Streetfighter

FYI.

This story is over 5 years old.

Sport

Streetfighter

Wir haben uns mit einem aktiven Mitglied der illegalen deutschen Kampfszene unterhalten und dabei auch einen Blick auf seine Ausrüstung geworfen.

Über eine absurde Bahnfahrt-Odyssee, die nichts mit dem Thema illegaler Kämpfe an sich zu tun hatte, eine zufällige nächtliche Begegnung an einem Kiosk mit einem seiner Bekannten mitten im Nirgendwo und mehrere verpasste Telefonanrufe, lernte ich D. kennen. Er ist muskelbepackt, tätowiert, hat kurz geschorene Haare und einen Händedruck, auf den du dich vorbereiten solltest. Besonders viele persönliche Daten, ein hochaufgelöstes Porträt oder Bilder von seinen Tattoos werdet ihr von D. hier nicht finden. Als Vorbestrafter und aktiver Teilnehmer an illegalen Kämpfen und Turnieren hat er mir aber erzählt, wie die Szene so aussieht, wie ein Kampf abläuft und warum er Kindern Selbstverteidigung beibringt.

Anzeige

VICE: Wie bist du dazu gekommen, illegal zu kämpfen? D: Ich kämpfe schon seit insgesamt 24 Jahren. Als ich so 12 oder 13 Jahre alt war, habe ich in der DDR mit dem Boxen angefangen. Na ja, und irgendwann wurde mir mein Startbuch abgenommen, weil ich Vorstrafen hatte. Ich habe mich auch außerhalb des Rings geschlagen und noch andere Dummheiten gemacht. Nach der Aberkennung konnte ich keine offiziellen Kämpfe mehr machen. Das ist auch der Grund dafür, warum ich jetzt keinen offiziellen Trainerschein zum Boxtrainer machen kann.

Auf dem Dachboden hatte D. bis vor Kurzem seinen Trainingsraum. Teppiche, dämmriges Licht und ein Ring aus Seilen, die an den Dachbalken befestigt waren, bildeten neben den Sandsäcken die Einrichtung. D. trainierte jeden Tag und zu jeder Jahreszeit dort oben. Das, was D. auf dem Bild oben rechts in den Händen hält, sind Essstäbchen. Sie werden wie Pfeile geworfen und bleiben in der Zielscheibe wirklich stecken. Wenn sie angespitzt sind, haben sie ungefähr den gleichen Effekt wie Ninja-Sterne.

Wie war es, in der DDR zu boxen?
Damals haben die Russen, Kubaner und die ganzen sozialistischen Staaten immer ihre Kämpfer ausgetauscht und sie zusammen trainieren lassen. Ich meine, es gab in den sozialistischen Staaten keinen anderen Weg, um groß rauszukommen. Boxer waren die einzigen Sportler, die wirklich populär werden konnten und große Anerkennung genossen haben.

Wer waren die besten kommunistischen Kämpfer?
Schwer zu sagen. Der krasseste Kampf meines Lebens war gegen einen Kubaner, in der ehemaligen DDR, mit extremen Nehmerqualitäten. Ich habe ihn so oft bearbeitet, dass er eigentlich schon zehnmal hätte umfallen müssen, aber er ist einfach stehen geblieben. Das sagt man aber von allen Boxern aus den sozialistischen Ländern. Kuba, Russ-land und die DDR haben die besten Boxer hervorgebracht. Zu der Zeit waren unsere Idole Henry Maske und Henry Akinwande. Mit Maske durfte ich sogar mal kurz im Ring stehen.

Anzeige

Wann war der krasseste Kampf, den du je gesehen hast? War das auch in der DDR?
Nein, das war schon später, als meinem Kumpel das Schienbein durchgebrochen ist. Er hat einen Kick falsch abgeblockt, und als er sein Bein wieder belasten wollte, hat man alles zusammenknicken sehen. Bei so was will man einfach nicht hinkucken. Das sehe ich in jedem einzelnen Training vor mir. Vor so was hat man Riesenschiss.

