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Popkultur

Heidi Klum und Tom Kaulitz küssen sich – und Deutschland versteht die Welt nicht mehr

Kann Heidi Klum bitte schlafen, mit wem sie möchte, solange es sich um eine erwachsene Person handelt, die ihr Einverständnis gegeben hat?
Heidi Klum und Tom Kaulitz
Klum und Kaulitz Monate nach ihrem ersten Kuss, im Januar 2019 || Foto: imago | Media Punch

Es fühlt sich nicht sonderlich gut an, eine Frau zu verteidigen, die junge Frauen für Germany’s Next Topmodel regelmäßig an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treibt. Wenn es eine Sache gibt, in der man Heidi Klum aktuell zur Seite springen sollte, dann aber die: Warum muss sich eine erwachsene Frau auch im Jahr 2018 noch öffentlich dafür angreifen lassen, dass sie sich zu einem erwachsenen Mann hingezogen fühlt, der ein bisschen jünger ist als sie?

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Am Montag veröffentlichte die Bild-Zeitung mehrere Fotos, auf denen Klum zusammen mit Tom Kaulitz zu sehen ist. Das Model und der Gitarrist von Tokio Hotel küssen sich und wirkten allgemein sehr vertraut. Schon in den Wochen zuvor gab es Berichte, dass die 44-Jährige und der 28-Jährige sich in einer Partynacht näher gekommen sein sollen. Ein gefundenes Fressen für Presse und Öffentlichkeit.


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"Läuft da jetzt wirklich was? Schließlich trennen die beiden 16 Jahre Altersunterschied", fragte vip.de mit schockbedingter Schnappatmung. "Model-Mama Klum, die ganz nebenbei auch vier eigene Kinder hat, scheint ihrem jüngsten Toyboy-Schema treu zu bleiben", wusste n-tv zu berichten. Und Bunte schreibt, wie Kaulitz bereits vor Jahren deutlich gemacht haben soll, dass er kein Problem mit älteren Frauen habe: "'Ich wäre ein super Toyboy', sagte der gebürtige Magdeburger mit einem breiten Grinsen in einem früheren Interview mit RTL."

Der Nachrichtengehalt der Geschichte war also nicht zwingend die Tatsache, dass Deutschlands aktuell bekanntestes Model mit einem ehemaligen Teenie-Star anbandelt. Der wirkliche Skandal war, dass Klum sich einem zwischenmenschlichen Naturgesetz widersetzt und sich einen jüngeren Mann geangelt hatte. Schon wieder! Zwischen ihr und ihrem Ex Vito Schnabel lagen immerhin 13 Jahre.

Verzweifelte Frauen, souveräne Playboys

Sie hätte Probleme damit, älter zu werden, hieß es in einem Kommentar auf der Bild-Facebookseite, also nehme sie sich "einen Kerl, der ihr Sohn sein könnte, um jedem zu beweisen, dass sie ja noch jung genug ist für sowas". Andere Nutzer unterstellten ihr mangelnde Mutterqualitäten, überlegten laut, ob sich die vier Klum-Kinder denn nicht für ihre berühmte Mama schämen müssten. "Wahnsinn, erst im Tanga rumhüpfen und jetzt das. Ihre Kinder müssen so unfassbar stolz auf sie sein", schreibt ein User. Überhaupt, ganz schön umtriebig sei sie, diese Heidi. Sollte man sich in diesem Alter nicht ein bisschen zurückhalten, was öffentlich ausgelebte Intimitäten anginge? "Jetzt hat Heidi fünf Kinder", bemerkte Model Shermine Shahrivar trocken – eigentlich eine gute Bekannte der Kaulitz-Brüder.

Wenn es um den Altersunterschied zwischen zwei erwachsenen Menschen geht, die sich einvernehmlich dazu entscheiden, miteinander intim zu werden, herrscht nach wie vor ein absurder Doppelstandard. Madonna wolle "nicht wahrhaben, dass auch eine Popikone, wie sie in die Jahre kommt", schrieb das Klatschmagazin InTouch über die Sängerin und ihre Beziehungen. Sie versuche, "krampfhaft, jung zu bleiben". Jüngere Männer gehörten da "dazu". In derselben Bildergalerie, die "prominente Paare mit großem Altersunterschied" abbilden sollte, wurden Schauspieler Al Pacino und seine 40 Jahre jüngere Freundin Lucila Solá ganz wertfrei als "Turteltauben" bezeichnet.

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Bei Frauen zählt Jugend und Schönheit, bei Männern Erfolg und Reife. Deswegen überrascht es niemanden, wenn Hollywood-Stars wie Bradley Cooper oder Bruce Willis mit deutlich jüngeren Partnerinnen zusammen sind. Sie haben sich das schließlich "erarbeitet", die junge Frau fungiert als eine Art Trophäe für den gesellschaftlichen Stand. Eine Frau hingegen, die sich für einen jüngeren Partner entscheidet, scheint eine Bankrotterklärung abzugeben – und wird auch dementsprechend verurteilt.

Auch "Toyboys" müssen sich für ihre Partnerin rechtfertigen

Was schon ethisch und moralisch keinen Sinn macht, wird argumentativ noch wackliger, wenn man sich wissenschaftliche Studien anguckt. Immer wieder betonen Forscher, dass das weibliche Sexleben bei vielen erst ab 40 so richtig in Fahrt kommt. Die Frau, die weiß, was sie will und wie sie es bekommt, die es trotz aller hanebüchenen Schönheitsideale irgendwie geschafft hat, sich wohl ihrem Körper zu fühlen, diese Frau ist endlich frei genug, um ihre Lust auszuleben. Der männliche Sextrieb hingegen nimmt mit dem Alter zunehmend ab. Das bedeutet nicht, dass Männer um die 40 keinen Sex mehr haben wollen – ihre Experimentierfreudigkeit und die Lust auf Neues hält sich nur in Grenzen. Ältere Frauen und junge Männer scheinen sexuell also durchaus zusammenzupassen.

Am Fall Klum-Kaulitz zeigt sich übrigens auch, dass es nicht nur Frauen sind, die sich für ihren jüngeren Partner rechtfertigen müssen. Auch Männer, die offen zu ihrer Liebe für eine ältere Partnerin stehen, scheinen sich ins soziale Abseits zu schießen. In Instagram-Memes wird der Tokio-Hotel-Gitarrist als eine Art bemitleidenswerter "Milfhunter" stilisiert. Die scheinbare Message: Wie kann man sich als Mann für eine Frau entscheiden, die ihre "besten Jahre" vermeintlich schon hinter sich hat? In einem Welt-Artikel bestätigte die Soziologin Ursula Richter, dass sich junge Männer oft dafür rechtfertigen müssten, "die jungen, knackigen Frauen" für eine ältere stehen zu lassen.

Vor rund 15 Jahren war Heidi Klim übrigens mit dem 23 Jahre älteren Flavio Briatore liiert. Der Formel-1-Milliardär war damals kein alter, trauriger Mann, der verzweifelt versucht, sich an seine längst vergangene Jugend zu klammern. Er war einfach nur ein Playboy, der "die schönsten Frauen der Welt" liebte. Auch, wenn er beinahe deren Großvater hätte sein können.

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