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10 Fragen

10 Fragen an eine Justizvollzugsbeamtin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie bricht man am besten aus dem Gefängnis aus? Wie oft werden Häftlinge vergewaltigt? Woher bekommen die Häftlinge Drogen, wenn nicht von dir und deinen Kollegen?
Symbolfoto – das ist nicht Lisa | Foto: imago | Rolf Kremming

Mehr als 800 Männer sitzen in der Justizvollzugsanstalt Tegel, einem der größten Gefängnisse Deutschlands. Darunter sind Betrüger, Kinderschänder und Mörder. Mittendrin arbeitet Lisa* als Justizvollzugsbeamtin. Morgens geht die 32-Jährige ihre Runde, öffnet und verschließt diverse Türen hinter sich und übernimmt ihre Schicht vom Kollegen.

Lisa hatte früher einige Jobs. Zum Beispiel hat sie als Detektivin Menschen observiert und als Türsteherin vor Clubs für Ordnung gesorgt. Damals seien Mitglieder arabischer Clans mit Macheten aufgetaucht, Kollegen seien verletzt oder sogar getötet worden, sagt sie: "Das kann man nicht machen, bis man 65 ist." Um einen festen und geregelteren Job zu haben, bewarb sie sich bei der JVA Tegel. Viel ungefährlicher findet sie das aber nicht. Deshalb spricht sie anonym mit uns. Es sei gefährlich, wenn Häftlinge private Informationen über sie hätten, sagt sie. Das Gefängnis ist trotzdem kein beklemmender Ort für Lisa: "Es gibt hier ein normales Leben, einen geregelten Tagesablauf, nur die Türen sind abgeschlossen." Die Menschen hätten falsche Vorstellungen von Gefängnissen. Wir haben Fragen.

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VICE: Wie bricht man am besten aus dem Gefängnis aus?
Lisa: Das ist nicht unmöglich, aber schon lange nicht mehr passiert. Vor meiner Zeit hat sich jemand unter einen Lieferwagen gehängt und ist rausgekommen, weil wir keine Wärmebildsensoren an den Eingängen haben. Der war aber schnell wieder gefasst. In Deutschland ist es schwierig, auszubrechen und zudem ist die Energie dafür bei den meisten nicht vorhanden. Da passiert es eher, dass jemand vom Ausgang nicht zurückkommt.

Lisas Arbeitsplatz, die JVA Tegel | Foto: imago | Schöning

Wie kannst du Häftlinge schikanieren, die dir unsympathisch sind?
Wir können jemandem das Fernsehen verbieten und ihn vom Sport ausschließen, aber das ist keine Schikane, sondern eine Disziplinarmaßnahme. Die bekommt nur, wer gegen Regeln verstößt. Ich könnte niemandem den Fernseher wegnehmen, nur weil mir sein Gesicht nicht passt, wie man das aus Serien kennt. Schikanieren – das machen die Gefangenen untereinander. Sie machen Geschäfte, erpressen sich und üben Druck aufeinander aus. Manchmal gibt es offene Schlägereien. Kinderschänder haben es besonders schwer. Sie werden von den Gefangenen ausgeschlossen. Ihnen wird verbal und körperlich klar gezeigt, was von ihnen gehalten wird. Dieses Delikt geht den Gefangenen zu weit. Selbst Mörder werden nicht so schikaniert wie Kinderschänder.

Was ist das Dümmste, was man als Justizvollzugsbeamtin machen kann?
Private Dinge preisgeben. Gerade Betrüger sind geschickt und wollen einen in Gespräche verwickeln. Mit diesem Wissen wollen sie dich unter Druck setzen. Sie geben es an Leute von draußen weiter. Die Hintermänner können dir hinterherfahren und herausfinden, wo du wohnst. Einem Kollegen wurde mal gedroht: Der Insasse wisse, wo der Sohn zur Schule gehe. Ein Ausgänger ist mal im Auto neben mir auf der Autobahn aufgetaucht, bei Haftkontrollen haben wir auf Handys der Häftlinge Fotos von uns Beamten gefunden. Ein Gefangener hat meine private Telefonnummer herausgefunden und mich nachts angerufen und belästigt. Ich habe meine Nummer gewechselt und dann war es gut, aber die Sache war schon gruselig. Deshalb darf ich durch persönliche Informationen keine Angriffsfläche bieten. Einige Häftlinge überlegen ständig, wie sie uns erpressbar machen können.

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Wünschst du dir manchmal die Todesstrafe zurück?
Nein, die würde den ein oder anderen davon abhalten, sich mit seiner Schuld bewusst auseinander zu setzen. Die Häftlinge sollten ihre Strafe verbüßen. Mit der Todesstrafe ist den Hinterbliebenen der Opfer auch nicht geholfen.

