Knapp 800 Milliarden US-Dollar. So viel hat Meta, wie sich der Facebook-Konzern seit Oktober 2021 nennt, in nur etwas über einem Jahr an Wert verloren. Den Großteil davon in den letzten acht Monaten. Natürlich ist Mark Zuckerbergs Imperium noch immer eins der größten Tech-Unternehmen der Welt. Milliarden Menschen nutzen seine Produkte täglich, die Userzahlen steigen kontinuierlich. Trotzdem gehört Facebook durch den Kursverfall nicht mehr zur Riege der sogenannten Big-Tech-Unternehmen. Diese beginnen für die US-Aufsichtsbehörden erst bei einem Börsenwert von 600 Milliarden US-Dollar. An seinem bisherigen Tiefpunkt am 3. November lag Meta bei knapp 236 Milliarden.
Der Namenswechsel, der Fokus aufs Metaverse und die seelenlose PR-Kampagne mit Zuckerbergs kränklich aussehendem Avatar haben das Unternehmen viele Ressourcen gekostet. Reality Labs, Metas Metaverse-Team, hat von 2019 bis 2021 über 21 Milliarden Dollar verschlungen. Gleichzeitig zeigen die drei Kernprodukte des Konzerns – Facebook, Instagram und WhatsApp – erhebliche Schwächen.
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Das Jahr ist noch nicht vorbei, und Reality Labs hat bereits weitere 9,4 Milliarden Dollar geschluckt.
Im Februar 2022 kündigte Metas Finanzvorstand David Wehner an, dass der operative Verlust dieses Jahr erheblich zunehmen wird. Und das tat er. Das Jahr ist noch nicht vorbei, und Reality Labs hat bereits weitere 9,4 Milliarden Dollar geschluckt. Wehner geht davon aus, dass diese Verluste Jahr für Jahr signifikant steigen werden.
Zuckerbergs Obsession mit dem Metaverse – einer digitalen Einöde, die man nur mit einer teuren und unhandlichen VR-Brille besuchen kann – spielt dabei eine große Rolle. Aber auch Metas Kerngeschäft plagen fundamentale Probleme, die darauf hindeuten, dass der Konzern Facebook und Instagram nicht mehr so einfach als Gelddruckmaschinen aufrechterhalten kann. Es ist sogar fraglich, ob WhatsApp der meistgenutzte Messengerdienst der Welt bleibt.
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Von Apple vorgeführt
Facebooks Kerngeschäft mit Werbung steht gerade unter Druck. Grund dafür ist ein anderer, offenbar kompetenterer Monopolist: Apple.
2021 hatte Apple die Privatsphäreneinstellungen seines iOS-Betriebssystems so geändert, dass es schwieriger für Drittparteien wie Facebook wurde, User-Daten zu sammeln und für personalisierte Werbung zu verwenden. Der Umsatz im Werbegeschäft fällt bei Meta deswegen dieses Jahr zehn Milliarden Dollar geringer aus.
Für Investoren, die schnelle Gewinne erwarten, ist das eine schlechte Nachricht, ebenso wie die Versteifung auf ein Metaverse, das niemand zu wollen scheint. Facebooks Einnahmen schrumpften zwei Quartale hintereinander, die Kosten und Ausgaben stiegen. Die Nettoeinnahmen brachen substanziell ein. Und so ist es kein Wunder, dass Investorinnen und Investoren das sinkende Schiff verlassen und den Aktienpreis fast 70 Prozent einbrechen lassen haben.
Und nicht nur das: Apple hat noch eine Neuerung angekündigt, die Facebook treffen dürfte. In Zukunft soll das Kaufen von Anzeigen in der Facebook-App als “digitaler Einkauf” gelten, womit die 30 Prozent Gebühr des Apple Stores fällig wären. Noch kann man nicht sagen, wie sehr sich das auf Facebook auswirken wird. Eine gute Nachricht ist es auf jeden Fall nicht.
Das ist vor allem aus zwei Gründen wichtig: Facebook verdient das meiste Geld pro User in Nordamerika und seit Kurzem haben mehr Amerikaner ein iPhone als ein Android-Handy. Auch in anderen Teilen der Welt gewinnen Apples Produkte stetig Marktanteile. Dazu sind iPhone-Besitzerinnen und Besitzer im Durchschnitt wohlhabender. Dementsprechend kann es auch teurer sein, personalisierte Werbung für sie zu schalten.
Der Vormarsch des iPhones in den USA und, noch wichtiger, auf der ganzen Welt könnte ebenfalls problematisch für Meta werden, wenn WhatsApp-User nach und nach auf iMessage und andere Messengerdienste umsteigen.
