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Reisen

Diese Frau ist alleine von London nach Australien getrampt

In Finnland fuhr ein Mann mit ihr in den Wald, in Thailand verbrachte sie eine Nacht auf der Polizeiwache und in Schweden war sie mit dem Nikolaus in Richtung Nordpol unterwegs.
Alle Fotos bereitgestellt von Nic Jordan

Für die meisten Menschen gibt es wenig Unangenehmeres, als stundenlang mit einem völlig Fremden in dessen müffeligem Auto durch die Welt zu gurken. Vielen Trampern gefällt aber genau das: Obwohl sie in Zeiten von Mitfahrgelegenheiten, Billigairlines und Fernbussen eigentlich so günstig reisen könnten wie nie, zählt für sie vor allem das Abenteuer – gut, und die Tatsache, dass sie dafür nichts zahlen müssen. Heute erlebt das Trampen, das wir sonst nur aus Geschichten unserer Eltern kennen, scheinbar ein Revival. Es werden sogar Meisterschaften organisiert darin, wer am schnellsten zu einem bestimmten Ort trampt.

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Nic Jordan fährt per Anhalter, seit sie 14 ist. Und gerade ist die Münchnerin auf diese Weise um die halbe Welt gereist. In zehn Monaten hat sie 20 Länder durchquert – 16.000 Kilometer Luftlinie.

Mit 7.000 Euro auf dem Konto und einem Rucksack auf dem Rücken zog die 27-Jährige los. Sie fuhr in Autos, Trucks, Tuk-Tuks und auf Fischerbooten, schlief in Hostels, auf Sofas oder Öko-Farmen, wo sie im Gegenzug arbeitete. Aber kurz bevor sie ihr Ziel erreichte, den australischen Küstenort Byron Bay (2006 von Forbes zum sexiesten Strand der Welt gekürt), musste sie schließlich doch noch in ein Flugzeug steigen: Nach einem Moped-Unfall auf Bali sagte sie ihre Hilfsstelle auf einem Frachter ab, der sie von Indonesien nach Australien bringen sollte.

Im Interview mit VICE erzählt sie, was die verrücktesten Erlebnisse ihrer Reise waren und wie gefährlich es ist, als Frau allein um die Welt zu trampen.


Auch bei VICE: Der zerstörte Kommunen-Traum von Mahana


VICE: Wie entscheidest du, zu wem du ins Auto steigst?
Nic Jordan: Früher habe ich einfach den Daumen ausgestreckt und bin mit dem Erstbesten mitgefahren. Heute stehe ich lieber Stunden rum, bis sich jemand findet, dem ich vertrauen kann. Ich habe Regeln: Soweit möglich, suche ich mir meine Mitfahrer an Tankstellen oder Raststätten, weil ich so mehr Zeit und Auswahl habe. Mir ist es wichtig, die Menschen zu lesen: Wie ist ihre Körpersprache? Wie reagieren sie, wenn ich sie anspreche? Im Idealfall ist es dabei noch hell. Ich achte meistens darauf, dass es mehrere Leute sind. Junge Pärchen oder Frauen sind mir am liebsten. Mit Familien zu reisen, ist schwierig, weil die Eltern sich um ihre Kinder sorgen und keine Fremden mitnehmen wollen.

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Hast du noch andere Regeln?
Verkatert oder betrunken würde ich nie trampen. Außerdem schlafe ich nicht mehr bei den Fahrten, das ist meine wichtigste Regel. Erstens sitze ich bei einem Fremden im Auto und zweitens ist es mir schon öfters passiert, dass es ein Kommunikationsproblem gab und ich am falschen Ort aufgewacht bin.

Wie gefährlich ist Trampen?
Die Situationen, in denen ich im Dunkeln gewartet habe und dachte, dass mich niemand sieht, waren schlimm für mich. In China war ich nachts an einer völlig unbeleuchteten Autobahn. Erst als ich mit der Taschenlampe meines Handys gewunken habe, hielt ein Truck an. In Skandinavien stand ich auch oft an dunklen Straßenrändern und habe die Tieraugen im Wald gesehen. Mir ist aber nie etwas passiert.

