Eine Stripperin mit rosa Perücke unterhält das Publikum
Alle Fotos: Jacquie Ray 

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Sex

Wie mir Strippen dabei geholfen hat, mein Übergewicht zu akzeptieren

Ich wollte zu einer Frau werden, die es aufregend findet, andere zu erregen – und das hier war der letzte Schritt.

Am 14. Dezember letzten Jahres betrat ich die Bühne. 300 Menschen richteten ihre Augen auf mich. Langsam fing ich an, mich auszuziehen. Ich zeigte der Menge meine Brüste. Und meinen Hintern. Und meinen dicken Bauch. In anderen Worten: Ich strippte zum ersten Mal in meinem Leben.

Ich bin allerdings keine Frau, die man direkt für eine Stripperin halten könnte. Warum das so ist? Nun, ich bin fett. Und fette Körper können wohl selbst im Jahr 2019 nicht als erotisch gelten. Diesen Umstand wollte ich zusammen mit zwei Freundinnen in Frage stellen – und zwar mit einer Plus-Size-Stripshow. Strippen ist ja etwas extrem Sexuelles, durch das man sich sehr selbstbewusst und unabhängig fühlen soll. Die Idee für unser "Thicc Strip"-Projekt war geboren.

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A stripper in a red fishent top, swinging on a pole

Wir veranstalteten zuerst offene Castings, zu denen alle Leute eingeladen waren, die sich als weiblich identifizieren. Vorherige Striperfahrung war uns dabei egal. Danach starteten wir eine Crowdfunding-Kampagne, bei der wir unser finanzielles Ziel zwar nicht erreichten, dafür aber einen Sponsor fanden, der uns die Veranstaltung bezahlen wollte: die Betreiber einer Dating-App.

Anschließend übten wir mit Cera Byer, die als Tänzerin und Body-Positive-Lifecoach arbeitet. Und nach einer Weile hatten wir auch unsere Gruppe von insgesamt 13 Frauen zusammen. Manche von ihnen hatten schon erste Schritte in der Strip- und Burleske-Welt gemacht, andere waren blutige Anfängerinnen. Weil wir alle verschiedene Hintergründe, Persönlichkeiten und Überzeugungen hatten, fühlte ich mich fast wie in der Netflix-Serie GLOW – nur eben mit viel mehr nackter Haut. Weil wir alle so verschieden waren, durfte sich jeder selbst aussuchen, zu welchem Song man tanzt, in welchem Style die Performance abläuft und wie viele Hüllen fallen. Einige Frauen fühlten sich wohler, wenn sie beim Tanzen komplett bekleidet blieben, andere zeigten hingegen alles.


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Da ich mich selbst recht häufig halbnackt bei Instagram präsentiere, ging ich eigentlich davon aus, mich in meinem Körper inzwischen wohl zu fühlen. Weil ich mich für Thicc Strip jedoch in die echte Welt begab und mich nicht mehr hinter einem Bildschirm verstecken konnte, wurde mir schnell klar, wie viele Probleme ich mit meinen Körper und Erotik noch immer hatte.

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Ich wollte zu der Frau werden, von der ich immer geträumt hatte: eine Frau, die ohne Hemmungen ihren Körper zeigt, Miniröcke und Reizwäsche trägt und es aufregend findet, andere Menschen zu erregen.

Da ich schon während meiner Jugend immer ein paar Kilo zu viel auf die Waage brachte, habe ich mich nie als sexy empfunden. Damals war ich davon überzeugt, dass nur dünne Menschen sexy sein können. Ich hingegen musste mich auf meinen Humor verlassen. Als junge Erwachsene war ich dann sexuell aktiv, ohne mich dabei wirklich sexy zu fühlen. Immer wenn ich mit einem Mann ins Bett stieg, ging ich davon aus, dass er eigentlich ganz woanders sein wollte.

