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NSU-Prozess

Das mysteriöse Sterben der Zeugen des NSU-Prozesses geht weiter

In Baden-Württemberg ist die vierte Zeugin gestorben, bevor sie befragt werden konnte. Die Tode werfen Fragen auf.
imago | lichtgut

Schlampige Ermittlungen, verschwundene Akten und ein äußerst zäher Prozess gegen Beate Zschäpe in München – die Aufklärung des NSU-Terrors ist ein Mammutprojekt. Und eines, bei dem gerade nicht klar ist, ob Zeugen um ihr Leben fürchten müssen, oder ob es sich nur um einen mysteriösen Zufall handelt: Denn der NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg muss sich jetzt mit einem weiteren Todesfall einer Zeugin auseinandersetzen. Dem vierten.

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Seit 2014 befasst sich der Ausschuss des baden-württembergischen Landtags vor allem mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Am 25. April 2007 wurde sie in Heilbronn erschossen. Die Dienstwaffen der erschossenen Polizistin und ihres Kollegen wurden später im Wohnmobil neben den Leichnamen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gefunden. Bei der Aufklärung des Mordes unterliefen den Ermittlern Pannen: Unter anderem suchte die Polizei jahrelang nach einer unbekannten Frau, weil Wattestäbchen bei der Spurensicherung mit ihrer DNA verunreinigt waren.

Ein Zeugensterben erschwert die heutige Aufarbeitung des Polizistinnen-Mordes. Anfang Februar starb mit Corinna B. die vierte Zeugin, die der NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg vernehmen wollte. Corinna B., Jahrgang 1970, sei nach schwerer Krankheit in einem Pflegeheim gestorben, so die Pressemitteilung des Landtags. Eine Fremdeinwirkung stellten die Ermittler bis jetzt nicht fest. Doch eine endgültige Aufklärung der Todesursache ist nicht möglich, der Leichnam wurde bereits eingeäschert. Die Verstorbene soll direkten Kontakt zum NSU-Terrortrio gehabt haben. Sie gehörte der rechten Szene in Ludwigsburg an, die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den 90ern regelmäßig besuchten.

Schon vor Corinna B. waren drei andere Zeugen, die sich untereinander kannten, in Baden-Württemberg gestorben. Am 16. September 2013 verbrannte Florian H. in seinem Auto in Stuttgart, kurz bevor er erneut mit der Polizei über den NSU sprechen sollte. Florian H. war Aussteiger aus der Neonazi-Szene in Heilbronn. Er gab schon vor dem Auffliegen des NSU an zu wissen, wer hinter dem Mord an Kiesewetter stand – angeblich nicht Böhnhardt und Mundlos. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Florian H. einen tödlichen Medikamenten-Mix im Blut. Die Polizei geht von einem Suizid des 21-Jährigen aus.

Im April 2015 starb eine Ex-Freundin Florian H.s, die 20-jährige Melisa M. Sie wurde vom Untersuchungsausschuss zu ihrem Ex-Freund befragt. Nur wenige Wochen später verstarb sie an einer Lungenembolie. Die junge Frau hatte sich kurz zuvor beim Motorsport das Knie geprellt – das Hämatom im Knie soll laut Gerichtsmedizin einen Thrombus gelöst und die Embolie verursacht haben.

Im Februar 2016 starb der 31-jährige Sascha W., der Verlobte von Melisa M. und damit potentieller Zeuge. Bei ihm konnte keine natürliche Todesursache festgestellt werden, doch die Ermittler gehen auch hier von Suizid aus, denn es seien zwei elektronische Abschiedsnachrichten versandt worden. Bei allen Todesfällen sind die Umstände der Tode nicht restlos aufgeklärt, ähnlich wie bei dem Fall des V-Manns "Corelli". Nun also noch Corinna B..

Bei der nächsten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 24. Februar soll das Innenministerium die Todesumstände von Corinna B. weiter erläutern. Ob es sich bei allen Todesfällen um tragische Zufälle handelt oder der Zeugenstand im NSU-Prozess generell gefährdet ist, werden die weiteren Ermittlungen zeigen. Dafür will auch der Untersuchungsausschuss sorgen, der die polizeiliche Arbeit nun aufmerksam begleiten will.

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