"Ich bin ein großer Tierfreund", sagt Nic über sich selbst. Hier ist sie gerade in Bali. Die Fotos haben Leute geschossen, die sie auf ihren Reisen kennengelernt hat

Gab es Situationen, in denen du Angst hattest?
Auf der ganzen Reise bin ich keinem Menschen begegnet, der mich bedroht hat. Momente, in denen ich Angst hatte, gab es trotzdem. In Finnland stand ich bei minus 26 Grad im Schnee, mitten im Nirgendwo, und es wurde langsam dunkel. Ich hatte keinen Schlafplatz, musste unbedingt jemanden finden, der mich Richtung Süden mitnimmt. Irgendwann hielt ein großer, breiter Mann mit Schnauzer und Fellmütze. Normalerweise wäre ich nicht mit ihm gefahren, aber er warf sofort meinen Rucksack auf die Rückbank. Und weil er nur Finnisch sprach, versuchte ich, ihm mit einer Übersetzungs-App zu erklären, dass er mich an der nächsten Tankstelle rauslassen soll. Er nickte.

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300 Kilometer später telefonierte er mit jemandem – und fuhr an der Tankstelle vorbei. Ich bekam Panik. Was, wenn er einem Komplizen gesagt hatte, dass er gleich eine junge Frau vorbeibringt, die sie umbringen könnten? Wir fuhren auf einen dunklen Waldweg und hielten an dessen Ende vor einem Haus. An der Tür standen dann eine Frau, zwei Kinder und ein Welpe – seine Familie. Letztendlich haben wir zusammen gegessen, ich durfte duschen, und die ganze Familie hat mich noch 200 Kilometer weiter gefahren zu dem Punkt, wo ich eigentlich hinwollte. Damit ich nicht im Dunkeln trampen muss. Im Nachhinein hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich so viele Vorurteile hatte.

Am Strand in Thanh Hoa, Vietnam

Was bist du sonst noch für Menschen begegnet?
In Norwegen hat mich ein Geschäftsmann mitgenommen. Er war unterwegs zur Arbeit und musste eigentlich zu einem wichtigen Meeting, aber weil er früher selbst getrampt ist, half er jedem Tramper, dem er begegnete. Also hat er sein Meeting abgesagt und ist mit mir bis zur schwedischen Grenze gefahren. Und in Schweden bin ich mit einem Trucker gefahren, der aussah wie der Nikolaus: weißer Bart, etwas kräftiger Typ. Er hat mir dann tatsächlich erzählt, dass er im Santa Clause Village in Finnland als offizieller Nikolaus arbeitet. Im Grunde bin ich mit dem Nikolaus Richtung Nordpol gefahren.

Was war dein verrücktestes Erlebnis auf der Reise?
Ich habe eine Nacht auf einer thailändischen Polizeiwache verbracht. In einer völlig überteuerten Stadt hatte ich nach einem Schlafplatz gesucht. Also hatte ich ein Schild gebastelt, mich auf den Boden gesetzt und gewartet. Der Erste, der nach zwei Minuten stehenblieb, war ein kleiner Polizist, der mich auf dem Roller zu seiner Polizeidienststelle fuhr. Dort hat er mir ein Klappbett aufgestellt, die Klimaanlage angemacht, Duschsachen dagelassen, das WLAN-Passwort aufgeschrieben und den Schlüssel auf den Tisch gelegt.

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Mit dem Truck von Peking nach Shanghai – natürlich umsonst

Wie war es, Männer kennenzulernen?
Ich habe viele schöne Tage mit interessanten Männern erlebt, aber verliebt war ich nie. Es gibt dauernd Sprachbarrieren und kulturelle Differenzen. Ich habe in Indonesien mit einem Mann Zeit verbracht, der viele Dinge aus meiner Welt nicht verstanden hat. Er konnte zum Beispiel nicht nachvollziehen, warum ich Geld für eine Krankenversicherung ausgebe. Genauso sah er es nicht ein, für eine Wohnung Miete zu zahlen – er wohnt auf dem Sofa seines Büros. Am Ende ist es zerbrochen, weil er wollte, dass ich bei ihm bleibe.

Manchmal entstehen beim Trampen Freundschaften: Mit dem Paar, das sie nach Stockholm fuhr, steht Nic bis heute in Kontakt

Nervt es nicht, Menschen immer wieder zurückzulassen?
Im Gegenteil: Ich genieße die kurze Zeit mit ihnen viel mehr, sie ist viel intensiver. Wir lernen uns schneller kennen, freunden uns schneller an. Es wirkt wie vorgespult. Wenn ich mit Menschen sehr intensive zwei Wochen erlebe, freue ich mich sogar jedes Mal darauf, wieder Zeit alleine zu verbringen.

Was hast du beim Trampen gelernt?
Menschen sollten weniger Angst haben: vorm Reisen, vorm Alleinsein, vor der Welt. Ich bin als Frau alleine durch 20 Länder getrampt – und mir geht es fantastisch.

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