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Dirk von Lowtzow findet Wiener komisch

Tocotronic kommen 2018 nach Wien!

Foto: Sabine Reitmeier/ Universal Music

Ich habe mir überlegt, die Einleitung nur in Tocotronic-Zitaten zu schreiben. Das erspare ich euch aber lieber, da das ganz schnell bescheuert werden kann. Dabei machen genau diese gefühlsschwangeren Parolen das Werk und die Fans von Tocotronic aus. Über die Band selbst muss ich euch wahrscheinlich nicht viel erzählen, aber kurz werde ich es dennoch tun. Mit 1993 hat sich die Band, die zuerst im Underground ihren Zwischenstopp hatte, immer mehr an Bedeutung gewonnen. Gemeinsam mit anderen Bands waren sie Mitbegründer der Hamburger Schule und haben in vielen Menschen sehr viel bewegt. Ich glaube, das kann man so stehen lassen.

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Am Sonntag spielen Tocotronic mit Freunden in der Wiener Arena. Die Freunde sind in diesem Fall Kommando Elefant und Kreisky. Ich habe mit Dirk von Lowtzow telefoniert und ihm ein paar Fragen gestellt. Und ja, ich bin noch immer ein bisschen verliebt.

Noisey: Heißt euer Album nun rotes Album oder red Album?
Dirk von Lowtzow: Also es ist eigentlich unbetitelt. Aber man kann es gerne rotes Album nennen, man kann es aber auch red Album nennen. Das ist uns eigentlich ein bisschen egal. Uns geht es darum, dass das Album unbetitelt ist. Wir fanden es für die Idee, die hinter dem Album steht, die spannendste und schönste Lösung.

Was ist denn die Idee hinter dem Album?
Uns hat das Thema Liebe extrem interessiert und es hat sich dann herauskristallisiert, dass es ein Konzeptalbum werden würde. Wir haben dann versucht, immer mehr zu substrahieren und die Songs so präzise und kurz wie möglich zu fassen. Auch die Stücktitel des Albums bestehen teilweise nur aus einem Wort. Wir kamen dann zu dem Schluss, dass es auch Substraktion wäre, wenn das Album auch keinen Titel, sondern nur das rote Cover hätte. Das kann man natürlich auf unser weißes Album von 2002 beziehen und das war die Idee.

Die Frage, womit ihr Rot konnotiert ist damit eh erklärt. Nicht so sehr mit Aggression, sondern in eurem Fall mit der Liebe.
Ja, wobei ich nicht denken würde, dass sich das ausschließen muss. Ich glaube wenn Liebe, so wie es auch auf unserer ersten Singleauskopplung „Prolog“ heißt, ein Ereignis ist, dann hat das durchaus auch ein aggressives Potential. Wenn man Liebe als Ereignis begreift oder ein Ereignis als etwas begreift, dass den Rahmen, in dem man lebt, zu sprengen vermag, oder man ihn als revolutionäres Moment versteht oder als Blitzschlag der einen trifft, das hat ja durchaus auch etwas Gewalttätiges. Was Umwälzerisches. Diese zwei Pole—Liebe und Aggression—liegen gar nicht so weit voneinander entfernt. Denn die Liebe, die wir auf dem Album besingen, ist nicht die harmlose Liebe.

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Glaubst du, dass Liebe sich mit dem Alter verändert? Dass sie mit dem Alter anders wahrgenommen wird?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, weil ich mir gar nicht sicher wäre, was das Alter überhaupt ist. Oder ob Alter nicht auch eine Art soziale Konstruktion ist. So wie ich zumindest der Meinung bin dass Geschlechter Konstruktionen sind. Also insofern weiß ich nicht, ob sich die Liebe mit dem Alter verändert. Natürlich—je länger man lebt, umso mehr Facetten der Liebe und des Lebens lernt man auch kennen. Vielleicht bereichert sich die Vorstellung, die man von Liebe hat, wenn man älter wird, ein bisschen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das konkret mit dem Alter zu tun hat oder nicht eher mit der Erfahrung, die man sammelt.