Wie trainiert man denn seine Knochen, damit sie nicht durchbrechen?
Die Knochen kannst du nicht trainieren, er hätte den Tritt genauer abblocken müssen, das war der Fehler. Aber man kann den Muskel vor dem Schienbein so trainieren, dass er sich über den Schienbeinknochen legt. Die Nerven, die oben auf dem Knochen verlaufen, rutschen dann unter den Muskel und die Treffer tun nicht mehr so weh.

Hast du dann noch andere Kampfsportarten außer Boxen angefangen?
Ja, ich habe noch in der DDR mit meinen Cousins, die das schon länger machten, Jiu-Jitsu gelernt. Da kamen dann auch so Sachen wie Messerkampf, Stöcke und Chakus dazu. Später dann noch Kickboxen und Thaiboxen.

Welche Kampfsportart hat bei illegalen Kämpfen die meisten Chancen?
Na, Thaiboxen würde ich sagen. Das sind auf jeden Fall die krassesten Kämpfer. Das ist auch die allerhärteste Kampfsportart, die es gibt. Weil man dabei nie ausweicht oder versucht, etwas abzumildern. Man nimmt jeden Schlag an, mit einem direkten Block oder auf den Körper. Man versucht, die Energie aus dem Schlag des Gegners zurückzuschleudern, zum Beispiel den Schlag so hart zu blocken, dass sich der Gegner selber verletzt.

Anzeige

Gibt es bei diesen Kämpfen eigentlich festgeschriebene Kampfstile, oder ist das Freestyle?
Es gibt meistens keine Vorgaben. Es tritt mal ein Karatekämpfer gegen einen Taekwondo-Kämpfer an, ein Thaiboxer gegen einen Kickboxer, es kann alles vorkommen.

Verwendest du denn dann auch alle deine Stile gleichzeitig in einem Kampf?
Ja, klar, mal dies, mal das, das kommt auf den Gegner an.

Wie gewinnt man den Kampf? Gibt es auch Runden und Punkte?
Es gibt schon Runden, aber keine Punkte. Es geht eigentlich immer bis zum K.o. Das wird auch erwartet, und die Kämpfer kämpfen auch darauf hin. Und selbst wenn jemand nicht zusammenbricht oder in Ohnmacht fällt, dann ist es meistens trotzdem sehr deutlich, wer gewonnen hat.

Wie lange dauert so ein Kampf im Durchschnitt?
Im Durchschnitt würde ich sagen zwei bis drei Runden, jede Runde drei Minuten. Dann ist meistens alles vorbei. Es gibt auch Kämpfe, wo sich die Gegner länger gegenseitig austesten, die dann länger dauern, oder Ausdauer-Kämpfe, wo die Runden fünf Minuten dauern.

Was passiert, wenn ein Kämpfer blutet? Wird der Kampf dann abgebrochen und der Kämpfer kurz geflickt?
Nein, es geht einfach weiter. Du musst nur aufpassen, dass du es nicht ins Auge bekommst, das brennt wie Scheiße.

Kommen die Leute nur aus Berlin oder auch von woandersher?
Aus Hamburg kommen auch viele gute Kämpfer. Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart haben auch noch größere Szenen. Die Zuschauer sind oft auch Kämpfer oder Leute, die uns kennen. Ein paar Unterweltgrößen sind auch dabei, ein paar Zuhälter und so. Es sind oft nur so zwanzig Mann anwesend und man kennt sich untereinander.

Anzeige

Kommen denn auch mal ausländische Kämpfer dazu? Aus Polen oder so? Ich meine, das ist hier ja quasi nebenan.
Nein, nie. Das wollen wir auch gar nicht. Wenn wir uns mit den Polen hauen wollen, machen wir das vom FC aus.

Werden dann auch Wetten abgeschlossen? Und wer organisiert das alles denn?
Ja, klar. Wetten kannst du da auch. Tja, da gibt es schon so zwei, drei Leute, die das immer machen.

Es gibt in der illegalen Kampfszene ja keine Titel, oder? Was ist dann der Preis?
Meistens Geld. Für den letzen Kampf, an dem ich leider nicht teilnehmen konnte, weil ich mich verletzt habe, hätte ich als Preis für den Sieg 10.000 Euro bekommen.

