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Antisemitismus

Bonn: Jüdischer Professor wird angegriffen – und erhebt nun Vorwürfe gegen die Polizei

"Polizeigewalt ist einer der kränksten Aspekte der amerikanischen Gesellschaft. Man könnte annehmen, dies sei anders in Deutschland. Doch ich bezweifle das sehr."
Foto: Imago | xcdnx

Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die man als jüdischer Besucher oder Besucherin in Deutschland erwarten würde. Dazu gehören: Bewusstsein für die Verbrechen des NS-Regimes, Sensibilität für die besondere Geschichte des Judentums und dementsprechend Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Dazu gehören nicht: antisemitische Übergriffe und Polizeigewalt. Genau die sind aber dem israelischen Professor Yitzhak Melamed widerfahren.

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Am Mittwochnachmittag vergangener Woche war der Professor aus Baltimore mit einer Kollegin im Bonner Hofgarten spazieren, als ihn ein 20-jähriger Deutscher mit palästinensischem Migrationshintergrund auf die Kippa auf seinem Kopf ansprach. Im Anschluss soll der Deutsche den Professor mit Parolen wie "I fuck Jews" und "Keine Juden in Deutschland" beleidigt, geschubst und ihm wiederholt die Kippa vom Kopf geschlagen haben.

Als die Polizei eintraf, flüchtete der Angreifer. Doch statt den 20-jährigen Tatverdächtigen zu stellen, gingen die Beamten auf den 50-Jährigen los. Die Einsatzkräfte sollen ihn zu Boden gerissen und ihm "einige Dutzend Schläge" ins Gesicht gegeben haben, sodass er geblutet habe, berichtet er auf seinem Facebook-Account. Auf Englisch habe der Philosophie-Professor geschrien, er sei der falsche Mann. Einer der Polizisten habe daraufhin auf Englisch geantwortet: "Don’t get in trouble with the German Police!" Melamed habe erwidert, dass sein Großvater, seine Großmutter, sein Onkel und seine Tante 1942 von deutschen Polizisten ermordet wurden – und er keine Angst vor der deutschen Polizei habe. Die Polizei bestätigt in einer Pressemitteilung, dass sie den 50-Jährigen fälschlich für den Angreifer gehalten habe.

"Menschliche Fehler können passieren, aber die Schläge waren keine Fehler"

Schließlich konnte Melameds Begleitung die Verwechslung aufklären und die Beamten den Tatverdächtigen fassen. Die Bonner Polizeipräsidentin, Ursula Brohl-Sowa, entschuldigte sich nach dem Vorfall bei dem Professor persönlich, sodass Melamed und sie "als Freunde auseinander gegangen" seien, wie er selbst sagt. Alles ein Missverständnis also, das eigentlich nicht der Rede wert ist?

Nachdem Melamed am Donnerstag in den Flieger zurück in die USA gestiegen war, erreichte ihn die Pressemitteilung der Polizei. Darin wird berichtet, dass er Widerstand geleistet haben soll, weshalb die Beamten ihm überhaupt erst ins Gesicht geschlagen hätten. Darüber habe er sich sehr geärgert, weil das aus seiner Sicht eine Verdrehung der Geschehnisse und eine "grundlose Lüge" sei. Auch Augenzeugen haben seine Version des Vorfalls gegenüber dem Bonner General-Anzeiger bestätigt und sprachen davon, dass die Polizei "äußerst brutal" vorgegangen sei und sich ein "hollywoodreifer Kampf" zugetragen habe. Ein wehrloser Jude, dessen Familienangehörige von Deutschen getötet wurden, wird in Deutschland 2018 also erst Opfer von Antisemitismus – und dann von Polizeigewalt.

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Der Fall hat inzwischen auch die Universität Bonn alarmiert. "Sein Bericht über die antisemitische Attacke und die Brutalität der Polizei, die während seiner fehlgeleiteten Festnahme gegen ihn angewandt wurde, entsprechen nicht dem, was bisher berichtet wurde", sagte der Rektor der Universität Bonn, Michael Hoch. Man sei schockiert über das Ausmaß der dem Professor zugefügten Verletzungen und wolle die Initiative des Innenministers, Herbert Reul, nachdrücklich unterstützen, "eine unabhängige Untersuchung einzuleiten".

"Menschliche Fehler können passieren, aber die Schläge waren keine Fehler, ich lag bewegungsunfähig am Boden und konnte kaum atmen", schreibt Melamed auf seiner Facebook-Seite. "Polizeigewalt ist einer der kränksten Aspekte der derzeitigen amerikanischen Gesellschaft." Sie sei rassistisch und abscheulich. Man könnte annehmen, dies sei in Deutschland anders. "Doch ich bezweifle das sehr."

Neben Antisemitismus wird in Deutschland nun also auch über Polizeigewalt diskutiert werden müssen. Melamed ist sich sicher, dass der einzige Grund, weshalb die Polizeipräsidentin sich bei sich entschuldigt habe, seine Professur an der John Hopkins University sei. "Wenn ich einer der Underdogs der deutschen Gesellschaft gewesen wäre", so Melamed, "hätte es keinen gekümmert und niemand hätte die Beschwerde ernst genommen."

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