Aber du singst ja auch von „den Erwachsenen“—also eigentlich ja aus der Perspektive von Jugendlichen. Ist das dann auch nur ein Konstrukt?
Ja, das Stück ist aus der Position von Teenagern geschrieben. Diese Teenager in dem Song sehen den Erwachsenen ins Gesicht. Natürlich ist das auch lustig, weil nach landläufiger Überzeugung, würde man mich schon als Erwachsenen bezeichnen. Aber wie gesagt. Wie erwachsen oder wie man sich da fühlt, ist auch sehr stark konstruiert. In diesem Song ging es auch darum, die Perspektive von Teenagern einzunehmen und für die gibt es Erwachsene auf jeden Fall.

Unsere Praktikantin, die Anfang 20 ist, kennt Tocotronic nicht und hat noch nie von euch gehört. Was hältst du davon?
Das ist ihr gutes Recht. Man muss uns ja nicht kennen, das ist glücklicherweise keine Pflicht—das wäre auch fürchterlich. Aber auf der anderen Seite würde ich sagen, dass sich eure Praktikantin nicht sehr besonders für Musik interessiert. (lacht) Dann müsste man uns kennen. Wenn man sich für deutschsprachige Musik der letzten 20 Jahre interessiert, dann müsste man uns schon kennen—ob man uns nun mag oder nicht, aber kennen müsste man uns doch eigentlich schon.

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Ja, wir haben uns ein bisschen um sie gesorgt. Sie ist auch der Meinung, dass ihr einen verwirrenden Namen habt. Sie dachte ihr macht Techno.
Das war von Anfang an unsere Intention. Als wir uns 1993 gegründet haben, wollten wir einen Namen, der nicht von vornhinein klar macht, dass wir eigentlich gitarrenbasierte Musik machen. Wir waren auch immer große Techno- und House-Fans. Bei elektronischer Musik gibt es ja auch eine ganze Liste bestehend aus Remixen von uns. Das hat mich immer enorm interessiert. Wir fanden genau diese Verwirrung eigentlich gut.

Was glaubt ihr, wie sich eure Fans mit den Jahren verändert haben?
Ich glaube, da gibt es verschiede Gruppierungen. Es gibt bestimmt Leute, die uns von Anfang an gehört haben und die unseren Weg über die letzten 22 Jahre mitverfolgt haben. Die sind da bestimmt ein bisschen mit uns gewachsen. Es gibt auch Leute—zu denen gehört vermutlich auch eure Praktikantin—die jung sind und uns gerade neu entdecken. Es gibt oft Zuschriften von Leuten, die oft deutlich jünger sind als wir. Es gibt auch Leute, die mit uns angefangen haben und die mittlerweile Kinder bekommen haben, die jetzt unsere Musik hören. Wir sind ein generationenübergreifendes Projekt.

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Wie hat sich eure Selbstwahrnehmung als Band verändert?
Selbstwahrnehmung ist ein ganz schwieriges Feld. Da würde es um Identitäten gehen. Damit habe ich große Probleme. Mit dem Begriff Identiät sowieso, weil ich nicht genau weiß, was das ist. Das ändert sich doch pausenlos. Das meine ich tatsächlich so, wie ich es sage. Man ist doch die Summe all derjenigen, die man im Laufe eines Lebens trifft. Ich trage ganz viel von anderen Menschen in mir. Auch von denen ich gelesen oder gehört habe. Insofern habe ich schon ein bisschen Probleme mit Identität. Deshalb auch mit Selbstwahrnehmung. Was sich bei uns sehr stark verändert hat, ist, dass wir den Schritt vom Trio zum Quartett gemacht haben. Wir haben einen neuen Musiker bekommen, Rick McPhail aus Maine. Es ist ganz anders als Quartett zu musizieren. Insofern hat sich die Wahrnehmung als Band—wie man zusammen spielt, wie die Musik klingt und wie man die Songs zum Klingen bringt—schon deutlich verändert. Aber das ist ganz klar, weil man als Quartett auch ganz anders musiziert als als Trio. Das eine ist ein Dreieck und das andere ein Rechteck. Das schafft eine andere Gewichtung und andere Wirklichkeiten. Ansonsten ist es sehr schwierig, sich beim Älter werden zuzuschauen. Man hat zu wenig Distanz.