A stripper kneeling on a stage

Mit Mitte 20 fing ich dann endlich an, darüber nachzudenken, warum ich so dachte. Ich lernte mehr zum Thema Body Positivity und zu der Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht auf Selbstliebe hat. Mir wurde bewusst, dass ich vor allem wegen äußerlicher Einflüsse so negativ über mein Aussehen dachte. Da regte sich in mir das Verlangen, meine Sexualität offener zu zeigen. Ich wollte mich nicht mehr länger hinter übergroßen Shirts verstecken und stattdessen zu der Frau werden, von der ich immer geträumt hatte: eine Frau, die ohne Hemmungen ihren Körper zeigt, Miniröcke und Reizwäsche trägt und es aufregend findet, andere Menschen zu erregen. Und genau so kam es auch. Allerdings ging mit dieser Entwicklung kein Gewichtsverlust, kein Fitnessprogramm und kein verändertes Äußeres einher. Wenn überhaupt, dann habe ich in der Zwischenzeit zugenommen. Das Einzige, was sich geändert hat: meine Einstellung.

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Jetzt, zwei Jahre nach meinem Sinneswandel, ist es für mich fast schon selbstverständlich, meine dicken Oberschenkel und mein Bauchfett im Internet zu präsentieren. Trotzdem garniere ich meine sexy Posts weiterhin mit so viel Humor wie möglich, quasi als Gegengewicht. Aber erst durch meine Stripshow wurde mir bewusst, dass dieser Humor für mich immer noch so etwas ist wie ein seelisches Sicherheitsnetz.

Thicc Strip hat mich endlich gezwungen, mich nicht mehr hinter irgendwelchen Witzen zu verstecken und mein sexuelles Ich ernst zu nehmen. Unsere Trainerin Cera trichterte uns auch immer wieder ein, dass dicke, nackte Frauen sehr schnell zur Pointe werden können. Deswegen müssten wir uns doppelt ins Zeug legen, um zu beweisen, dass wir kein Witz sind. Damit Thicc Strip ein Erfolg wird, konnten wir nicht einfach nur vorgeben, selbstbewusst zu sein. Nein, wir mussten wirklich selbstbewusst sein. Als Frau, die genau das immer von sich dachte, wurde mir durch das Strippen schnell aufgezeigt, wie verletzlich und ängstlich ich immer noch war. Die unsichere Jugendliche von damals lebte weiterhin in mir und verband ihre Freizügigkeit mit Humor, um sich selbst davor zu schützen, ernst genommen zu werden.

Alison Stevenson stripping on a stage

Die Autorin

Im Laufe der wochenlangen Vorbereitungen schaffte ich es allerdings, meine Angst und meine Zweifel zu besiegen. Die Frauen, die mit mir an den Stangen tanzten, halfen mir dabei immens. Durch sie wusste ich, dass ich nicht alleine bin. Als ich meine Freundin Linda fragte, wie sie gegen ihre negativen Gedanken über sich selbst ankämpfte, antwortete sie: "Ich habe keinen Bock mehr darauf, mich von dieser destruktiven Denkweise aufhalten zu lassen. Von anderen Menschen lasse ich mir doch auch nicht reinreden, warum also von mir selbst?"

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Das überwältigende positive Feedback, das wir von vielen Menschen bekamen, als sie zum ersten Mal von unserer Stripshow hörten, bekräftigte uns dann weiter in unserem Vorhaben. Alle Online-Tickets waren innerhalb von nur einer Woche ausverkauft. Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr. Gleichzeitig waren Elizabeth, Linda und ich richtig froh darüber, dass nicht nur wir uns eine solche Veranstaltung wünschten. Und letztendlich haben wir mit Thicc Strip 511,55 Dollar zusammenbekommen, die wir an eine gemeinnützige Organisation spenden konnten, die sich um obdachlose Frauen in Los Angeles kümmert.

Durch das Strippen war ich gezwungen, meine Komfortzone zu verlassen. Allerdings bin ich so auch zu einer Frau geworden, die sich nicht auch immer hinter einem Witz verstecken muss, wenn sie ihre Sexualität zum Ausdruck bringen will. Alle Frauen, die in irgendeiner Weise bei Thicc Strip involviert waren, hatten ihre Gründe, dabei zu sein. Das war meiner. Wir alle sollten etwas in unserem Leben haben, das uns dazu bringt, die eigenen Unsicherheiten zu konfrontieren und zu überwinden – manchmal mit Klamotten und manchmal eben ohne.

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A woman in a mask standing in front of a pink curtain
dollar bills on a floor
A stripper on a pole
A stripper in a msk, clinging on to a pole
A stripper on a stage
A stripper swinging on a pole
A stripper on a stage