Wenn man sich so untereinander kennt, kommt es wahrscheinlich auch nicht so oft vor, dass ein Kampf eskaliert, oder?
Nein nein, das kommt eigentlich nie vor. Es ist alles ausgemacht vorher, jeder kennt die Regeln und jeder hält sich daran. Die Szene ist viel zu stark vernetzt dafür.

Weiß man eigentlich immer vorher, gegen wen man kämpfen wird?
Es ist natürlich besser, wenn du weißt, gegen wen du kämpfen wirst. Dann kannst du dich die ganze Zeit darauf einstellen. Aber es gibt auch Kämpfe, wo du es bis zum letzten Moment nicht weißt, das ist dann schwieriger.

Wie gehst du mental mit dem bevorstehenden Kampf um?
Bei mir fängt es so ungefähr zwei Stunden vorher an, dass ich von überhaupt nichts anderem mehr etwas wissen will. Ich kann niemandem mehr zuhören, will ich auch gar nicht, interessiert mich auch alles gar nicht. Und während des Kampfes höre ich sowieso nichts außer der Stimme meines Betreuers und den Geräuschen meines Gegners. Alles außenrum ist total ausgeblendet. Man wäre auch sofort verloren, wenn man sich auf das konzentrieren würde, was außerhalb des Rings geschieht. Diese eine Zehntelsekunde, in der du nicht aufpasst, ist genau das, was der Gegner braucht, um einen schweren Angriff zu starten.

Anzeige

Wie gehst du mit dem alltäglichen Schmerz im Training und in den Kämpfen um?
Während des Kampfes merkst du das sowieso nicht. Aber im Training sitzt du schon manchmal da und schreist, oder liegst da und dein kompletter Körper tut weh. Aber das gehört dazu, und es ist auch ein geiles Gefühl.

Ein genauerer Blick auf die Ausrüstung eines Kämpfers

Handschuhe und Polster: Die Handschuhe und die Polster sind eigentlich die Standardausrüstung für das Training eines jeden Boxers. Das dickere Paar ist zwar gut, um Schläge zu trainieren, D. bevorzugt aber öfter ein leichteres Paar (links), das an der Handinnenseite offen ist, um den Gegner beim Kampf auch greifen zu können.

Viperngift: Nach einem uralten thailändischen Rezept wird diese Flüssigkeit hergestellt. Sie ist milchig, wenn man sie schüttelt, ansonsten setzen sich Flocken ab. Die wichtigste Zutat ist dabei das Viperngift, das die Gefäße deiner Haut öffnet und bei Treffern (zum Beispiel auf das Schienbein) verhindert, dass sich Blutergüsse bilden. D. behauptet, dass es viel sinnvoller ist, dieses Mittel vor dem Kampf auf die Haut aufzutragen, als etwa Eisspray, das viele Kämpfer benutzen, um ihre Haut schmerzunempfindlich zu machen. Das Eisspray hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass die Haut durch die Steifheit bei harten Treffern viel leichter aufplatzt. Du blutest wie ein Schwein und merkst es noch nicht einmal.

Notizbuch: D. unterrichtet seit einiger Zeit Kinder in Selbstverteidigung. Sie lieben ihn und „kämpfen" am Ende der Stunde alle auf einmal mit ihm, wogegen die Eltern, auf Grund seiner Art und seiner Tattoos, öfter mal ein Problem haben. Hier schreibt er seine Termine und die Fortschritte seiner Schüler hinein. Besonders talentierte Schüler erkennt er nach ein paar Minuten, aber besonders hervorgehoben werden sie bei ihm nicht. „Die sollen den schwächeren Schülern lieber beim Trainieren helfen, ihnen was beibringen. Die Kinder sollen ein Gefühl von Gruppenzusammengehörigkeit bekommen, das ist es, worum es hier auch geht."

Trainingsstöcke aus Bambus: Das hier sind die Stöcke, mit denen D. seine Schienbeine und Ellenbogen trainiert. Trainieren heißt in diesem Fall, sich damit auf die Knochen zu schlagen, um die Muskeln und die Haut schmerzunempfindlicher zu machen. Das Bündel aus dünnen Bambusstöcken kann auch benutzt werden, um Schläge mit den nackten Fäusten daran zu üben.