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Was geht dem Tocotronic-Gesamtwerk noch ab? Gibt es das überhaupt?
Das ist eine gute Frage. Wir haben jetzt doch schon ziemlich viel gemacht. Wir haben mit diesem Album ganz ausdrücklich ein Popalbum gemacht, haben aber auch sehr rockige Alben gemacht. Ich habe jetzt gerade das Vergnügen, mit einem befreundeten Theaterregisseur eine Art Oper zu machen. Das fehlt also auch nicht mehr. Ich hoffe aber, dass es noch immer Themen gibt, die man rausholen kann. Es wäre schrecklich, wenn man das Gefühl hätte, das Werk wäre vollendet. Da müsste man sich folgerichtig eigentlich auflösen. Das ist natürlich auch immer eine Option und man sollte sie nicht außer Acht lassen, aber im Augenblick fände ich es, ehrlich gesagt, fast ein bisschen schade.

Zurück zum Album. Was ist für dich an der Farbe Rot das Interessante? Abgesehen von all den Assoziationen, die man damit verbindet.
Das kann ich dir gerade nicht beantworten. Du machst mich sprachlos. Da sollte man vielleicht den Künstler, der das Cover für unser Album gemalt hat, fragen. Was das Spezifische an der Farbe rot wäre, wenn man beispielsweise ein rotes Bild malt. Ich weiß es wirklich nicht.

Gibt es für dich einen Song am Album, der für dich eine besondere Bedeutung hat.
Das kann ich immer nur sehr schwer sagen, aber es gibt Songs, die eine Schlüsselrolle auf dem Album einnehmen. „Prolog“ zum Beispiel. Das ist auch das Bindestück zwischen dem letzten und dem jetzigen Album. Das letzte Stück des vorherigen Albums endet am Meer und dieses Album beginnt genau dort. Das war die Idee. Ich öffne mich sehr exemplarisch für den Arbeitsprozess, sowohl vom Text her als auch von der Musik her. Musikalisch möchte ich für viele Dinge offen sein. Sei es ein afrikanisches Instrument wie eine Kalimba oder wir haben auch einen Track, bei dem wir Field Recording in der freien Natur betrieben haben. Das Stück handelt natürlich von mir und einer Begegnung mit mir selbst, was vielleicht das persönlichste Stück des Albums ist. Aber welches das wichtigste ist, kann ich nicht sagen.

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Wie kann man diese Begegnung mit dir selbst verstehen?
Diese Begegnung mit mir selbst hat durchaus etwas Psychotisches—ein bisschen wie ein Drogentrip. Dieses Stück hat auch etwas von einem Trip.

Wenn der Dirk, der damals mit dem Punkrock angefangen hat, den Dirk von heute sehen würde, wäre er stolz auf ihn?
Ich glaube, ich würde die Musik, die wir jetzt machen, gerne mögen. Ich habe auch mit 15, 16, als ich Musik ganz intensiv gehört habe und auch angefangen habe, sie zu machen, klingende und poppige Musik gerne gemocht—Bands wie The Go Betweens, Prefab Sprout, aber auch Punk Rock, Hardcore und Post Hardcore. Deswegen glaube ich, dass ich die Musik ganz gut finden würde. Ich konnte mich eben nie so richtig zwischen Pop und Punk entscheiden.

Gibt es etwas, woran ihr euch in den letzten 22 Jahren nicht gewöhnt habt?
Man gewöhnt sich an sehr, sehr vieles. An vielem, worunter ich früher sehr gelitten habe, leide ich heute nicht mehr. Das ist ganz gut. Man wird vielleicht ein bisschen gelassener. Ich bin ein sehr nervöser Mensch, sehr dünnhäutig und auf dünnem Eis unterwegs. Dieses ganze Reisen, heute hier morgen dort—viele Leute lieben das ja. Dieses unstete und nomadische. Das ist etwas, was mir sehr, sehr schwer fällt, weil ich gerne zu Hause bin. Das hat eine Zeit gedauert und noch heute gibt es Momente, in denen mir das sehr, sehr schwer fällt, mich daran zu gewöhnen. Zum Beispiel alleine im Hotelzimmer. Das sind schwierige Situationen. Früher konnte ich diese Situation nur mit viel Alkohol und viel anderem überbrücken, heute gelingt mir das auch mit der Schokolade aus der Minibar.

