Die unbeugsame Kunstszene Afghanistans

Kunst kann die Seele einer Nation widerspiegeln. In den letzten drei Jahrzehnten war Afghanistan vor allem durch die Kunst über den Krieg geprägt, die die Landschaft in den Farben Rot und Schwarz zeichnete. 

Trotz des Konflikts und des ehemaligen Taliban-Regimes, unter dem die Abbildung von Mensch und Tier—in Form von Fotos, Zeichnungen oder Gemälden—verboten war, hat die Kunst in Afghanistan nicht bloß überlebt, sondern sich als kreative und provokative Kraft in der Hauptstadt Kabul neu hervorgetan. 

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Vieles davon ist der Verdienst des Malers und Videokünstlers Raharan Omarzad. Omarzad hat in Kabul Bildende Kunst studiert, floh aber während der Herrschaft der Taliban nach Pakistan. Dort hat er ein Kunstmagazin für Afghanen gegründet und damit einen Funken afghanischer Kreativität am Leben erhalten.

„Es gab in dieser Zeit nichts für afghanische Künstler“, erzählt er. „Wir hatten keine Möglichkeit, unsere Arbeiten mit Anderen zu teilen.“

Als die Taliban von der Nordallianz mit Unterstützung des Westens gestürzt wurden, kehrte Omarzad nach Kabul zurück und veröffentlichte dort weiterhin sein Magazin. 

Mit der Hilfe einiger internationaler Organisationen wie der Open Society oder der Women of the World Foundation eröffnete er ebenfalls das Afghanische Zentrum für zeitgenössische Kunst und ein Frauenkunstzentrum.

„Das ist ein Ort, wo wir Anderen neue Fähigkeiten beibringen und über unser Land nachdenken können.“

Das Zentrum hat bereits Ausstellungen in Kabul, Deutschland und Frankreich veranstaltet. 

Omarzad zeigt uns seine Galerie im hinteren Teil seines Hauses. Die Decke ist sehr hoch. Alles wirkt wie in einem Loft. Auf dem Fußboden liegt Kies, an den Wänden hängen Eierkartons. In dem Raum stehen mehr als ein Dutzend fesselnder Arbeiten aus einer Ausstellung namens Ballons, die vor Kurzem stattfand.

„Die Ballons in dieser Ausstellung sind Symbole für leere Versprechungen“, erzählt er mit Verweis auf die Bilder. Darauf zu sehen sind Ballons und Burka tragenden Frauen oder Ballons umgeben von Stacheldrahtzaun. Das Bild Der Ballonverkäufer zeigt ein Skelett, das einen leeren Luftballon in seinen Händen hält. 

Während das Zentrum den afghanischen Künstlern die Möglichkeit bietet, in einer vergleichsweise sicheren Umgebung zu arbeiten—also sich auch künstlerisch gegen die Korruption und den Verrat seitens der Regierung auszusprechen—, zügelt Omarzad seine Aussagen wie jemand, der weiß, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung immer bedroht ist.

„Freie Meinungsäußerung hat überall auf der Welt einige Einschränkungen. Du wirst kein Land finden, in dem es komplett freie Meinungsäußerung gibt. Deshalb hat man auch in Afghanistan gewisse Einschränkungen …“, sagt Omarzad. „Wenn du als Künstler arbeitest, gibt es da ein kleines Risiko, aber das musst du akzeptieren. Wenn du das nicht tust, kannst du kein verantwortungsvoller Künstler sein.“ 

In Omarzads Zentrum lebt und arbeitet man mit diesem Risiko. Omarzad glaubt, dass die zeitgenössische Kunstbewegung aus Kabul zumindest die Chance bietet, das Bild eines neuen Afghanistan mit sowohl realen als auch leeren Versprechen widerzuspiegeln.

Hier ist eine Videotour durch das Afghanische Zentrum für zeitgenössische Kunst. 

Text, Video und Fotos von Kevin Sites

Kevin Sites ist einer der wenigen Journalisten, die auch vor den schlimmsten Kriegen nicht zurückschrecken. Als erster Kriegskorrespondent von Yahoo! News erlangte er Aufmerksamkeit, als er in den Jahren 2005 und 2006 über jeden größeren Konflikt auf der Welt berichtete. Dabei arbeitete er häufig im Alleingang und half dabei, die „Rucksackbewegung“ bei der Kriegsberichterstattung voranzutreiben. Derzeit reist Kevin durch Afghanistan und berichtet von der „Kampfsaison“, während internationale Streitkräfte wie die der Amerikaner abziehen. Für mehr von Kevins Kriegsberichten besucht weiterhin VICE.com.

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