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Popkultur

Mythos 31er: Deutschraps Besessenheit von "Verrätern" ist komplett hängengeblieben

Wenn es um angebliche 31-er geht, stehen Rapper und ihre Fans sofort bereit, um ehrenvoll und gnadenlos in den Krieg zu ziehen. Dabei vergessen sie aber so einiges – so wie jetzt bei Bushido.
bushido capital bra 31er
Foto: imago | Eibner

Ein Gespenst geht um in Rap-Deutschland. Das Gespenst des Verrats. Seit Jahren schon werfen Rapper, Fans und minderjährige Internet-Rambos einzelnen MCs immer mal wieder Verrat vor. Verrat an ehemaligen Geschäftspartnern, Musikkollegen, Clan-Strukturen, diversen Labels oder den eigenen Anhängern. Manchmal geht es dabei um Aussagen beim LKA und manchmal um Rapper, die Anzeigen verschicken wie deine Oma Postkarten. "Verrat!" schallt es dann sofort von den Burgmauern des Internets.

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Die schlimmsten Verräter seit Judas werden dann als "31er" beschimpft. Genau deswegen heißt der 31. Paragraph auch "Judas-Paragraph". Shots fired!

Das Problem ist nur: Erstens war Judas laut neuen Erkenntnissen wahrscheinlich gar kein Verräter und zweitens bezieht sich der oft zitierte Paragraph einzig und allein auf Strafmilderungen im Betäubungsmittelgesetz. Die Regelung ermöglicht es Gerichten, im Rahmen des § 49 Abs. 2 StGB (Gääähn!) die Strafe zu mildern oder in Fällen des § 29 Abs. 1, 2, 4 oder 6 BtMG (Doppel-Gääähn!) komplett fallen zu lassen. Aber nur, wenn ein Täter durch seine Aussagen zur weiteren Aufklärung der Tat oder zur Verhinderung weiterer Betäubungsmitteldelikte beiträgt. Versteht ihr?

Wenn ihr also täglich vor eurem Bob-Marley-Poster sitzt, die Lava-Lampe anstarrt und zwischendurch gegen Bezahlung ein paar Gramm Gras über euren Kacheltisch wandern, ist das illegal. Wenn die Polizei jetzt wegen der 300 apathischen Jugendlichen, die täglich für fünf Minuten in eurer Wohnung abhängen, misstrauisch wird und die Tür eintritt, habt ihr ein Problem. Dieses Problem könnt ihr lösen, wenn ihr verratet, woher die grünen Knollen in eurem Leinensack ursprünglich kommen und eure Geschäftspartner bei den Bullen anscheißt, um es mal ganz salopp zu sagen.


VICE-Video "Fahndungsvideo des Münzraubs vom Bode-Museum"


Obwohl ich jedes Manuellsen-Interview auswendig kann und regelmäßig als Sieger aus dem ein oder anderen Rap-Quiz hervorgehe, ist mir ein solcher Fall im Deutschrap nicht bekannt. Dennoch wurde der Begriff des 31ers seit 2012 häufiger benutzt als Torch für einen Altenheim-Witz. Damals sagte Kay One sich unter Personenschutz des LKAs von Arafat und Bushido los, um später auf RTL2 untalentierte Kackbratzen zu casten oder sich mit seinem Partner Emory verliebt im Schnee zu wälzen.

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Die Ironie an der Sache: Bushido, der mit seinem Disstrack "Leben und Tod des Kenneth Glöckner" einst das 31er-Ding lostrat, warf damals den ersten Stein. Und wie es aussieht, wurde dieser Stein im Jahre 2019 zu einem Bumerang, der mit voller Wucht auf den EGJ-Chef zurast.

Es geht hier um schwere Körperverletzung und Entführung von Kindern

Inzwischen dürfte es so ziemlich jeder Mensch mit einem Internetzugang mitbekommen haben: Capital Bra, der gehypteste Rapper Deutschlands, wirft seinem ehemaligen Boss Bushido vor, mit der Polizei zu kooperieren. Laut verschiedenen Medienberichten geht es dabei auch um eine geplante Entführung von Bushidos Kindern sowie ein Säureattentat auf Bushidos Ehefrau, Anna Maria.

Dass die Vorwürfe nicht aus der Feder irgendeines RapUpdate-Trolls stammen, konnte man sich spätestens denken, als die Polizei in den letzten Wochen sowohl Arafat Abou-Chaker, als auch dessen Bruder Yasser wegen "dringendem Tatverdacht" verhaftete. Beide sitzen momentan in Untersuchungshaft – angeblich aufgrund von Aussagen aus Bushidos Umfeld. Und auch Yassers Ehefrau soll der Polizei laut Tagesspiegel offenbar entscheidende Hinweise gegeben haben. Unter anderem, um ihre eigenen Kinder zu schützen.

Es geht hier also nicht um verballerte Grastickerei, sondern um schwere Körperverletzung und Entführung von Kindern. Trotzdem veröffentlichte Capital Bra wenige Stunden nach der Trennung einen Song namens "fick 31er".

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31er, das sind immer die anderen

Der Sicherheit seiner Familie zuliebe mit den Behörden zusammenarbeiten? Läuft für diverse, besonders harte Rapper überhaupt nicht, die in den sozialen Medien schnell ihre "Ich hab's doch gesagt"-Chance witterten. Sich gegenseitig verbal nach dem Leben trachten, um nach der anschließenden Versöhnung die Bilder des ehemaligen Rapper-Feindes auf Instagram mit Herzchen zu kommentieren? Passt immer. Genauso wie Abmahnungen an illegal streamende Fans verschicken und Anwälte im Minutentakt Unterlassungsklagen rausfeuern lassen, wenn es um GEMA-Gebühren oder Ähnliches geht. Oder sogar selbst mit der Polizei zusammenarbeiten, nachdem die einstigen Beschützer und Videostatisten zu aufdringlich wurden.

Könnte man ja mal drüber reden. Oder man wirft sich auf Instagram und Co. wie irgendwelche, 24/7 ihre Meinung wechselnden "Gangster-Rapper" für ein paar Spotify-Klicks gegenseitig komplett realitätsfernen Schwachsinn über die Einhaltung eines abstrusen Ehrenkodexs an den Kopf.

Währenddessen stehen die Rap-Fans wie die Armee von Sparta bereit, um ehrenvoll und gnadenlos gegen jeden "Verräter" in den Krieg zu ziehen. Sprich: In den Gassen und Kanalisationsrohren der Rapper-Postings streiten sich die Internet-Kids, wer von ihnen zuerst mit einer Machete seine Feinde köpfen würde.

Gottseidank gibt es aber noch Menschen, die ihr Gehirn anstatt ihres Smartphones benutzt haben. In einem Stern-Interview hatte Bushido vor ein paar Monaten gesagt, dass seine Frau der Ausschlag gewesen sein soll, sich von Arafat zu trennen. Wie auch Yassers Frau stellte sie sich wohl mutig vor ihre Kinder.

In der realen Welt müssen also allem Anschein nach zwei starke Frauen mit akuten Bedrohungen fertig werden und ihre Familie schützen. Das hat nichts mit Verrat oder 31ern zu tun, sondern mit gesundem Menschenverstand.

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