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Popkultur

Trevor Paglen fotografiert die Unterseekabel, die von der NSA angezapft werden

Die Spionage der NSA findet nicht in einem abstrakten Raum statt, sondern genau hier.

Columbus III, NSA/GCHQ-Tapped Undersea Cable, Atlantic Ocean, 2015, C-print, 48 x 60 inches, mit freundlicher Genehmigung der Metro Pictures Gallery. Foto vonTrevor Paglen. Für die Ausstellung fotografierte Paglen von der NSA zur Datengewinnung genutzte Seekabel unter Wasser und an Stränden.

Aus der The Road to Nowhere Issue 2015

Als ich mich mit Trevor Paglen traf, um über den Überwachungsstaat zu sprechen, fand ich ihn in einer Metal-Bar namens Rasputin. Er war in Istanbul, um bei einem Kunstfestival einen Vortrag über Regierungsgeheimnisse zu halten, eines der Hauptthemen seiner Arbeit. Wir hatten die letzten Tage in einem Hotel verbracht, das früher US-Spionen als Treffpunkt gedient hatte, und es schien passend, in einer alternativen Bar, die nach einem Mystiker benannt war, der mit dem Sturz der russischen Monarchie in Verbindung gebracht wird, über die NSA zu reden.

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Paglen erzählte mir von seinem neuesten Projekt, das die Inlandsspionage bis an ihre Quelle erforscht. „Wenn wir von Internet- oder Massenüberwachung sprechen—und das ist heute in etwa gleichbedeutend—verwenden wir sehr kryptische Terminologie: die Cloud, das World Wide Web, die Datenautobahn und so weiter", sagte er.

„Alles auf der Welt besteht doch aus etwas. Woraus besteht die Massenüberwachung, und wie sieht sie aus?"

Paglen erklärte, dass Menschen sich das Internet gleichzeitig als überall und nirgends vorstellen—abstrakte Werkzeuge, die Leute in aller Welt wie durch Magie verbinden. „Aber durch was verbinden sie die Leute?"

In Kabelsalat, einem Buch, das die Materialität des Internets untersucht, schreibt Andrew Blum: „Das Internet existiert—es ist ebenso physisch wie real, und es hat eine grundlegende Infrastruktur." Wir sind es gewöhnt, es in abstrakten, verwirrenden Plattitüden wie „das Netz" und „Einsen und Nullen" zu denken, doch Regierungen und Militärs betrachten das Internet auf eine ganz andere Art. Überwachungsbehörden wie die NSA sehen Glasfaserkabel, Hardwarenetzwerke und Rechenzentren—konkrete Dinge.

Für Paglen, der als Kameramann an Citizenfour, dem Oscar-gekrönten Dokumentarfilm über Edward Snowden gearbeitet hat, ist das ergiebiges Material. Er hat bereits die NSA-Lauschstationen in den tiefen Wäldern West Virginias, Testgelände für chemische und biologische Waffen in Utah, von der US-Regierung kontrollierte Black-Site-Gefängnisse in Afghanistan, geheime US-Spionagesatelliten und andere geheime Objekte und Orte fotografiert.

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Oft ist er gezwungen, seine Aufnahmen aus großen Entfernungen zu machen, wobei er Teleobjektive und Ausrüstung einsetzt, die für die Astrofotografie gedacht sind. Doch für sein jüngstes Projekt—eine titellose Ausstellung in der Metro Pictures Gallery in New York—hat der 41-Jährige sich Überwachungsausrüstung aus nächster Nähe angesehen, während er buchstäblich tief in geheime Regierungsaktivitäten eingetaucht ist. Paglen hat die Glasfaserseekabel fotografiert, die die physische Infrastruktur des Internets ausmachen, genauer gesagt: die Stellen, an denen die NSA sie anzapft, um an persönliche Daten zu kommen.

„Ich dachte darüber nach, wie die NSA Telekommunikationsnetzwerke sieht", sagte mir Paglen in einem späteren Gespräch. „Sie tragen eine bestimmte Art von Brille, um sie zu sehen, und ich wollte wissen, wie das Internet aussieht, wenn man die Brille der NSA aufsetzt."

Heute bewegt sich der Großteil des Datenverkehrs und der Telefongespräche entlang Glasfaserkabeln am Meeresgrund. Die US-Regierung fing während des Kalten Krieges an, sie anzuzapfen: Die NSA, CIA und US-Marine riefen Operation Ivy Bells ins Leben, im Zuge derer U-Boote und Taucher Aufnahmesonden einsetzten, um die Sowjets auszuspionieren. Die Initiative endete 1981, als der NSA-Analyst Ronald Pelton dabei erwischt wurde, wie er Informationen über das Programm an Russland verkaufte, doch dieselben Überwachungstaktiken existieren auch heute noch.

