Spätestens seit Austrian Problems sollten wir alle wissen, dass Häupls Patenschaft für Riesenschildkröte Schurli (die wir zur Wien-Wahl im vergangenen Oktober übrigens als Orakel genutzt haben) oder ein querparkender Smart in Österreich zu den furchtbaren, erschütternden Ereignissen zählen, die eine Nachrichtenmeldung wert sind. Ja, es geht uns wirklich schlecht. Genau das zeigt auch die Rubrik “Schandfleck der Woche”, die regelmäßig in der Bezirkszeitung erscheint. Hier können Leser Bilder von Unansehnlichkeiten aus ganz Wien und natürlich auch dem Rest Österreichs einsenden, die sie aufgrund ihrer Dringlichkeit der Öffentlichkeit nicht länger vorenthalten wollen und können. In gewisser Weise macht es sich diese Rubrik zur Aufgabe, die inakzeptablen Missstände in der Welt konsequent aufzuzeigen und unsere schrecklichen Lebensbedingungen anzuprangern.
Im weitesten Sinne schafft sie das auch. Sie zeigt, wie schlecht es uns geht (nämlich gar nicht) und macht uns damit erst recht bewusst, wie schön wir es haben. Denn das, was sich die Leser und Redakteure der Bezirkszeitung unter Schandfleck vorstellen, würde jeder durchschnittliche Student als “eh voll ordentlich” beschreiben. Die Leser der Bezirkszeitung (den Schandflecken nach zu urteilen großteils angehende Pensionisten) stören sich nämlich an so ziemlich allem, was ihr Stadtbild auch nur im geringsten von einem sauber gekehrten Fantasieort entfernt und hin zu einer ganz normalen und im Fall von Wien einer eigentlich recht sauberen Großstadt bringt.
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Die Frage, die sich da unweigerlich stellt: Sind das alles eigentlich noch First World Problems? Oder sind die Schandflecken der Woche eine Beleidigung von echten First World Problems wie leerem Akku oder dem täglichen “Ich hab nichts zum Anziehen”-Dilemma? Fest steht nur: Der “Schandfleck der Woche” ist ein Geschenk des Himmels, denn er führt uns den Luxus, in dem wir leben, vor Augen. Wir haben die “Schandflecken der Woche” gesammelt, die den Lesern der Bezirkszeitung besonders schlaflose Nächte bescheren.
Abnutzungserscheinungen

Screenshot via meinbezirk.at | “Das Haus Angeligasse /Favoritenstrasse bröckelt ….es wurde vor ein paar Jahren renoviert.”
Die Zeit hinterlässt ihre Spuren. Damit müssen wir uns wohl alle früher oder später abfinden. Die Spuren der Zeit machen sowohl vor unseren Gesichtern, Ärschen und unserem Stoffwechsel nicht Halt, als auch vor der Stadt, in der wir leben. Darum kann es schon mal passieren, dass bei einem Wohnhaus der Putz abblättert oder Risse im Asphalt entstehen. Normalerweise sollte man diesen Satz nicht leichtfertig verwenden, aber in diesem Fall scheint er das erste und letzte Mal in der Geschichte der Menschheit wirklich angebracht zu sein: Haben wir denn keine wichtigeren Probleme? Einself.
Die unbequemen Seiten des Alltags

Screenshot via meinbezirk.at
Hier wird unter anderem die triste Gestaltung einer Suchtberatungsstelle kritisiert. OK. Zuerst einmal: Warum? Generell fällt auf, dass der Schandfleck der Woche nicht nur häufig ein bisschen lächerlich anmutet, sondern oft auch völlig fragwürdig bis gesellschaftspolitisch bedenklich ist. Sollte man eine Suchtberatungsstelle wirklich als Schandfleck bezeichnen? Wahrscheinlich nicht—schon gar nicht, wenn es dabei lediglich um die äußerliche Gestaltung geht und die Aussage damit schnell wie in einem Brüno-Sketch wirkt, wo hässliche Mode mit Labels wie “Auschwitz” versehen wird. Ebenso verhält es sich mit der Obdachlosen-“Wohnung” in Mariahilf. Die ist weniger ein Schandfleck als ein Symptom der oftmals vergessenen Armut in Wien.
Streetart

Screenshot via meinbezirk.at

Foto via meinbezirk.at

Screenshot via meinbezirk.at | Ein besonderer SCHANDPLATZ.
Streetart ist das Grauen des Spießbürgertums. Auch bei den Schandflecken der Woche tauchen in regelmäßigen Abständen Lesereporter-Schnappschüsse von Tags und Graffitis auf, an denen sie sich besonders stören. Egal, wie die Graffitis aussehen, sie müssen weg. Wahrscheinlich wären diejenigen unter uns, die sich ernsthaft über Graffitis aufregen können, besser im Wien des 19. Jahrhunderts aufgehoben.
Müll und Exkremente

Screenshot via meinbezirk.at

Screenshot via meinbezirk.at
Eine Dose in der Wiese? Ein Misthaufen??? Taubenkot??!1? EINE MELONE IM WASSER? Was kommt bitte als nächstes? Steht unserem behüteten Leben in Österreich ein für allemal vor dem Ende? Ist das siebte Siegel gebrochen und die Apokalypse nahe? Glaubt man der Bezirkszeitung, dann ja. Davon abgesehen, dass es nicht cool ist, seinen leeren Energy Drink von S-Budget in der Wiese zu entsorgen, können wir euch nur eines raten: Freut euch des Lebens, spart mit den Rufzeichen und bewahrt Ruhe. Alles wird gut.
Schickt Verena eure Schandflecken der Woche auf Twitter: @verenabgnr
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