Will ein Deutscher seinem Dasein ein Ende bereiten, so erhängt er sich mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Auf den Stuhl, Seil um den Hals, runter vom Stuhl, fertig. Gefolgt wird die Nummer eins für Lebensmüde von der Vergiftung durch Medikamente, dem Sturz in die Tiefe oder das Erschießen, wofür sich jeweils noch 5 – 10 % Prozent aller Freitod-Willigen entscheiden. Die Selbstvergiftung durch Autoabgase oder den Suizid auf Schienen wählt statistisch betrachtet nur eine überschaubare Avantgarde (obwohl meine Züge auffällig oft wegen „Personen im Gleis” ausfallen). Andere Nationen sind da etwas kreativer.

Oktober 1998: Der Trend ist gesetzt:
In Japan, Taiwan, China und anderen ostasiatischen Ländern dagegen rangiert der Freitod durch das Entzünden von Holzkohle in geschlossenen Räumen auf den Hitlisten der Selbstmordmethoden ganz vorn.
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Sauerstoffmangel führt hierbei zunächst zur Bewusstlosigkeit, in deren Verlauf das Opfer an einer Kohlenmonoxidvergiftung stirbt. Doch Kohle war nicht immer die erste Wahl. Bis in die später 1990er Jahre galt auch im Fernen Osten der Strick neben dem Springen von Hochhäusern als das unangefochtene Non plus ultra. Unfreiwillig machte sich dann im Oktober 1998 eine Selbstmörderin mittleren Alters aus Hongkong zur suizidalen Trendsetterin.
Wahrscheinlich aufgrund ihrer beruflichen Vorkenntnisse als Chemische Ingenieurin wusste sie um die Folgen des Entzündens von Holzkohle bei fehlender Lüftung und brachte sich auf diese Weise um. Radio und Fernsehen berichteten darüber und eine anhaltenden wirtschaftliche Krise tat ihr Übriges: Immer mehr Lebensmüde schlossen die Balkontür und verlegten ihr fleischloses Barbecue ins Wohnzimmer, sodass der „Charcoal-burning suicide” sich innerhalb von zwei Monaten zur drittbeliebtesten Selbstmordmethode mauserte und 2001 sogar das Erhängen überholte.
Zwar stürzen sich immer noch eine Menge verzweifelter Hongkonger Business-People aus den Fenstern der unzähligen Wolkenkratzer des Stadtstaates an der Chinesischen Südküste, doch bringen sich heute ganze 25 % aller Todunglücklichen per Kohlenmonoxidvergiftung durch Holzkohle um. Von Hongkong aus verbreitete sich der Trend ins umliegende China sowie nach Japan und Taiwan, wo er mittlerweile zum ernst zu nehmenden Problem geworden ist. Mit 4.128 Suiziden allein im letzten Jahr hat Taiwan eine der höchsten Selbstmordraten in ganz Asien.

Holzkohle aus Hongkong mit Warnung vor einer Kohlenmonoxidvergiftung
Die Supermarkt-Kette „Rxmart” hat die Kassencomputer ihrer rund 500 Filialen im ganzen Land deshalb zu Beginn dieses Jahres mit einem Warnsystem ausgestattet, das Alarm schlägt, sobald ein Kunde nur Kohle, aber keine Würstchen oder sonstiges Grillgut kaufen möchte. Die Kassiererin ist dann dazu aufgefordert, den geneigten Selbstmörder freundlich-asiatisch von seinem Plan abzubringen und auf die Nummer einer Psycho-Hotline hinzuweisen. In Hongkong gehen Kohlesäcke schon länger nur noch mit der Message „Treasure your life” über die Ladentheke. Andere Länder, andere Sitten.
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