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Laut Paglen gehören diese Kabel Telekommunikationsanbietern, doch die NSA bietet ihnen Geld (oder droht ihnen mit Verweis auf den PATRIOT Act, den FISA Amendments Act und einer Kombination aus weiteren rechtlichen und außerrechtlichen Drohungen), um an die „Chokepoints" der Kabel heranzukommen—Landungsstellen oder Untiefen, wo sie zusammenkommen. Wie Edward Snowden in einem geleakten Archiv gezeigt hat, zapft die NSA die Chokepoints mit U-Booten wie der USS Jimmy Carter, auch bekannt als „der Unterwasserlauscher der Marine", an.

Die NSA ist mit ihren Bemühungen nicht alleine und kooperiert Berichten zufolge mit ihrem britischen Gegenstück, dem GCHQ, dessen Programm Tempora täglich etwa 20 Millionen Gigabyte Daten aus mehr als 200 Kabeln saugt.

Theoretisch können diese Über-wachungsdienste jedwede Informationsart aus den Kabeln ziehen, Facebook-Posts, E-Mails, Browserverläufe, also eine größere Verletzung der Privatsphäre, als das Aufzeichnen von Metadaten wie Anruflisten.

Für seine Ausstellung hat Paglen einige der wichtigsten Chokepoints am Meeresgrund und an Stränden fotografiert. Damit hat er so direkt wie nur irgend möglich dokumentiert, wo Internetkommunikation und Verletzung der Privatsphäre aufeinandertreffen.

Die größte Herausforderung war es, diese Stellen zu finden. Paglen nutzte maritime Atlanten—Karten, die verhindern sollen, dass Schiffe auf den Kabeln ankern—die in etwa ihren Verlauf zeigen. „Sie sind bis auf ein paar Hundert Meter genau", erklärte er. Dann setzte er Riffkarten ein, um die Stellen zu finden, an denen die Kabel über dem Meeresboden verlaufen. „Ich habe anhand dieser Information riesige Suchmuster gemacht, bevor ich mit einem Team hinuntergetaucht bin, um zu fotografieren." Er nannte die entstandenen Werke nach Kabeln, die man auf Karten im Internet findet—womit er indirekt Chokepoints und ihre Koordinaten öffentlich bekannt machte.

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„Es gibt ein paar Orte weltweit, wo all diese Seekabel an Land kommen", sagte mir Paglen. In Deutschland befinden sich die Seekabelendstellen im Norden in Ostfriesland, auf Sylt, auf Fehmarn und bei Ribnitz-Damgarten nahe Rostock. An der Westküste der USA gibt es sie in Seattle, Hillsboro und Bandon (Oregon) und Point Arena und Morro Bay (Kalifornien). An der Ostküste gibt es Endstellen in Long Island, Manasquan und Tuckerton (New Jersey) sowie Boca Raton und Hollywood (Florida).

Der Südosten der USA ist der NSA besonders wichtig. Wenige Telekommu­nikationsanbieter verwenden Kabel, die direkt von Europa oder Afrika nach Südamerika verlaufen; stattdessen kommen sie via Florida in den USA vorbei. „Die NSA liebt das, denn selbst wenn jemand in Portugal mit jemandem in Argentinien redet, kann man sie ausspionieren, denn das Kabel geht durch die USA", sagte Paglen. „Für die NSA sind die Chokepoints wichtig, weil sie Informationen aus der ganzen Welt aufsaugen."

Die Bilder seien interessant, weil es „nichts zu sehen" gebe, sagte Paglen. Es sind im Grunde nur blaue Farbflächen, trübe Riffe und unscheinbare Kabel. Ein Kontrast zu den vagen Metaphern, mit denen wir das Netz beschreiben.

„Ich spiele gern mit der Idee, dass es Bilder von einer Sache sind, die buch­stäblich unsichtbar ist—diese [Überwachungsinfrastruktur] kann man nicht sehen. Egal wie sehr du dich bemühst, du wirst sie nicht sehen, aber ich habe all diese Dokumentation und diese Nachforschungen, die darauf hindeuten, dass es sie gibt", sagte Paglen.

Der Künstler hat gewisse „Waffen", die die NSA nutzt, um die Bevölkerung auszuspionieren, visualisiert und sie indirekt mit Geotags versehen. Doch Bilder von den Werkzeugen allein lassen uns noch nicht verstehen, was die NSA mit ihnen tut. „Ich bin mehr daran interessiert, dass diese Fragen nicht aufgelöst werden", gab Paglen zu. „Die Kunst dreht sich nicht um solch eine direkte Zuordnung."

Für ihn handelt die Reihe von „diesem Versagen der Augen—oder dieser Diskrepanz zwischen der Funktionsweise der Welt und unserer Fähigkeit, sie zu sehen". Die Bilder entlarven das Web, das Netz, als so etwas wie eine physische Falle.