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Gastfreundlichkeit

So überlebst du Mehmooni-Fressorgien im Iran

Iranische Gastfreundlichkeit kann schlecht für deine Gesundheit sein, da dich deine Gastgeber bis zum Umfallen mit Kalorienbomben füttern werden. Darum hier ein paar wertvolle Surival-Tipps.

Zum Thema Gastfreundlichkeit im Iran musst du nur zwei Dinge wissen. Erstens: Der Begriff mehmooni bedeutet „Party" auf Persisch. Zweitens: Eine mehmooni ist der schnellste und sicherste Weg, um im Krankenhaus zu landen oder 3o Pfund zuzulegen. Während meines fünfmonatigen Aufenthalts in Isfahan musste ich mehr als nur eine mehmooni durchstehen und deren bloße Erwähnung hat in den letzten Wochen meistens schon ausgereicht, um mich krampfhaft nach einem Magenmittel umzuschauen. Dies hatte aber weder mit der Qualität des dort angebotenen Essens noch mit der Zubereitungsart zu tun. Schuld hatte einzig und allein t'aarof.

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T'aarof steht für eine im Iran gepflegte kulturelle Praxis, die geprägt ist von überschwänglicher Höflichkeit und Gastfreundlichkeit. Diese durchzieht so ziemlich alle Sphären des öffentlichen Lebens. Wenn du beispielsweise ein Taxi nimmst oder dich auf eine Shoppingtour begibst, wird der Fahrer bzw. der Verkäufer—wenn du wissen willst, wie viel du zu berappen hast—reichlich t'aarof an den Tag legen, indem er etwa mit „ghabele nadare" antwortet, was soviel wie „es ist wertlos" bedeutet. Dann ist der Kunde an der Reihe und muss etwas Nettes sagen und solange darauf bestehen, für die geleisteten Dienste zu bezahlen, bis er endlich einen Preis hört.

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Während einer mehmooni demonstrieren die Gastgeber t'aarof, indem sie in einer Tour immer mehr Essen auftischen, das der Gast am Anfang höflich abzulehnen hat. Selbst dann, wenn er eigentlich gerne probieren würde, was ihm soeben angeboten wurde, wird zuerst ein „Nein, danke" erwartet. Als jemand, der außerhalb vom Iran aufgewachsen ist, habe ich gelernt, dass ein „Nein" nun mal, na ja, „Nein" bedeutet. Nicht aber im Iran. Denn hier hören Gastgeber hinter jedem „Nein, danke" stattdessen ein „Ich würde das gerne essen, aber dafür musst du mich schon noch mehr bitten."

Diese Erkenntnis hat mich zu der Entscheidung geführt, ein How-To zum Überleben von mehmoonis zu entwickeln. Dazu ist erforderlich, sich irgendwie vorm t'aarof, und damit einhergehend vor dem ungewollten Essen bis zum Schlechtwerden, zu drücken. Damit meine ich freilich nicht, dass du vor jeder mehmooni hungern sollst—ich bin schließlich selbst Ernährungswissenschaftlerin. Aber in Extremsituationen dieser Art müssen auch schon mal die harten Geschütze aufgefahren werden.

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1. Stell dich krank! Der Höhepunkt der mehmooni-Saison beginnt gleich nach Ende der Nouruz-Feierlichkeiten. In den ersten 13 Tagen des neuen Jahres wird von dir erwartet, dass du alle deine Verwandten besuchst, und dieselben Verwandten müssen auch bei dir vorstellig werden. An einem Tag hat es mich besonders schwer erwischt, da ich gleich auf DREI verschiedenen mehmoonis eingeladen war. Auf jeder einzelnen Fressorgie wird dann vorausgesetzt, dass du reinhaust, als hättest du gerade eine Woche Saftdiät hinter dir. Am dreizehnten Tag habe ich dann Magenschmerzen vorgetäuscht, um nicht noch wirklich welche zu bekommen. Kleiner Tipp: Denk dir doch sicherheitshalber auch noch Kopfschmerzen, Übelkeit oder Durchfall aus. Viel hilft viel.

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2. Merk dir: Nach dem Essen ist vor dem Essen! Deine generösen Gastgeber haben dich an eine Kaffeetafel gesetzt, wo ein Teller mit Früchten und eine Schüssel ajil—eine Mischung aus Pistazien, Mandeln, Cashews, Haselnüssen, verschiedenen Samen und Rosinen—auf dich warten. Zudem werden dir gaz und sohan—zwei Süßigkeiten—sowie Kuchen und Chai angeboten. Dazu darf sharbat, ein süßes Getränk aus verdünntem Fruchtsirup, natürlich nicht fehlen. Jetzt mustern sie die ganze Zeit deinen Teller und ermutigen (lies: zwingen) dich, bloß alles zu probieren. Beim Anblick dieser Köstlichkeiten wirst du schließlich schwach und beschließt, so richtig reinzuhauen. Also greifst du nach einer Banane, einem Pfirsich, etlichen Feigen sowie einem Haufen Pistazien, Haselnüssen und Rosinen. Auch der Chai ist köstlich, besonders dann, wenn du dazu gaz und sohan naschst. Zum Abschluss gönnst du dir noch ein großes Glas sharbat. Jetzt bist du echt voll, aber dafür hat es auch köstlich geschmeckt.

