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So drücken sich Männer vor dem Schweizer Militärdienst

Vor allem mit Kiffen, aber auch mit Neurosen und einem guten Hausarzt entkommt man den grünen Ferien.

Ueli Maurer misstraut Secondos in der Schweizer Armee. Zumindest ihn scheint Christoph Blocher nicht zu einem linientreuen Wahlkampf ermahnen zu müssen, pisst der Verteidigungsminister mit dieser Aussage doch jedem Dritten seiner Soldaten nicht nur ans Bein, sondern mitten in die Fresse. Ich kann mir gut vorstellen, dass jetzt der eine oder andere von ihnen seine Entscheidung, dem Land, in dem er als Kind von Einwanderern aufgewachsen ist, die militärische Treue zu schwören, bereuen wird.

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Pinkeln ist dabei ein gutes Stichwort. Hätten sie am Tag ihrer Aushebung—Teil des Erwachsenwerdens jedes Schweizers—nämlich einen auf Bettnässer gemacht, sie hätten sich wahrscheinlich sowohl diese Beleidigung als auch das Robben im Schlamm, ewige Märsche durch das Nirgendwo und das zwecks Budgetbewahrung regelmässig verordnete In-die-Luft-Ballern von Restmunition ersparen können. Denn ob ihr es glaubt oder nicht: Sogar diese wohl tausendfach gebrachte, platte Ausrede scheint noch immer die gewünschte Wirkung zu erzielen—Dienstuntauglichkeit!

Foto von Fcb981 | Wikipedia | CC BY 3.0

100 Prozent sicher kann man sich damit aber nicht sein. Je nach Lust der Mit-Aufgebotenen und Laune der Rekrutierungsverantwortlichen landet man am Ende doch noch in Kampfstiefeln und Camouflage-Garderobe—immerhin werden immer noch rund zwei Drittel der 18-jährigen Schweizer als diensttauglich eingestuft. Damit euch das nicht passiert, ist ein wenig Kreativität gefragt. Je nach Lebensstil reicht aber auch die nackte Realität—bald wohl auch, eingewanderte Eltern zu besitzen. Das beweisen folgende Erfahrungsberichte aus meinem Freundeskreis.

Die (ausgefallene) Zwangsstörung
Jonas (18)

Ich hatte schon gehört, dass das mit dem Bettnässen wirklich klappen soll. Trotzdem war ich mir nicht so sicher und bereitete mich vor. Ich entschied mich dafür, eine plötzliche Angst vor Bienen entwickelt zu haben. Ich hatte mich wirklich schlau gemacht und dabei erfahren, dass sie bei solchen Ausreden gerne zuhause anrufen, um die Richtigkeit zu überprüfen. Also weihte ich meine Eltern in den Plan ein. Als ich dem Psychiater mein schreckliches Leiden erzählte, verlangte er prompt die Nummer meiner Eltern. Meine Mutter nahm ab und gab bereitwillig Auskunft darüber, dass das schon immer ein Problem gewesen sei, dass sie ein Moskito-Netz an meinem Fenster anbringen hätten müssen und mich im Sommer manchmal auch zur Schule hätten fahren können.

Einfach ehrlich sein 1: Drogen
Mike (32)

Natürlich wollte auch ich nicht ins Militär, doch war ich damals zu verpeilt, um mich richtig darauf vorzubereiten. Der Tag begann mit einem Fragebogen zum Gesundheitszustand, zum Lebenswandel. Auf jeden Fall wollten sie auch etwas über meinen Drogenkonsum erfahren. Welche Substanzen man mit welcher Regelmässigkeit konsumieren würde. Ehrlich machte ich meine Angaben. Tabak: täglich. Alkohol: täglich. Marihuana: täglich. Kokain: regelmässig. MDMA: regelmässig. XTC: regelmässig. Ketamin und anderes: regelmässig. Bei LSD und Pilzen schrieb ich „hin und wieder". Ich verlebte eine experimentierfreudige Phase damals. Nur Heroin hatte ich mir noch nie gegeben, was ich auch wahrheitsgemäss angab. Wär wohl auch zu übertrieben gewesen, denn nach der Auswertung unserer Angaben durfte ich wieder nach Hause.

