Ich habe versucht, mit "Needle Play" meine Angst vor Nadeln zu überwinden

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Ich habe versucht, mit "Needle Play" meine Angst vor Nadeln zu überwinden

Was andere anturnt, ist für mich der größte Albtraum.

Mein erstes Angsterlebnis, an das ich mich erinnern kann, hatte ich bei einer Impfung. Ich war etwa fünf und als ich diese gigantische Spritze sah, schrie ich so laut, dass ich der Arzthelferin einen Tinnitus verpasst haben dürfte. Auch 20 Jahre später hat sich mein Verhältnis zu allem, was man in oder unter die Haut sticht, nicht verändert. Allein beim Gedanken an Spritzen fange ich an zu schwitzen.

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Als ich auf der BDSM-Website Fetlife über "Needle Play" beziehungsweise "Play Piercing" stolperte, wollte mir einfach nicht in den Kopf, wie es einen Menschen sexuell erregen kann, sich Nadeln in den Körper zu stecken oder stecken zu lassen. Als ich weiter auf der Seite stöberte und eine Anzeige für einen Needle-Play-Workshop in Amsterdam entdeckte, hielt ich das für eine gute Gelegenheit, Lust in meinem Schmerz zu finden und meine Angst zu überwinden.

Ich kontaktierte den Workshop-Leiter, Hans, und fragte ihn, ob die Veranstaltung auch für Menschen geeignet sei, die panische Angst vor Nadeln haben. Der 57-Jährige zeigte sich verständnisvoll – so verständnisvoll, dass er anbot, mir eine private Session auf seinem Hausboot zu geben. OK, warum nicht?

Hans präsentiert mir seine Nadelsammlung

Am Tag unseres Treffens bezweifle ich, ob das wirklich die beste Idee meines Lebens war. Mein fünfjähriges Ich ist jedenfalls schlecht auf mich zu sprechen. Aber als ich Hans' Boot betrete, zerstreuen sich meine Zweifel. Er trägt ein rosafarbenes Hemd, ist freundlich und zuvorkommend und bietet er mir Tee und Muffins an.

Ich hatte ich eine Art BDSM-Dungeon voller Latex-Allerlei, Sex-Schaukeln und einem Esstisch erwartet, der gleichzeitig als Foltervorrichtung dient. Abgesehen von einer Peitschensammlung weist allerdings nichts auf dem Hausboot auf Hans' sexuelle Vorlieben hin. Stattdessen ist der Raum voll mit Spielzeug, Puppen und pinkfarbenem Kinderkram.

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"Die sind von meiner Frau", versichert er. "Die steht auf Ageplay und spielt dabei gerne ein kleines Mädchen."

Hans' gut bestücktes Needle-Playkit

Hans hat sein Handwerk bei Workshops einer Sadomasochismus-Vereinigung gelernt, die die sichere Anwendung propagiert. "Der allererste Nadel-Workshop, bei dem ich mitgemacht habe, war allerdings grauenvoll", erinnert er sich. "Der Leiter wollte einfach nur Nadeln in Frauenbrüste stecken. Sicherheit war ihm total zweitrangig." Dabei seien doch Kommunikation und Safewords beim Ausprobieren von BDSM mit das Wichtigste, sagt Hans. Vor allem dann, wenn der Partner anfangs nicht besonders daran interessiert ist, sich fesseln und mit spitzen Objekten piksen zu lassen. "Sprich das Thema zwanglos an und betone den Spaß daran", sagt er. "So weckst du Neugier."

Hans hat die beeindruckende Fähigkeit, Needle Play wie eine ganz normale Massagesitzung klingen zu lassen. Den Reiz dahinter verstehe ich aber immer noch nicht, also frage ich ihn direkt: "Warum sollte es sexuelle Lust bereiten, sich Dutzende Nadeln in die Haut stechen zu lassen?"


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"Es geht vor allem darum, das körperliche Gefühl zu genießen und zu wissen, dass jemand wortwörtlich unter deine Haut gehen kann", sagt er. "Du gibst deinem Partner die Kontrolle über deinen Körper, während du dich zurücklehnst und entspannst. Manchmal mögen es Menschen auch einfach, zum Objekt gemacht zu werden – sich wie ein Nadelkissen behandeln zu lassen. Und vor allem kannst du selbst entscheiden, welche Schmerzen du ertragen willst."

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Das kommt mir alles etwas viel vor, trotzdem versichere ich Hans, dass ich immer noch vorhabe, mir heute mindestens eine Nadel ins Fleisch rammen zu lassen. "Für erfahrene BDSM-Anhänger ist eine Nadel nichts", sagt er kichernd. "In der Regel benutze ich immer 25 bis 30 Nadeln an einer Frau. Aber für jemanden wie dich ist schon eine Nadel ein großer Schritt."

Bevor wir anfangen, geht Hans noch einmal alle Sicherheitsaspekte durch – inklusive PowerPoint-Präsentation. Ein Video endet mit einer Nahaufnahme eines Pins, der in der Haut einer Person verschwindet. Mir ist schlecht. Hans besteht darauf, dass ich mich für den Rest unserer Session hinsetze. "Nur für den Fall, dass du umkippst." Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt oder verstört.

Hier pierct sich Hans wie ein Profi

Hans wird mir keine Nadel in die Haut stechen, wenn ich es nicht vorher selbst geübt habe. Aber er begleitet mich bei dem Prozess. "Zuerst musst du die Nadel desinfizieren und eine gute Stelle auf deiner Haut finden", erklärt er. "Wackle nicht zu sehr damit rum oder du öffnest dir damit noch eine Wunde."

