Vor einiger Zeit schrieb ein Philosoph, dass wir Menschen mit dem Aufkommen neuer Medien immer dümmer werden würden. Seine These: Je mehr Gedächtnisstützen wir uns schaffen, desto weniger denken wir aktiv nach.
So oder ähnlich argumentieren immer noch viele (nicht ganz unironischerweise auch im Internet), wenn es darum geht, sich Phänomene wie „die heutige Jugend” und „die allgemeine Verdummung der Menschheit” zu erklären.
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Die Sache ist nur, dass es sich bei dem erwähnten Philosophen um Platon handelt—und bei dem Medium, das er damals kritisierte, um die Schrift. Das macht das Internet nicht automatisch immun gegen Kritik und auch nicht alle mahnenden Stimmen gleich zu Idioten, aber es zeigt zumindest, dass sich die Menschen auch vor knapp 2400 Jahren schon dieselben Gedanken über ihre Nachfolge-Generation gemacht haben wie heute.
Das ignoriert man immer dann besonders gerne, wenn die Medien gerade wieder eine Handvoll Facebook-Kommentare an die Oberfläche spülen, die ein besonders hohes Maß an Dummheit zur Schau stellen.
So postete vergangene Woche ein Lehrling in Bezug auf die Wasserabkühlung überhitzter Flüchtlinge durch die Feldkirchner Feuerwehr: „Flammenwerfer währe (sic!) da die bessere Lösung”. Ein ähnliches Posting tauchte auch auf der Facebook-Seite einer Grazer Supermarktleiterin auf, die, wie vor kurzem bekannt wurde, auf den Brand vor dem Erstaufnahmelager Traiskirchen mit: „Was? vor den Mauern. In den (sic!) Gebäude wäre besser. schlecht gezielt” reagierte. Und ausgerechnet zwei Rettungshelfer schrieben von „reinen Schmarotzern”, „Wirtschaftsflüchtlingen” und „300 armen Flüchtlingen mit Designerklamotten und Smartphones”.
Alle drei Postings wurden nur deshalb öffentlich bekannt, weil der jeweilige Arbeitgeber daraufhin das Dienstverhältnis mit den Postern beendete—im Fall des Lehrlings Porsche, im Fall der Supermarktleiterin Spar, im Fall der Rettungshelfer das Rote Kreuz. Und die Befürchtung, die seither in der Luft liegt, ist, dass es sich dabei nur um die Spitze des Idioten-Eisbergs handelt.
Auch die deutsche Huffington Post schrieb vor einer Woche, dass die „unaufhörlich voranschreitende Verblödung” der Menschen Deutschland an den Abgrund bringen würde. Aber das Problem liegt woanders—nämlich in unserer Wahrnehmung.
Der Unterschied zu früher ist nicht die abnehmende Intelligenz oder die zunehmende Verblödung der Leute. Der Unterschied ist, dass mit der Demokratisierung der Medien durch soziale Netzwerke die alte Hierarchie von Sender und Empfänger wegbricht und jeder User auch zum Medienproduzenten wird.
Es wird heute nicht weniger gelesen als früher, sondern immer mehr. Aber eine Internetnutzung von 72 Prozent, mit der Österreich in den europäischen Top 10 liegt, bedeutet eben auch, dass mehr Menschen als je zuvor ihre einfachen Antworten auf komplexe Fragen mit dem Rest (zumindest ihres Teils) der Welt teilen können.
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Das macht die Inhalte natürlich nicht besser. Wenn Menschen darüber schreiben, dass Asylzentren und Asylwerber brennen sollen, ist das indiskutabel. Es ist aber auch die direkte Konsequenz einer Stimmung, in der es Schlagzeilen gibt wie: „Mikl-Leitner fordert niedrigere Standards für Flüchtlinge” und wo Nationalratsabgeordnete Abschiebungen mit Militärflugzeugen fordern, damit Flüchtlinge „schreien [können], so laut sie wollen“.
