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„Die AfD ist zum Unterwanderungsziel der Neuen Rechten geworden“

Ein Mitglied des Bundesvorstands erklärt, warum sie nach dem Riesen-Erfolg der AfD austritt—und warum Bernd Lucke von den Rechten bald aus seiner eigenen Partei geschmissen werden könnte.
Michaela Merz. Foto: Mathesar | Wkimedia | CC BY-SA 3.0

Nach Abschluss der Hochrechnungen letzten Sonntag ist es amtlich: Der enorme Erfolg der AfD in Sachsen war kein Ausreißer, ganz im Gegenteil. Mit 12 Prozent in Brandenburg und mehr als 10 Prozent in Thüringen ist die Partei mit Pauken und Trompeten in beide Landtage eingezogen. Die AfD-Parteigrößen überschlugen sich fast vor Freude: „Es wird uns keiner mehr verdrängen", triumphierte der Brandenburger Spitzenkandidat Alexander Gauland, sein Parteivorsitzender Bernd Lucke jubelte: „Wir sind die Kraft, die die politische Landschaft erneuert.“

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Man könnte also meinen, dass es gerade ziemlich Spaß macht, in der AfD zu sein. Umso überraschter war ich, als ich am Montag auf einen Text von Michaela Merz stieß, die dort ihren Austritt aus der Partei „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ bekanntgab. In dem Eintrag erzählt die IT-Unternehmerin von ihrer Enttäuschung darüber, „wie weit sich die AfD von der ursprünglich wirtschaftlich orientierten, liberal-konservativen und Euro-kritischen Partei entfernt hat.“ Stattdessen „scheint es dem Bundesvorstand zunehmend egal zu sein, welche politischen Philosophien sich unter dem Parteilogo versammeln – Hauptsache es gibt Stimmen und Geld.“ Also habe ich Michaela Merz angerufen, um mir erklären zu lassen, was genau sie an ihrer Partei so gestört hat—und wie es dazu kommen konnte.

Michaela Merz. Foto: Mathesar | Wkimedia | CC BY-SA 3.0

Frau Merz, Sie waren Mitglied des Bundesvorstands der AfD. Ist das nicht ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für einen Parteiaustritt, nachdem die Partei solche Erfolge erzielt hat?
Nicht wirklich. Ich habe mich ja nie als Politikerin gesehen, ich habe nie für irgendwelche Listen kandidiert oder mich für mögliche finanzielle Pfründe interessiert. Die Wahlergebnisse waren für mich einfach eine Frage, in wie weit dieser aus meiner Sicht massiv rechtspopulistische Kurs von der Bevölkerung mitgetragen wird.

Wenn wir ein schwächeres Wahlergebnis gehabt hätten—so sechs oder sieben Prozent—, dann hätten wir den Kampf noch mal aufnehmen können gegen diese rechten Parolen. Wir hätten sagen können: ,Schaut, das kommt beim Wähler nicht an’. Aber es ist eben beim Wähler angekommen, und dadurch sind diese Kräfte einfach noch deutlich stärker geworden. Das Liberale hat in der AfD keine Chance mehr. Das hat für mich das Signal gegeben, dass der Kampf erstmal vorbei ist.

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Welche Art Parolen sind Ihnen denn besonders aufgestoßen?
Wenn ein führender Funktionär der Partei wie Herr Höcke [Björn Höcke, Landessprecher und Spitzenkandidat der AfD Thüringen] offen mit identitären Wortspielereien umgeht, ohne dass er dafür irgendwie gemaßregelt wird, ohne dass sich davon jemand distanziert, dann ist das schon ein ziemlich eindeutiges Signal, wo es hingeht.

„In der AfD versammeln sich zunehmend Leute, die irgendein Problem haben.“

Der neue Kurs der AfD scheint sich immer weniger um wirtschaftliche Fragen, aber immer mehr um Themen wie „Grenzkriminalität“ und „Zuwanderung“ zu drehen. Woran liegt das?
Schauen Sie, in der AfD versammeln sich zunehmend Leute, die irgendein Problem haben. Dabei ist gar nicht definiert, welches, denen passt einfach irgendwas nicht—und ein Thema sind Ausländer. Das ist ja völlig lächerlich, in Thüringen vom Islam zu reden—Thüringen hat 1,2 Prozent Ausländer! Das ist Nonsens.

Das hat begonnen mit dem unglücklichen Radio-Interview von Matthias Wohlfahrt im Frühjahr, wo er gesagt hat: ,Na ja, wenn dann irgendwo an der Bushaltestelle ein Schwarzer zusammengeschlagen wird, dann muss man da auch Verständnis für haben'. Das hat schon dazu geführt, dass ich gesagt habe: ,Blickt ihr's eigentlich noch?’