Nicht mehr als eine Werbeplattform
Wie Malcolm Harris in einem großartigen Artikel fürs NYMag schreibt, betrachten nicht wenige Menschen die Entwicklungen im Silicon Valley durch die Linse des sogenannten Technofeudalismus. Nach dieser Ansicht tauchen Technologieunternehmen in alle Bereiche unseres Lebens ein und schöpfen damit Daten ab. Dieser Lesart folgend ist Facebook allmächtig und unaufhaltsam. Wenn man aber genauer hinschaut, klingt das vielmehr nach Silicon-Valleys Selbstmythologisierung. Die Realität sieht anders aus.
“Facebook ist viel weniger als das, was die Technofeudalisten darin sehen”, schreibt Harris. “Es ist eine Werbeplattform, die aus der Freizeit ihrer User Geld macht.”
Das Herz von Meta war lange Zeit Facebook – eine Werbeplattform, die sich als soziales Netzwerk ausgibt. Seinen Status als Quasimonopol erreichte das soziale Netzwerk, indem es die Konkurrenz entweder aufkaufte oder schamlos kopierte. 2012 kaufte Facebook Instagram für eine Milliarde Dollar, 2014 Oculus VR für zwei Milliarden Dollar und 2014 WhatsApp für 19 Milliarden Dollar.
Damit erweiterte der Konzern nicht nur sein Portfolio, sondern eliminierte auch die Konkurrenz. Oder er kaufte anderen Unternehmen die fähigen Mitarbeiter weg. Und wenn das mal alles nicht ging, kopierte Facebook dreist. Instagram-Stories waren die Antwort auf den Aufstieg von Snapchat, Reels der Versuch, TikTok zu imitieren. Was bei Stories funktionierte, war bei Reels ein Desaster. Überhaupt bekommt Meta aktuell auf allen Ebenen von TikTok den Arsch versohlt.
Monopol oder Untergang
Facebook mag weltweit weiterhin extrem beliebt sein, wird aber immer mehr zur digitalen Resterampe. Die aktivsten User in Nordamerika und Europa werden immer älter. In den USA wird es von Teenagern kaum noch benutzt. Instagram steht dagegen noch ganz gut da. Das letzte große – und inzwischen wieder irgendwie zurückgezogene – Update führte jedoch dazu, dass zahlreiche Promis Instagram heftig kritisierten. Das alles erklärt ein bisschen, warum Meta jetzt alles auf sein letztes potenzielles Monopol setzt: Virtual Reality. Wie sich herausstellt, eine gigantische Geldverbrennungsmaschine.
Das ist schon eine bemerkenswerte Veränderung für ein Unternehmen, das bis vor kurzem noch selbstbewusst seine Muskeln spielen ließ und versuchte, so viel Platz außerhalb der Facebook-App einzunehmen wie nur möglich. Facebook hat radikal versucht, mit der Funktionsweise seiner Plattformen Aspekte unseres Lebens zu verändern.
Die Beispiele dafür reichen von harmlos bis monströs: Um 2015 herum begann Facebook, Videos im Feed zu bevorzugen, was Umstrukturierungen bei zahlreichen Medienunternehmen zur Folge hatte. Wie sich später herausstellte, basierten die dazugehörigen Zahlen zum Nutzerverhalten auf fehlerhaften Erhebungen. Nachdem jahrelang Nachrichtenseiten im Feed bevorzugt worden waren, kündigte der Konzern an, in Zukunft wieder individuelle User hervorzuheben. Dann versuchte Facebook, Shopping bei Instagram einzuführen, und scheiterte kläglich. Über die Jahre hat der Facebook-Algorithmus Fakenews verbreitet, Menschen in Verschwörungsgruppen getrieben und sogar maßgeblich zur Anstachelung eines Völkermords beigetragen.
Zwischenzeitlich hatte es der Konzern mit der Digitalwährung Libra auch auf den globalen Zahlungsverkehr abgesehen. Kurz nach Bekanntmachung der Pläne äußerten sich Aufsichtsbehörden auf der ganzen Welt besorgt, dass Facebook damit die Geldpolitik und Kontrollfunktion von Notenbanken unterlaufen könnte. Der Konzern hatte sich bis dahin immer darauf verlassen, dass er im geopolitischen Wettstreit mit China und dessen Tech-Firmen zu wichtig war, um von Aufsichtsbehörden ernsthaft behelligt zu werden. Facebook versprach, dass Libra den US-Dollar noch mächtiger machen würde, benannte das Projekt in Diem um und entkoppelte es vom Unternehmen. Trotzdem erteilten die Finanzaufsichtsbehörden den Plänen eine Absage und es wurde an eine Bank verramscht.
Wie sind die Libra-Pläne rückblickend eigentlich zu verstehen? Waren sie ein weiterer Schritt Facebooks zum allmächtigen Tech-Konzern? Das Projekt wurde zusammen mit einer Reihe von namhaften Unternehmen und Non-Profits angekündigt, sein Geschäftsführer Stuart Levey verfügte über beste Verbindungen nach Washington und an die Wall Street, außerdem hatte es einen Konzern im Rücken, dessen Produkte Milliarden Menschen nutzen. Trotzdem wurde es erstickt, bevor es Gestalt annehmen konnte.