Wenn Politiker in wohlüberlegten Interviews oder vorgeschriebenen Reden solche Sager loslassen, wie kann man dann einfachen Facebook-Nutzern spontane Entgleisungen vorwerfen, die in dieselbe Kerbe schlagen?
Deshalb bringt es leider auch nichts, die Dummen für ihre Postings mit Kündigung oder Entlassung zu bestrafen. Aus Sicht der Unternehmen ist so eine Aktion zwar verständlich, weil Unternehmen per se keine soziale oder erzieherische Aufgabe haben und ihre Marke beschützen wollen. Auch rein rechtlich sind Entlassungen von Angestellten völlig gerechtfertigt.
Die Dummen sind zahlenmäßig sogar ziemlich unterlegen, wie man an den Identitären sieht:
Die Rechten erleben nicht deshalb einen (erneuten) Aufschwung, weil es immer mehr immer dümmere Wähler gibt—sie bekommen Zuspruch, weil sie einfache Antworten haben und diese Antworten über die sozialen Medien elegant an den Gegenstimmen der Experten vorbei unter die Leute bringen können.
Die Empfänger dieser Botschaften haben sich nicht geändert. Was sich sehr wohl geändert hat, ist der Weg, über den der Populismus direkt an diese Empfänger kommt.
Dumm ist es auf der anderen Seite natürlich auch, zu glauben, man könnte ein globales Problem lösen, indem man sich nationale Scheuklappen aufsetzt und das alte Xenophobie-Mantra herunterbetet.
Dumm ist auch die Behauptung, dass wir in Österreich „zu viele Flüchtlinge” hätten, während die Türkei und der Libanon mit jeweils knapp 2 Millionen Flüchtlingen und Jordanien noch mal mit einer halben Million Flüchtlingen umgehen muss, obwohl der Libanon und Jordanien weit weniger Einwohner als Österreich haben.
Das Problem sind diejenigen, die auf alles eine einfache Antwort haben.
Dumm ist erst recht, immer wieder den Mythos von den reinen „Wirtschaftsflüchtlingen” durchzukauen, weil, wie der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler betont, Hungerflüchtlinge keine Wirtschaftsflüchtlinge sein sollten.
Aber am dümmsten ist und bleibt es, anhand einer Momentaufnahme die zunehmende Verdummung der Menschheit auszurufen. Was wir damit in Wahrheit tun, ist nichts anderes als einen Punkt in der Gegenwart (alles ist schlimm) mit einem Punkt in der Vergangenheit (alles war gut) zu einer Geraden zu verbinden und daraus eine Tendenz abzuleiten.
„Sich auszumalen, dass das, was im Moment passiert, auch weiterhin passieren wird, ist genau das, was Satiriker tun”, schrieb der New Yorker dazu Anfang 2015. „Es ist aber auch, was Dummköpfe tun. Jeder Teleshopping-Typ versucht, Gold zu verkaufen, indem er auf den steigenden Preis zeigt und darauf besteht, dass dieser nur weiter steigen könne. Aber in der echten Welt gibt es keinen Vektor, der ausschließlich eine gerade Linie bildet. Er trifft entweder auf eine Gegenkraft oder teilt sich entzwei.”
Was als nächstes passiert, ist niemals nur die direkte, lineare Fortsetzung davon, was als letztes passiert ist. Wenn ein aktuelles Thema wie die Flüchtlingsproblematik zurecht jedes Medium der Welt beschäftigt und einfache Menschen deshalb die ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen, um den komplexen Sachverhalt auf einfache Aussagen herunter zu brechen, dann ist das nicht das Ende der Zivilisation oder Europas. Es ist auch kein Vorgeschmack darauf, wie exponentiell viel dümmer die Menschheit von morgen sein wird.
Es ist ein Zeichen dafür, dass es Auseinandersetzung und Aufarbeitung statt Meinungsverbot und Strafen braucht. Und es ist eine Warnung an uns, nicht die gedankliche Abkürzung Richtung Kulturpessimismus zu nehmen und es so den Rechten gleichzutun. Denn das Problem sind jetzt schon diejenigen, die auf alles eine einfache Antwort haben.
Markus auf Twitter: @wurstzombie