Das Schlimmste finde ich, den Flüchtlingen selbst die Schuld zu geben. Wenn man in wirtschaftlich schwierigen Ländern steckt, wo man einfach nichts machen kann, oder man verfolgt wird, dann ist doch klar, dass man versucht abzuhauen. Wir müssen diesen Menschen doch eine Perspektive bieten können. Wir können doch nicht einfach sagen, wir machen jetzt alles zu, und dann ist alles gut, das funktioniert doch so nicht! Wie blöd muss man sein, um das zu glauben?

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Und was halten Sie von der Fokussierung auf die „traditionellen Familie“ in der AfD?
Ich sage immer, jeder soll sich die Familie zurechtbasteln, die er will. Das ist keine Sache, die staatlicherseits geregelt werden sollte. Wenn einer sagt, wir brauchen die Drei-Kinder-Familie, dann sind wir nicht mehr weit weg vom Mutterkreuz. Das sind politische Instrumentarien, die haben vielleicht vor 200 Jahren funktioniert, aber die passen nicht mehr in eine moderne Gesellschaft.

Hätte man das nicht auch schon vorher über die AfD wissen können?

Nein, nicht wirklich. Lucke hat ja noch vor gar nicht langer Zeit gesagt, dass Muslime in Deutschland natürlich Moscheen mit Minaretten bauen können—das ist eigentlich völlig selbstverständlich, hätte aber beinahe zu einem Volksaufstand in der AfD geführt. Höcke hat dann gekontert und gesagt, dass Muslime ihre Religion in Deutschland natürlich ausleben können—auch ohne Moschee.

Der Kurs der AfD war am Anfang liberal-konservativ. Es gab auch einen ganz großen liberalen Block in der Partei, wir haben das ja mit den gemäßigten Konservativen eine ganze Weile gut hingekriegt. Bis zur Bundestagswahl lief ja eigentlich alles ganz ordentlich.

Christoph Giesa vermutet im „European“ hinter der AfD von Anfang an eine Art trojanisches Pferd der „Neuen Rechten“. Sehen Sie das anders?
Am Anfang war es nicht so. Aber nach der Bundestagswahl hat sich das geändert. Die Wahl, die so knapp verloren gegangen ist, hat bei Lucke und anderen Funktionären dazu geführt, dass man gesagt hat: ,Wir müssen uns auch anderen Kreisen öffnen, damit uns das nicht noch mal passiert.’ Ich glaube, wenn die AfD in den Bundestag eingezogen wäre, dann hätten wir dieses Problem so heute nicht.

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Aber Lucke hat dann—und ich unterstelle Lucke nicht, dass er irgendwas unabsichtlich tut—die rechte Flanke mit so ein paar gut platzierten Sprüchen hofiert. Ich erinnere nur an den „Bodensatz der Gesellschaft“, der hier „zu uns kommt“. Damit hat er die Tür geöffnet für die Rechtspopulisten in der Partei—und die sind dann reingeströmt.

„Ob dann Lucke aus dem nächsten Bundesparteitag noch als Vorsitzender herausgeht, wagen wir ganz massiv zu bezweifeln.“

Die haben dann auch gar nicht lange gefackelt, sondern haben gleich—auf sehr unterschiedliche, aber in der Regel sehr unfaire Art und Weise—versucht, die gemäßigten Konservativen oder Liberalen aus ihren Positionen zu verdrängen. Wo das politisch nicht ging, hat man es dann mit Gerüchten, Anschuldigungen und so weiter gemacht. Die Netze wurden wirklich im Hintergrund gesponnen.

Das Ganze rutschte also immer weiter nach rechts, und wir haben dann im immer kleiner werdenden Kreis versucht, das Schlimmste zu verhindern—auch im Hinblick auf den kommenden Bundesparteitag, wo die Rechten mit Sicherheit ihre Zeichen setzen werden. Ob dann Lucke aus dieser Sache noch als Vorsitzender herausgeht, wagen wir ganz massiv zu bezweifeln.

Sind dann jetzt überhaupt noch Liberale in der Partei übrig?
Es gibt sicherlich noch den ein oder anderen Liberalen in der AfD, aber das sind meistens Leute, die sich irgendwo einen Posten versprechen und versuchen, sich dem neuen Mainstream anzupassen. Das Paradebeispiel ist Markus Pretzell [AfD-Landesvorsitzender in NRW], der sich ja selbst als liberal bezeichnet, mir gegenüber aber sagte, er sei auch Opportunist und auf die Stimmen aller angewiesen, deswegen müsse er auch den entsprechenden Kurs fahren.