Der Autor Evgeny Morozow hat eine viel einfachere Erklärung: Facebook wollte sich ein weiteres Kerngeschäft aufbauen. Der Konzern interessierte sich für den Finanzbereich, weil chinesische Tech-Giganten zeigten, dass Bezahl- und Kommunikationssysteme einander hervorragend ergänzen. Um mit den Märkten im Ausland mithalten zu können, in denen sich bereits chinesische Unternehmen etabliert hatten, musste Facebook sein eigenes Bezahl-Kommunikationssystem anbieten. Und als wichtiger Akteur im Wettstreit mit China erwartete Facebook, um regulatorische Hürden herumzukommen.
Facebook wollte also in erster Linie sein Geschäftsmodell erweitern und sich gleichzeitig vor einer Zerschlagung schützen. Die Chance blieb dem Unternehmen verwehrt, die Notwendigkeit für Veränderung ist aber immer noch akut. Seit Facebook zum ersten Mal mit Libra an die Öffentlichkeit ging, haben sich die Bemühungen der Kartellwächter nur verschärft. Metas starrköpfiges Beharren auf dem missglückten Metaverse zeugt von Ambition wie einer gewissen Einfallslosigkeit. Es ist der verzweifelte wie notwendige Versuch des Unternehmens, seine Schlüsselrolle in der digitalen Ökonomie beizubehalten – mit oder ohne Werbepartner. Das Finanzprojekt war sein erster Versuch, der deprimierende digitale Nachbau der Realität der zweite.
Facebook ist noch nicht am Boden
Nur weil Facebook zum ersten Mal in seiner Geschichte in ernsthaften Problemen zu stecken scheint, bedeutet das nicht, dass dieser langsame Abstieg zum Status eines Werbegiganten unter vielen unausweichlich ist – und genauso wenig bedeutet das, dass wir dem Unternehmen seine monopolistischen Ambitionen vergeben sollten. Facebook verfügt immer noch über unglaubliche Macht, die zur Verbreitung von Desinformationen und Fehlinformationen auf der ganzen Welt beigetragen hat. Es ist weiterhin eine wichtige Plattform und trotz aller Rückschläge weiterhin ein Monopolist. Für nicht unerhebliche Teile der Weltbevölkerung sind Facebook oder zu Meta gehörende Plattformen gleichbedeutend mit dem Internet. Ein Zustand, zu dem das Unternehmen aggressiv beigetragen hat. Das alles ändert sich nicht, nur weil Meta in letzter Zeit zunehmend inkompetent agiert.
Einen kleinen Grund zum Feiern gibt es aber vielleicht doch. Erstens weil Facebook trotz all seiner Macht zum ersten Mal zerbrechlich und angreifbar erscheint. Mark Zuckerberg muss sich vor Investoren verantworten, denen seine nächsten Fünfjahrespläne für den Wettstreit mit China und der langsame Aufbau eines neuen Geschäftsmodells ziemlich egal sind, solange die Rendite nicht stimmt. Zum ersten Mal erscheint es im Bereich des Möglichen, dass Meta ein normaler Megakonzern wird und nicht länger der Welten verändernde Monolith.
Zweitens scheinen die Aufsichtsbehörden Metas Pläne – oder zumindest Teile davon – durchschaut zu haben. Die amerikanische Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde, FTC, hat sich bereits daran gemacht, Übernahmen von Unternehmen zu blockieren, die Facebook beim Bau des Metaverse hilfreich sein könnten. Und zu guter Letzt ist Metas Versagen eine weitere Chance, über Alternativen zum technologischen Angebot von heute nachzudenken – und Facebook davon abzuhalten, seinen Würgegriff um unsere digitale Kultur wieder zu festigen. Was für Kommunikationsmittel, Zahlungsmethoden und Plattformen wollen wir eigentlich haben – insbesondere, wenn wir sie nicht mit Werbeeinnahmen als Hauptaugenmerk entwerfen? Was für Technologien sollten sich weiter entfalten dürfen, welche verboten werden?
Facebooks Fehlgriffe, das Finanzsystem als neuen Geschäftszweig aufzubauen, die Überschätzung der Geduld seiner Investoren für das Metaverse als neuen, aufkeimenden Geschäftszweig und Apples Fähigkeit, mit seinem Monopol Facebooks Kerngeschäft zu schaden, lassen den Konzern so schwach dastehen wie noch nie. Ob die Aufsichtsbehörden, die Konkurrenz oder wir es schaffen werden, diesen Moment der Schwäche auszunutzen, ist allerdings eine ganz andere Frage.
Am 9. November hat Meta bekanntgegeben, 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlassen. Der Börsenwert ist seitdem wieder auf knapp 290 Milliarden US-Dollar gestiegen.
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