Foto von Heath Alselke | Flickr | CC BY 2.0

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Einfach ehrlich sein 2: Dunkle Gedanken
Roger (29)

Wegen meinem täglichen Kiffen musste ich zur Psychiaterin. Ich sagte, dass ich sonst nicht schlafen könne und scheisse drauf wäre. Das reichte aber noch nicht, sie schlug mir sogar vor, dass sie mich nach Hause schlafen gehen lasse und ich am nächsten Tag wiederkommen könne. Also erzählte ich ihr halt, was in meinem Kopf so vorging. Es war Winter und dann bin ich sowieso immer mies drauf. Ich erzählte ihr, dass ich das Militär scheisse fände, die Welt und die Menschen und die Schweiz sowieso und dass ich mir genauso gut vorstellen könnte, einen Kameraden zu erschiessen wie den Feind. Zweieinhalb Stunden dauerte das Gespräch, vielleicht ein Rekord. Am Ende fragte ich sie, ob ich jetzt ins Militär müsse. Sie schaute mich mit erstaunten Augen an und sagte: „Herr Peier, glauben sie ernsthaft, wir würden so jemandem wie ihnen ein Gewehr in die Hand drücken?"

Alkohol, dein Freund und Helfer
Mario (25)

Ich kann es zwar nicht beweisen, aber ich glaube, dass mich der Alkohol vor dem Militär gerettet hat. Am Abend vor der Aushebung war ich trinken gegangen, ziemlich viel und ziemlich lange. Ich hatte einen leichten Kater, nichts Aussergewöhnliches. Beim medizinischen Check mass der Arzt den Blutdruck und erhielt erhöhte Werte. Er glaubte an einen Fehler und ich eigentlich auch, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mein Blutdruck mal ein Problem gewesen wäre. Das sagte ich dem Arzt auch und dass ich am Vorabend getrunken hätte. Er liess mich am nächsten Tag noch einmal kommen und legte mir erneut dieses Pumpkissen um. Er erhielt dasselbe Ergebnis wie am Vortag und liess mich gehen. Ganz geheuer war mir das Resultat dann aber doch nicht, weswegen ich die Sache von meinem Hausarzt checken liess. 24 Stunden trug ich so ein Messgerät, bis er Entwarnung gab: Alles ok, ich war untauglich und gesund, wahrscheinlich hatte doch der Alkohol seine Finger im Spiel gehabt.

Der Hausarzt, dein Freund und Helfer
Simon (30)

Zwei Tage vor meiner Aushebung schaute ich nochmal bei meinem Hausarzt vorbei. Er ist ein lockerer Typ, ein wenig Hippie-mässig, und weiss auch, dass ich kiffe. Er verstand, dass ich nicht ins Militär wollte und auch, dass ich ihn um Hilfe bat. Ich fragte ihn, ob er mir nicht irgendein Atest ausstellen könne. Dafür sei es zu spät, erklärte er mir mitfühlend. Ich gab aber nicht auf und darauf erzählte er mir von ADS. ADS war damals, vor zehn, zwölf Jahren gerade als Krankheit in aller Munde. Er gab mir einen Fragebogen mit, auf dem ich ankreuzen sollte, dass ich mich oft nicht konzentrieren könne und abschweife und so. So nämlich wäre ich „in psychiatrischer Abklärung". Als es dann soweit war, gab ich den Zettel ab und war am Nachmittag schon wieder zuhause.

Von allem etwas
Ivan (21)

Ich war bereits in meiner Rolle des kiffenden Maximal-Assis, als ich das Rekrutierungsgebäude betrat. Einen Rucksack oder zusätzliche Kleidung hatte ich gar nicht erst mitgenommen, denn ich würde nicht lange genug bleiben. Ich hatte dem Militär den Krieg erklärt—niemals würde ich diesem Drecks-Verein beitreten. Damit ich auch nicht aus Versehen aufgenommen wurde, hatte ich mich vorab bei Freunden schlau gemacht. Also versetzte ich mich in einen asozialen Bettnässer mit Hang zu Alkohol und Drogen. Gelegentlich hörte ich auch Stimmen—aber wirklich nur sehr selten, gestand ich beim Gespräch. Von allem ein bisschen und von nichts zu viel, lautete die Devise. Eine Gratwanderung, die ich mit fliegenden Fahnen bestand. Selbst Jahre später erhielt ich Einladungen für Hilfegruppen und Therapiesitzungen. Ich vermute, dass mein „imaginäres Ich" der Psychologin leidgetan hat.

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Titel-Foto: zeesenboot | Flickr | CC BY 2.0