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Marcus Pretzell. blu-news.org | Wikimedia | CC BY-SA 2.0

Haben Sie mit Lucke mal über Ihre Bedenken geredet?
Ich habe seit dem Austritt aus dem Bundesvorstand mit Lucke gar nicht mehr gesprochen. Wir haben uns ein paar SMS geschickt: ich habe ihm gesagt, dass die Aktivitäten von Pretzell für die Partei massiv gefährlich sind. Er hat geantwortet, Pretzell habe ihm offen den Krieg erklärt—da müsse man sehen, wo man bleibt.

Anstatt sich auf die gemäßigt Liberalen zu stützen, hat Lucke jetzt deutlich gemacht, dass er die Rechten hofiert. Damit war dann auch klar, dass Pretzell und Lucke jetzt nur noch darüber streiten, wer der bessere Populist ist.

Sie glauben also, dass Lucke mittlerweile mehr Interesse an Machterhalt als an den alten Positionen hat?
Ja, Lucke ist ein Machtmensch. Auf der anderen Seite war er auch immer offen für gut fundierte Kritik. Das Problem ist einfach, dass er jetzt von Pretzell und seinen Truppen überholt wird, die ganz klar UKIP-populistisch und russlandfreundlich argumentieren—und damit auch die Seele der im Moment bestehenden AfD treffen. Lucke muss sich überlegen, wie er dagegensteuert: Entweder er führt die Partei wieder zurück in die Mitte, oder er lässt sich auf einen Populismus-Schlagabtausch mit Pretzell ein. Und in der letzten Pressekonferenz hat er signalisiert, in welche Richtung es geht: Es geht nicht mehr in die Mitte.

Am Ende dieser Rede (Minute 51:40) vom 21. August 2014 vor dem sächsischen Landesverband betont Lucke, die AfD solle „zunächst bei den demokratischen Mitteln“ bleiben.

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Jetzt wird die AfD als die Partei für demokratieferne Wähler bezeichnet.
Zumindest ist es die Partei für Leute, die einfache Antworten suchen. Das hatte ich nicht erwartet, Lucke ist ja schließlich Spezialist in mehreren Gebieten, kein Mann der einfachen Antworten. Das hat ja am Anfang auch wirklich gut getan, dass was wir gesagt und getan haben durchdacht war! Aber wer hat denn in den Ost-Wahlkämpfen noch vom Kirchhof’schen Steuermodel gesprochen? Niemand!

Ganz im Gegenteil: alles Mögliche soll gefördert werden, mehr Polizei, dies und jenes—und wie das alles bezahlt werden soll, darüber herrscht das große Schweigen. Ganz bestimmt ist das nicht mit dem Kirchof’schen Steuermodell darstellbar. Und das war einer der Kernpunkte der AfD, dass wir zu einem einfacheren Steuermodell kommen. Sind Sie enttäuscht von Lucke, weil er sich auf diesen Kurs einlässt?
Ja. Weil er damit klar gemacht hat, dass ihm Stimmen und finanzielle Mittel wichtiger sind, als für Deutschland gute Politik zu machen.

Entwickelt die AfD sich also langsam zu einer gefährlichen Partei?
Natürlich, weil sie eben Ressentiments schürt, weil ihre politischen Argumente fast durchweg religiös, philosophisch oder moralisch begründet sind.

Ich höre immer wieder aus anderen Landesverbänden, dass es die Probleme mit den Rechten dort nicht so gebe. Die Wahlen in Hamburg und in Bremen würden zeigen, dass der gemäßigt-konservative Flügel sich durchsetzen wird. Ich halte das für pure Augenwischerei. Weil ich weiß, dass die Netzwerke sich auch in den Westen ausdehnen. Da ist es vielleicht nicht ganz so leicht, aber mit der Kraft, die die jetzt haben… Natürlich gucken die Landesverbände drauf: mit welchen Parolen haben die im Osten die Wahlen gewonnen?

Wir wissen auch, dass da massive Kampagnen gegen Gemäßigte in Baden-Württemberg, Bayern und so weiter gefahren werden. Ich glaube tatsächlich, dass die AfD zu einem Unterwanderungsziel der Neuen Rechten geworden ist. Und ich glaube, dass die meisten AfD-Mitglieder das einfach nicht wahr haben wollen—und das ist das gefährliche an der Sache.