Sex

Eine Asexuelle erklärt, wie es ist, nie Lust auf Sex zu haben

Ist sie traumatisiert oder einfach unsicher? Will sie bis zur Ehe enthaltsam leben? Fragen wie diese stellen sich Leute, wenn sie María kennenlernen. Denn die 28-Jährige ist asexuell.

Das heißt: María fühlt sich zu anderen Menschen nicht sexuell hingezogen. Wie vielen Menschen es genauso wie ihr geht, lässt sich nur schwer schätzen. Der US-amerikanische Sexualwissenschaftler Anthony Bogaert hat eine englische Studie aus dem Jahr 1994 neu ausgewertet und kam zu dem Ergebnis, dass etwa ein Prozent der Menschheit asexuell sein könnte.

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Im Teenageralter fiel María auf, dass sie nicht auf Jungs steht. Sie dachte, sie sei lesbisch. Aber auch zu Frauen fühlte sie sich nicht hingezogen. Steckte sie im falschen Körper?

Erst mit 24 fand sie die Antwort auf die vielen Fragen, die sie hatte. Im Internet stieß María auf den Begriff Asexualität, der genau das zu beschreiben schien, was sie schon immer verspürt hatte. Durch das Asexual Visibility and Education Network lernte sie andere Menschen kennen, die ebenfalls keine oder wenig Lust auf Sex haben.

Wir haben mit María gesprochen, um herauszufinden, wie es sich als asexueller Mensch in unserer hypersexualisierten Welt lebt.


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VICE: Was genau bedeutet es, asexuell zu sein?
María: Alle asexuelle Menschen vereint das fehlende Verlangen nach Sex. Ansonsten ist die Community sehr vielfältig. Einige Asexuelle haben den Wunsch, ihr Leben mit einer anderen Person zu verbringen. Anderen wiederum überhaupt nicht. Außerdem gibt es Asexuelle mit homo- und transsexuellen Neigungen.

Haben Asexuelle trotzdem irgendwann Sex?
Sexuelles Verlangen und Sexualverhalten sind zwei verschiedene Dinge. Das Verlangen ist bei uns kaum bis gar nicht vorhanden. Trotzdem reagieren unsere Körper auf bestimmte Stimulierungen – wir können zum Beispiel Orgasmen haben. Es gibt asexuelle Menschen, die bewusst Sex haben, weil sie entweder ihrem Partner etwas Gutes tun wollen oder weil sie trotz des fehlenden Verlangens Spaß dabei haben.

“Einige asexuelle Frauen befriedigen sich vor ihren Regelblutungen selbst, das soll bei Menstruationskrämpfen helfen.”

Gibt es Beziehungen, wo alle asexuell sind?
Viele Asexuelle sind auf der Suche nach dem romantischen Ideal. Aber egal ob beide Partner oder nur einer asexuell sind – wie in jeder Beziehung ist es wichtig, darüber zu reden. Es gibt auch asexuelle Menschen, die nur wegen des gesellschaftlichen Drucks in Beziehungen sind. Manche sind sogar verheiratet und haben Kinder. Sie konnten ihren Partnern nie erklären, wie sie wirklich fühlen.

Masturbieren Asexuelle?
Manche schon, manche nicht. Bei der Asexualität geht es vor allem darum, wie sehr man sich zu anderen Menschen hingezogen fühlt. Das hat mit der eigenen Libido nichts zu tun. Durch das Asexual Visibility and Education Network habe ich Leute kennengelernt, die zum Beispiel während der Klausurphase masturbieren, weil sie das entspannt. Einige asexuelle Frauen befriedigen sich vor ihren Regelblutungen selbst, das soll bei Menstruationskrämpfen helfen.

Schaust du Pornos ?
Ja, das machen viele Asexuelle. Wenn ich einen Film ansehe, in dem zwei Verliebte mitspielen, dann will ich immer, dass sie miteinander schlafen. Keine Ahnung, wieso. Sexszenen machen mich an, aber wenn ich im echten Leben in einer solchen Situation bin, lässt mich das völlig kalt.

Was denkt die Gesellschaft über asexuelle Menschen?
Asexuellen Männern wirft man oft vor, nicht männlich genug oder heimlich schwul zu sein. Und Frauen gelten sofort als Lesben oder als frigide und verbittert.

Wie reagieren die Leute, wenn du sagst, dass du asexuell bist?
Die denken oft, ich lebe enthaltsam. Das ist aber etwas komplett anderes. Außerdem sind sie häufig sehr herablassend: Wir Asexuellen würden nur eine Phase durchmachen, bei der richtigen Person bekämen wir schon Lust auf Sex. Ich habe auch schon gehört, dass ich nur deswegen keinen Sex hätte, weil niemand mit mir schlafen wolle.

“Mit 17 hatte ich keine Ahnung, dass es so etwas wie Asexualität gibt. Deswegen wurde ich gefühlskalt.”

Behandeln dich die Leute deswegen anders?
Manche ignorieren mich komplett, wenn ihnen klar wird, dass sie nicht mit mir schlafen können. Andere sehen das als Herausforderung. Einmal fing eine Freundin einer Freundin sofort an, unzählige Fragen zu meiner Asexualität zu stellen. Als ich darauf antwortete, unterbrach sie mich und sagte, dass sie mich unbedingt ficken wolle. Dabei hatte es vorher überhaupt keine sexuellen Spannungen zwischen uns gegeben.

Asexuelle Menschen, die irgendwann in ihrem Leben schon mal sexuelles Verlangen verspürt haben, sind noch schlimmer dran: Andere Leute gehen dann nämlich automatisch davon aus, dieses Gefühl wieder hervorrufen zu können.

Gehst du mit deinem Umfeld weniger herzlich um, weil du niemanden auf falsche Gedanken bringen willst?
Mit 17 hatte ich keine Ahnung, dass es so etwas wie Asexualität gibt. Ich wusste nur, dass ich keine Lust auf Sex hatte. Deswegen wurde ich gefühlskalt. Von mir gab es weder Küsse und Umarmungen, noch Herzlichkeit. Ich dachte immer, dass man mir sonst vorwerfen könnte, anderen nur etwas vorzumachen. Mit der Zeit habe ich mehr über meinen Zustand gelernt und konnte dem endlich einen Namen geben. Dadurch bin ich meinem Umfeld gegenüber immer offener und ehrlicher aufgetreten.

Wie fühlt es sich an, in einer hypersexualisierten Gesellschaft zu leben, selbst aber kein sexuelles Verlangen zu verspüren?
Einmal hing ich mit Freundinnen ab. Sie redeten über ein Werbeplakat neben uns, auf dem ein Typ in Unterwäsche zu sehen war. Da wurde mir bewusst, dass ich solche Sachen überhaupt nicht wahrnehme. Und wenn ich einen Film anschaue, in dem zwei Menschen abseits der Handlung Sex haben, dann frage ich mich immer, was das überhaupt bringt.

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