Drückst du manchmal ein Auge zu, wenn du einen Häftling heiß findest?
Diese Situation ist nicht mit einem Büroflirt vergleichbar. Die Gefangenen sind meine Schutzbefohlenen. Vielleicht kann man es sich vorstellen wie mit dem Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Wenn ich in die Situation kommen würde, dass ich mich zu jemandem hingezogen fühlen würde, dann würde ich es melden und wahrscheinlich meinen Arbeitsplatz verlassen. Schon mich auf solche Gedanken einzulassen, ist ein absolutes Tabu für mich.

Einzelzelle, warmes Essen, Fernseher auf dem Zimmer. Findest du, deutsche Häftlinge haben es zu gut?
Einige nehmen Strafen in Kauf, gerade im Winter. Ich weiß auch, dass viele die Haftunterbringung in Deutschland als "Schöner Wohnen" bezeichnen. Es gibt drei vernünftige Mahlzeiten am Tag, die Häftlinge können eine Ausbildung machen und zur Schule gehen, arbeiten, es gibt Gruppenangebote und Sport. Zum Beispiel Tischtennis, Fußball und Volleyball. In der Sozialtherapie gibt es einen Kreativraum zum Basteln, es gibt eine Teich- und eine Aquariumgruppe. Unsere Kirche macht auch viel und es gibt jedes Jahr ein Theaterprojekt. Ich habe mal ein Gefängnis auf Sansibar besucht. Da haben die Insassen in einem Dorf gewohnt, drumherum deren Bewacher. Die waren auf sich allein gestellt und darauf angewiesen, dass Verwandte sie mit dem Nötigsten versorgen. Trotzdem kommt es mir persönlich nicht so vor, als würde es unseren deutschen Gefangenen zu gut gehen.

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Eine Zelle in der JVA Tegel | Foto: imago | Rolf Kremming

Woher bekommen die Häftlinge Drogen, wenn nicht von dir und deinen Kollegen?
Dass Angestellte der JVA zum Drogenschmuggel erpresst werden, kann ich mir vorstellen, ich habe so etwas aber noch nie mitbekommen. Die meisten Drogen kommen per Post. Zum Beispiel in Briefen vom Verteidiger, die wir nicht kontrollieren dürfen. Bestimmte Besuchergruppen dürfen wir auch nicht durchsuchen. Sehr oft werfen die Menschen Drogen über die Außenmauer. Wir müssen auch mit Abwürfen per Drohne rechnen. Und natürlich hat die körperliche Besucherkontrolle Grenzen. Wenn jemand was verstecken und mit reinnehmen will, dann tut er es.

Die Insassen haben Verbrechen wie Betrug oder Mord begangen, hast du trotzdem Mitleid mit ihnen?
Ich lerne krasse Schicksale kennen, an denen ich auch teilnehme. Manche sind in etwas hineingerutscht. Teilweise hatten die Häftlinge eine grausame Kindheit. Manche haben auch in ihrem Leben sonst noch nie jemandem etwas getan und haben in einer Situation falsch reagiert. Manchmal lese ich Akten und denke: Das könnte jedem passieren. Was genau in diesen Akten steht, darf ich aber aus Datenschutzgründen nicht sagen. Mitleid wäre trotzdem fehl am Platz. Jemand, der sich ernsthaft mit seiner Schuld auseinandersetzen will, will das auch nicht. Mitleid habe ich mit den Opfern und deren Hinterblieben.

Foto: imago | phototek

Wie oft werden Häftlinge vergewaltigt?
Sowas gehört bei uns wirklich nicht zum Alltag, anders, als man das aus Knastfilmen kennt. Wenn sich aber jemand meldet, erstatten wir Strafanzeige und verlegen den Häftling auf eine Schutzstation. Wie alle anderen, die schikaniert werden.

Wurdest du von einem Gefangenen schonmal angemacht?
Einmal hat sich ein Gefangener Anfang 20 ein bisschen in mich verliebt. Ich denke, ich war so eine Art Mutterersatz für ihn. Manchmal schreien oder pfeiffen Insassen mir nach, aber das macht mir nichts. Die haben halt Langeweile, dann lauf ich hier als Frau durch die Anstalt und dann wird halt gebrüllt, dass ich 'nen schönen Hintern hätte. Manche wünschen mir auch einen guten Morgen, das ist ganz unterschiedlich. Es geht da oft gar nicht um mich als Person, die da unter den Fenstern entlangläuft. Meistens ist das einfach ein Kommunikationsversuch.

*Name geändert

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