Während Hans seine eigene Haut desinfiziert, erklärt er seine Vorliebe für Sadismus. Seine Anreize seien der Schmerz, die sexuelle Erniedrigung und der Anblick einer devoten Frau. "Wenn zum Beispiel eine Frau noch nie einen Deep Throat gemacht hat, freue ich mich sehr darüber, wenn ich der erste bin, dem sie das erlaubt", sagt er. "Insbesondere wenn sie einen Gag-Ring trägt und ihren Mund nicht schließen kann."

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Dann nimmt Hans eine türkisfarbene Nadel aus seinem Erste-Hilfe-Set und legt ein Hello-Kitty-Pflaster für später beiseite. "Ich war mir bereits in jungen Jahren darüber bewusst, dass ich ein Sadist bin", sagt er. "Ich habe Barbies gefesselt, sie in schlüpfrige Outfits gekleidet und die sexuell grausamsten Szenarien nachgestellt. Bevor ich überhaupt wusste, wie eine Vagina aussieht, fantasierte ich bereits über grausame Dinge, die ich damit anstellen könnte."

Er zieht etwas Haut an seinem Bein zusammen und schiebt die Nadel hindurch.

Ich kämpfe mit meinen verschwitzten, nervösen Fingern, um ein bisschen Haut zusammenzukneifen

Bei Hans sieht das ziemlich einfach aus, aber als ich es selbst versuche, schaffe ich es nicht. Meine Finger sind so verschwitzt, dass ich es nicht hinbekomme, ein kleines Hautröllchen zu greifen. Schließlich pikse ich mich ein paar Mal mit der Nadel, bevor ich sie richtig durchsteche.

Der Schmerz ist stechend und kurz, der Adrenalinschub unfassbar intensiv. Es ist das Gefühl, meinen eigenen Körper zu kontrollieren, das so überraschend aufregend ist. Und obwohl es mich in keiner Weise sexuell anturnt, überkommt mich ein Gefühl von Stolz.

"Das ist deine Nadel, die du dir in dein eigenes Bein gestochen hast. Herzlichen Glückwunsch!", sagt mein Lehrer strahlend.

Ich muss erst an mir selbst üben, bevor ich Hans die Kontrolle überlasse

In der Vergangenheit, erklärt mir Hans, habe er Probleme gehabt, seinen Sadismus mit seinen persönlichen Überzeugungen zu vereinbaren.

"Ich bin ein Feminist und glaube, dass alle Frauen mit Respekt behandelt werden sollten", sagt er, während er nach einer weiteren Nadel greift. "Ich bin strikt gegen jede Form der Unterdrückung. Es ist also schwer, mir einzugestehen, dass ich es liebe, eine Frau leiden zu sehen. Es geht mir dabei um diese Impulse von Lust und Schmerz in ihren Augen und die Striemen auf ihrem Körper."

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Hans sagt, er sei erleichtert gewesen, als er schließlich Partnerinnen fand, die seine Fantasien teilten. "Ich lernte Frauen kennen, die froh waren, im Bett nicht länger das 'gute Mädchen' spielen zu müssen", erzählt er. "Sich fesseln zu lassen und die Kontrolle abzugeben, führt dazu, dass sie sie sich frei fühlen."

Nachdem ich mit meinen Aufwärmübungen fertig bin, ist Hans an der Reihe

Jetzt ist es an mir, die Kontrolle an Hans abzugeben. "Ich mache Dinge gerne unvorhersehbar", sagt er. "So weiß ich, dass jemand sich mir total unterworfen hat." Er wählt meinen Rücken, damit ich nicht sehe, wo und wann er die Nadel reinsteckt. Nachdem er meine Haut desinfiziert hat, beginnt er, mich behutsam zu streicheln. "Es ist wichtig, auf die Bedürfnisse des Körpers zu achten, sonst tust du einem Menschen einfach nur weh."

Ich fühle mich wieder so ängstlich wie am Morgen. Plötzlich, während Hans immer noch mit mir spricht, versenkt er eine Nadel in meinem Rücken. Ich schreie. Ich weiß nicht, ob vor Schmerz oder wegen des Adrenalins, das durch meinen Körper rauscht. "Dir wird auffallen, dass sich die Haut um die Nadel herum anders anfühlt", sagt er sanft. Er hat recht. Sie fühlt sich schroff und empfindlich an, wie abgeschürft.

Die Nadel in meinem Rücken

Es liegt jetzt an Hans, wann er mir die Nadel wieder aus meinem Körper zieht. Und als er es endlich tut, verstehe ich etwas besser, warum manche Menschen so sehr darauf stehen. Nicht nur achtest du auf Teile deines Körpers, die du normalerweise ignorieren würdest, das Gefühl nach dem Schmerz vermittelt dir dazu einen angenehmen Mix aus Freiheit und Entspannung. In vielerlei Hinsicht ist es vergleichbar mit diesem Vertrauensspiel, bei dem man sich rückwärts fallen lässt und von anderen aufgefangen wird. Du hast gegen deine Instinkte angekämpft, um eine bestimmte Angst zu überwinden – egal wie klein diese auch war. Ich kann mir vorstellen, wie aufregend es sein kann, sich dieser ganzen kleinen Sexverletzungen unter den Klamotten bewusst zu sein, während man gerade eine langweilige Unterhaltung mit dem Kollegen in der Kaffeeküche führt.

Ich persönlich fühle mich immer noch wohler ohne Nadeln in meinem Sexleben. Aber immerhin kann ich sagen, dass ich heute meine Angst vor Spritzen überwunden habe. Ich habe einer Person erlaubt, wortwörtlich mit einer Nadel unter meine Haut zu gehen. Das reicht mir vorerst.

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