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Schokolade ist ja auch eine schöne Droge.
Eigentlich ja.

Ihr kommt ja nach Wien und du warst ja früher auch eine Zeit lang hier. Was ist deine Meinung zu Wien?
Wien ist eine schöne Stadt und ich bin sehr gerne hier. Wir haben auch sehr viele Bekannte in Wien—auch von damals noch. Wir haben auch eines unserer ersten Konzerte in Wien gespielt. Unser allererstes Wien-Konzert haben wir im Alten AKH im Art Club gespielt. Das war ein Künstlerclub. An diese Zeit habe ich sehr, sehr viele Erinnerungen. Richtig schön.

Ein Freund von mir ist früher immer nachts durch die Straßen von Klagenfurt gegangen und hat laut zu eurer Musik mitgesungen und drauf geschissen, was Leute von ihm denken. Ist das so ein typische Fan von euch?
Ich glaube, so funktoniert Popmusik ganz grundsätzlich. Ich kenne das natürlich auch von mir, dass ich laut gröhlend durch die Straßen gezogen oder gelaufen bin. Da wird Popmusik eigentlich erst zu Popmusik. Aber ich meine Popmusik hier als Oberbegriff. Ich glaube, das ist so die Erfahrung die man mit Popmusik haben kann und die ganz, ganz wichtig ist. So nehmen Leute Popmusik wahr. Man kann sich dazu auch gut selbst zu inszenieren. Es gibt einen sehr, sehr schönen Film Bande de filles, in der eine Gruppe von jungen Frauen, die in einem Vorort aufwachsen, sich ein Hotelzimmer mieten und da gemeinsam „Diamonds“ von Rihanna inszenieren und herumtanzen. Das ist eine ganz wichtige Szene und da fängt sie exakt ein, wie Popmusik funktioniert.

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Glaubst du, dass es Wörter gibt, die diesen Zustand beschreiben können? Diese Euphorie, die Musik auslöst?
Das ist schon so richtig wienerisch-philosophisch. Ich glaub darüber muss man schweigen. Es gibt sicherlich etwas, das dazu geeignet ist Euphorie auszudrücken und einen gefühlsmäßig zu erreichen, das ist ja auch das Tolle daran. Und Popmusik umso mehr, weil sie auch so einfach und kurz ist. Man muss sich nicht vier Stunden durch eine Oper quälen. Das ist ja das Geile an Popmusik und jeder kann sie nutzen. Da braucht es gar keine Worte mehr dafür. Das ist aber ein Gefühl—wo wir wieder beim Thema Liebe wären—was dem Gefühl verliebt zu sein sehr, sehr nah ist. Wenn man von einem Lied so gepackt ist und so geschüttelt wird, das kommt schon für kurze Zeit dem Gefühl der Verliebtheit nahe und das findet man in keiner Kunstform.

Wie hörst du Musik?
Hauptsächlich im Auto.

Was ist die eine Bandgeschichte von euch, die euch immer wieder zum Lachen bringt?
Da gibt es natürlich schon einige. Wir hatten ja mal so einen Preis überreicht bekommen, vom damaligen Musiksender VIVA, für junge deutsche Bands am Weg nach oben und den haben wir abgelehnt. Da hatten die so die Hosen voll und das war so ein verrückter Abend.

Was mich persönlich interessieren würde: Hast du ein Lieblingswort?
Hund! Das ist ein sehr schönes Wort.

Gibt es einen österreichischen Ausdruck den du gerne hast? Oder einen Wiener Ausdruck?
Gustieren. Das kennt man in Deutschland überhaupt nicht.

Ich dachte „gustieren“ sei so ein Wort der Hochsprache.
Nein, das gibt es wirklich nur in Österreich und ich finde es zum Totlachen. Das steht dann ja auch auf Speisekarten, so in die Richtung „Bitte gustieren sie“. Oder da gibt ja auch noch die Leute die sagen „Das ist total ungustiös“.

Ja, sowas sagen wir.
Ihr seid ein komisches Volk.

Wir verlosen 2x2 Tickets für das Konzert am Sonntag in der Arena. Schickt einfach eine Mail mit dem Betreff „This Mail is Tocotronic“ an

Isabella ist auf Twitter: @isaykah

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