spezielle Person. Er und sein Netzwerk sind wirklich einzigartig. Solch einen Fall gab es in über 70 Jahren Bundesrepublik noch nie.

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Ich habe auch häufig mit Politikerinnen und Abgeordneten anderer Parteien zu tun und sehe da sehr häufig großen Idealismus. Das sind Menschen, die ehrlich und transparent an ihre Arbeit gehen und sich einer Sache verschrieben haben: dem Klimawandel zum Beispiel. Sie nutzen das Parlament, um uns gesellschaftlich voranzubringen. 

Es gibt also nicht noch mehr Tom Rohrböcks in der deutschen Parteienlandschaft?
Wir sind durchaus auf weitere freie Berater gestoßen. Mir war vor der Recherche gar nicht bewusst, wie viele davon in der deutschen Politik umherschwirren. 

Die kommen aus dem Immobiliengeschäft oder der Unternehmensberatung und oftmals haben wir nicht durchschauen können, wie genau die ihr Geld verdienen. Junge Politikerinnen und Politiker lassen sich auf diese halbseidenen Männer – es waren immer Männer – ein.  Gerade bei der AfD, wo viele mit wenig politischer Erfahrung engagiert sind.

Das klingt wie Spin Doktoren aus amerikanischen Netflix-Serien.
Absolut. Auf Tom Rohrböck trifft das in jedem Fall zu. 

In der Doku, die der NDR zu eurer gemeinsamen Recherche ausgestrahlt hat, gibt es eine Szene, in der Alice Weidel mit ihrem engen Kontakt zu Rohrböck konfrontiert wird. Sie wird gefragt, ob sie Angst vor ihm hat – und sagt nicht Nein. Es ist schon unheimlich, eine Mandatsträgerin, die doch unabhängig sein soll, so zu sehen. 
Auf diese Szene werde ich oft angesprochen. Ein sehr eindrücklicher Moment. Uns hat auch überrascht, wie sie gezögert und gehadert hat. Aber es bestätigt, was viele Menschen uns erzählt haben: dass sie Angst vor Rohrböck haben.

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Nachdem sie die Zusammenarbeit beendet hatten, haben einige sogar den Namen gewechselt oder sind umgezogen. Ein ehemaliger Geschäftspartner hat sich sogar in psychologische Betreuung begeben wegen dem, was er mit Rohrböck erlebt hat. 

Ist es eigentlich ein "Fehler im System", dass man es sich in Deutschland leisten können muss, Politikerin zu werden, und deshalb reiche Menschen Einfluss ausüben können?
Parlamente repräsentieren nicht unsere Bevölkerung, was zum Beispiel Herkunft und Schicht angeht. Viel häufiger als andere können es sich Juristen leisten, in die Politik zu gehen, denen es möglich ist, nebenbei ihre Kanzleien weiter zu betreiben. Das ist ein grundsätzliches Defizit.  

Es bietet auch ein Einfallstor für Menschen, die finanziell bestimmte Politikerinnen oder Politiker unterstützen wollen. Im Fall, den wir recherchiert haben, war es ganz eindeutig so, dass einige der AfD-Gründer, die von Tom Rohrböck finanziell unterstützt wurden, sich das politische Engagement anders nicht hätten leisten können. Das ist sicher ein Problem. 

Wenn rechte Milliardäre und ihre selbsternannten "Söldner" in Schweizer Luxushotels die deutsche Politik bestimmen, warum sollte ich dann überhaupt noch wählen gehen? Macht dich das manchmal demokratieverdrossen, solche Dinge herauszufinden?
Eigentlich nicht. Im Gegenteil: Ich finde, das Beispiel zeigt doch sehr schön, dass unseriöse Geschäfte und intransparente Dinge zwar passieren – überall auf der Welt und auch in Deutschland –, aber sie kommen irgendwann raus. 

Und der Schaden für die Politikerinnen, die sich darauf eingelassen haben, ist dann oft größer als der Vorteil, den sie davon hatten. Ich finde, das hat eine reinigende Funktion. Das ist das wunderbare an der Demokratie – und unserer Pressefreiheit. 

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