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Musik

Der Pilzflüsterer

1980 hörte Václav Hálek das erste Mal einen Pilz singen. Seitdem lauscht der 70-Jährige ihnen wie besessen und übersetzt ihre Stücke in Filmmusik für Symphonieorchester.

Es war 1980, als Václav Hálek das erste Mal einen Pilz singen hörte. Seitdem lauscht der 70-Jährige ihnen wie besessen und übersetzt ihre Stücke in Filmmusik für Symphonieorchester. Aktuell hat er 5.000 Pilzlieder und jeden Tag kommt mindestens ein neues dazu—wenn gerade Pilzsaison ist. Das finde ich gut, denn der Gedanke an singende Pilze erfüllt mich mit Demut und Erstaunen.
 
DOWNLOAD: Václav Háleks Symphonie
 
VICE: Wieso kannst du Pilze hören?
Václav Hálek: In den späten 70ern bin ich mit einem Mykologen [einem Spezialisten für Pilzwissenschaften] nach Prag gereist, um dort wilde Pilze zu fotografieren und zu dokumentieren. Eines Tages fanden wie diesen Pilz mit dem Namen zvoneček sadní [das ist ein Kerbrandiger Napfbecherling] und er fragte mich, ob ich einmal durch die Linse schauen wollte. Als ich es tat, hörte ich diese Musik wie von einem ganzen Symphonieorchester. Es fing mit einem Streicherpizzicato an, dann kam eine Flöte.
 
Bist du ausgeflippt?
Nein, ich hab mir ein Stück Papier geschnappt und hab alles aufgeschrieben, was ich gehört hatte. Ich wusste, dass ich etwas Einzigartiges entdeckt hatte. Später fanden wir einen anderen Pilz. Es war ein Sägeblättling und wieder hörte ich Musik. Es gab mir einen Einblick in den unendlichen Kosmos, so wie die Bilder aus dem Tiefen des Weltalls vom Hubble Teleskop. Als ich nach Hause kam, wurde mir bewusst, dass ich eine ganze Symphonie über Menschen, den Kosmos, die Natur und wilde Pilze schreiben wollte. Also tat ich es.
 
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Verbindung zwischen den Pilzen und deinen Kompositionen wirklich verstehe. Glaubst du tatsächlich, dass Pilze bewusste, singende Entitäten sind?
Sie haben die gleiche Fähigkeit zur nonverbalen Kommunikation wie, sagen wir, Blumen, Tiere oder Bäume.
 
Ah, genau.
Immer, wenn ich mit einem Pilz in Verbindung trete, empfinde ich im Grunde die gleichen zwei Dinge. Erstens, dass der Pilz erfreut ist, dass ich es bemerke, woraufhin er mir zeigen möchte, was er ist und warum er auf der Welt ist. Dann entsteht eine Komposition. Manchmal zwinkere ich ihnen zu, wenn ich die Musik höre.

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Sprechen unterschiedliche Spezies von Pilzen in verschiedenen Sprachen zu dir?
Nein, nein. Aber mir sind öfter merkwürdige Dinge aufgefallen. Wenn ich eine Gruppe gibt, also drei oder vier, habe ich das Gefühl, dass sie sich auf einander zu bewegen. Als ob sie tanzen, fast, als ob sie auf einem Ball wären.
 
Aber spielen verschiedene Arten von Pilzen unterschiedliche Melodien?
Ja, die Unterschiede sind sehr subtil, aber weil ich schon seit 20 Jahren mit ihnen komponiere, kenne ich ihre Lieder und ich kann die Eigenschaften von bestimmten Typen heraushören.
 
Also haben die Pilze verschiedene gattungsspezifische Charakterzüge?
Das weiß ich nicht. Ich sehe es anders. Jede Gattung hat seinen eigenen, speziellen Auftrag, aber jede Gattung hat ebenso sein eigenes, spezielles Geheimnis, denn auf der Erde ist alles voll mit Geheimnissen. Immer wenn ich schreibe, rühre ich also in gewisser Weise an diesem Geheimnis.
 
Wie viele Kompositionen hast du bisher schon zusammengestellt?
Na ja, ich habe schon fast 2000 Pilzarten geschafft. Einige haben rund 20 Kompositionen, einige nur eine. Nehmen wir den Lepista saeva, den lilastieligen Rötelritterling, der hat über 60 Lieder, denn er wächst weiter, selbst wenn kein anderer Pilz mehr wächst. Ingesamt habe ich 4500 Stücke für die Violine, 200 für die Bratsche, 200 für das Cello und dann noch eine Menge Duette.
 
Lachen die Leute nicht über dich?
Nein, überhaupt nicht. Meistens kommen sie zu mir und erzählen mir, dass meine Musik sehr beruhigend auf sie wirkt.

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Dieses Jahr hast du ein Stück für den Papst aufgenommen, oder? War das eine Art heilige Botschaft von den Pilzen zum Papst?
Nein, das war es nicht. Es waren Kompositionen, die auf der Stimme des Papstes beruhen. Ich bin mir nicht sicher, ob er sie jemals gehört hat, aber ein Freund von mir, ein Bischof, hat mir versprochen, sie ihm zukommen zu lassen.
 
Wenn ich der Papst wäre, würde ich gerne ein Duett von mir mit ein paar Pilzen hören. Wann ist die beste Zeit zum Komponieren?
Früh am morgen. Wisst ihr, ich kann sowieso nicht mehr so gut schlafen, also wache ich auf und fange an zu beten. Dann hole ich ein paar Pilze hervor, die ich gefunden habe und fange an, noch stärker zu beten, aus Dankbarkeit. Ich denke, wenn ein Mensch fähig ist, Dankbarkeit zu zeigen, dann ist er leichter dazu in der Lage, von etwas in Staunen versetzt zu werden. Das versuche ich, ich möchte dieses erste Gefühl des Wunderbaren und der Überraschung wieder hervorbringen. So wie ein kleiner Junge, wenn er das erste Mal das Meer sieht. Es fühlt sich wie eine Offenbarung an. Und jetzt suche ich diese Offenbarung durch meine Kunst. Jedes Mal, wenn ich komponiere, offenbart sich dadurch auch ein klein wenig Gott.

Herr Halek, was ist der Sinn des Lebens?
Das Leben bietet großartige Möglichkeiten, die Schönheit der Schöpfung zu beobachten. Die Schönheit der Natur und alle Facetten des spirituellen Lebens. Außerdem such ich immer nach Möglichkeiten Gott zu loben und zu preisen. Man muss nur aufpassen, dass man keine Menschen überhöht.

OK, wir denken daran. Danke, Václav!