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Und dann werden wir alle ins Esszimmer gerufen: „Abendessen ist fertig." Abendessen? Du hörst richtig. Zeit, mal was Anständiges zu essen.

3. Erfinde Lebensmittelunverträglichkeiten (und kenn ihre Symptome)! „Mist, ich bin gegen Nüsse, Weizen, Milch und Bananen allergisch. Und Diabetes habe ich wahrscheinlich auch noch." Iraner werden keinen Druck ausüben, wenn sie wissen, dass dir das Essen nicht bekommen würde. OK, vielleicht ein bisschen Druck. Und sie werden dir Fragen zu deinem Leiden stellen, also mach deine Hausaufgaben, damit du bei Fragen wie „Was nimmst du gegen deine Diabetes?" auch ja eine schlaue Antwort parat hast.

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4. Konzentrier dich auf Lebensmittel, die Müll hinterlassen! Wenn du das Lügen nicht erfunden hast, bleibt dir immer noch die Möglichkeit, dich auf die Lebensmittel zu konzentrieren, deren Verzehr viel Zeit in Anspruch nimmt und reichlich Abfall auf deinem Teller zurücklässt. Pistazien etwa werden gewöhnlich samt Schale gereicht. Iss sie! Denn so sehen deine Gastgeber eine fortwährende Hand-zu-Mund-Bewegung und einen stetig wachsenden Schalenhaufen, sodass der Eindruck entsteht, du hättest ordentlich was verputzt. Wenn deine Wahl hingegen auf Obst fällt, sind alle Früchte mit ungenießbarer Schale wärmstens zu empfehlen—also Orangen, Bananen und Kiwis. Hände Weg von Mandeln und Haselnüssen, denn die hinterlassen keine Schale. Und somit fehlt es dir an sichtbaren Beweisen, schon etwas gegessen zu haben. Das Gleiche gilt für Kuchen, Rosinen oder sohan, ein Toffee mit Safrangeschmack. Gaz—eine Nugatköstlichkeitwird oft noch eingepackt serviert. Das ist deine Chance! Also zugreifen, die Hälfte kosten und den Rest samt Papier auf den Teller für Essensabfälle legen.

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Denn das ist das Paradoxon hinter jeder mehmooni-Mästung: Wenn deine Gastgeber einen leeren Abfallteller erblicken, denken sie, dass du noch nichts gegessen hast, und werden dafür sorgen, dass du noch etwas isst. Wenn du dann alles isst, was dir angeboten wird, gehen sie davon aus, dass du noch Hunger hast, und werden folglich immer mehr auftischen. Ein voller Abfallteller ist deine einzige Rettung aus diesem Teufelskreis.

5. Spiel mit deinem Essen! Wenn du nicht gerade sehr dicke mit deinen Gastgebern bist, wird das als unhöflich angesehen werden. Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn in deiner Nähe kleine Kinder sitzen, die unterhalten werden müssen. Bei meiner letzten mehmooni, als ich mal wieder kurz vorm Platzen war, kam ich auf die Idee, aus Früchten und Nüssen menschliche Figuren zu formen. Sofort wollten zwei Nichten von mir mitmachen, was dazu führte, dass mein Treiben mehr nach einem Spiel für Kinder als bloße Essensverschwendung aussah. Auf jeden Fall wurde mir kein weiteres Essen mehr angeboten.

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6. Iss nichts vorher! Wenn am Nachmittag oder am Abend eine mehmooni ansteht, nehme ich für gewöhnlich nur ein kleines Frühstück und Mittagessen zu mir und halte danach die Füße still, bis die Fressorgie ihren Lauf nimmt. Wenn die mehmooni erst sehr spät angesetzt ist, halte ich mich nach dem Lunch durch Chai mit Kandis fit. Wenn deine mehmooni um zehn beginnt, wirst du noch nach Mitternacht Unmengen von Essen serviert bekommen—selbstverständlich nachdem du schon all die Früchte, Nüsse und Süßigkeiten intus hast. Und vergiss nicht, dass nach dem Dinner weitere Süßigkeiten auf deinem Teller landen, also sorg (irgendwie!) für ein bisschen Rest-Stauraum in deinem Magen.

Auch wenn dir die iranische Gastfreundlichkeit bisweilen den letzten Nerv rauben kann, ist sie dennoch eine wunderschöne Sache. Der Gedanke dahinter ist schließlich, seinen Gästen nur das Beste vom Besten anzubieten. Und natürlich bin ich mir auch darüber im Klaren, was für ein immenser Aufwand hinter dem Ausrichten einer mehmooni steckt. Was wiederum meine sechs Regeln ins Spiel bringt. Denn durch sie konnte ich trotz mehmooni-Marathons nicht nur (einigermaßen) mein Gewicht halten, sondern kam zudem in den Genuss der meisten mir angebotenen Köstlichkeiten, ohne dass mir deswegen übel wurde oder ich den Gastgebern vor den Kopf stoßen musste.