Endlich hat das Land echte Bagels

»Diesen Bautrick kenn ich noch aus besetzten Häusern«, erklärt mir Nick Kater, während wir auf eine Empore im hinteren Teil seines Ladens klettern. Oben steht eine abgeranzte Retrocouch und ein paar gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos lehnen an der Wand. Es ist fast wie ein zweites Stockwerk, auf der anderen Seite des Raumes gibt es noch eine Empore. Wie lange genau hat Nick in besetzten Häusern gelebt? »Oh, zehn Jahre oder so.«

Mit seinen volltätowierten Armen sieht nicht unbedingt wie ein typischer Bagelladenbesitzer aus, aber Schlomo’s Bagels ist auch kein typischer Bagelladen. Schon allein dass dieser Laden in Berlin existiert ist etwas Besonderes. Zwar verkaufen mittlerweile einige lokale Bäckereien »Bagels«, aber das war oft eher ein Zufall als ein ernst gemeinter Plan – ein neuer Snack für New Yorker mit Heimweh, nicht viel mehr. Bis das Mogg & Melzer eröffnete – jetzt nur noch Mogg, nachdem die ursprünglichen Partner mittlerweile getrennte Wege gehen –, war die Stadt nicht unbedingt für traditionelle jüdische Küche bekann. Bagels stammen zwar aus unserem Nachbarland Polen, aber fristeten ihr Dasein hierzulande bis vor Kurzem eher im Schatten. Doch die Dining-Szene Berlins wird immer kosmopolitischer, die Leute wollen neue Küchen ausprobieren. Bagels sind in den Staaten so verbreitet, dass sie als exotisch genug durchgehen und sich so langsam ein Interesse regt.

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Nick ist zwar durch New York zum Bagel gekommen, aber das Schlomo’s Bagels wäre ohne Berlin genauso wie ohne den Big Apple nicht so, wie es jetzt ist: In seiner aufregenden Zeit in der Hauptstadt hat Nick zusammen mit dem Team Wolf eine Bus-Tour nach Transsilvanien gemacht, in einer Bar in einem alten Kohlenkeller gearbeitet und einen der stadtbekanntesten Tattooläden geleitet. Da passt es nur, dass er und sein Team – auch wenn sie in den jüdischen Delis in den Staaten recherchiert haben – für ihr Angebot auf die besten kleinen handwerklichen Produzenten der Stadt zurückgreifen – ob beim vietnamesischen Eiskaffee oder beim langsam geräuchertem Pastrami.

Ich habe mich mit ihm über die Suche nach dem perfekten Bagel, die letzte authentische Punk-Bar Berlins und warum auf einem Bagel nie genug Frischkäse sein kann unterhalten.

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Das Schlomo’s. Alle Fotos von Andreas Huber

MUNCHIES: Wie hat das alles angefangen?
Nick Kater: Na ja, ich bin ein halber New Yorker, teilweise in den Staaten aufgewachsen und wenn wir unsere Verwandten in New York besucht haben, gab es die ganze Zeit Bagels.

Du weißt also, wie ein Bagel richtig aussehen muss. Das ist nicht einfach nur ein rundes Brötchen.
Ja, so was bekommt man hier in Berlin. Ich glaube, die wenigsten kochen sie. Das ist oft nur ein rundes gebackenes Brötchen, das nach nichts schmeckt. Ich war mal in einer anderen deutschen Stadt in einem Hipster-Café, wo es auch Bagels gab. Für 6,80 Euro bekommt man das hier [er zeigt mir ein Foto].

Oh süß, da ist ja sogar ein bisschen Belag drauf.
Fangen wir mal an: Das hier ist einfach nur ein Brötchen, kein Bagel, das sieht man an der Kruste. Der Frischkäse ist so ein Billigscheiß von Aldi oder so. Und die machen so wenig drauf. Ich sag immer: Mehr Schmiere als Teig! Das Ding ist auch so klein, da haben sie ein bisschen Rucola draufgepackt, damit es größer aussieht. Und auch noch auf einem verdammten Teller serviert. Kein Papier, wie soll man das essen?

Wie hast du dafür gesorgt, dass deine Bagels besser sind?
Unser Lachs-Bagel kostet vielleicht einen Euro mehr, ist aber drei Mal so groß und verdammt geil. Wir nehmen Philadelphia, die Bagels backen wir selbst. Wir haben schon in kleinen Mengen ein bisschen mit eigenen Bagels experimentiert und die sind ziemlich gut geworden. Bevor wir den Laden hier eröffnet haben, bin ich für zehn Tage mit einem Freund nach New York und wir haben jeden Tag in drei Bagelläden gegessen – und pro Tag gut ein Kilo zugenommen.

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Geht auch mit Tofu

Drei Läden pro Tag?
Ja, Bagel zum Frühstück, Mittag und Abendessen. Wir waren auf einer Mission. Wir wollten herausfinden, was einen guten Bagel ausmacht und wie die Läden sie so gut hinbekommen. Wir wollten wissen, mit was die Leute ihre Bagels belegen, mit was sie ihn bestreichen. Wir wollten das sozusagen richtig wissenschaftlich angehen. In jedem Laden habe ich mir Notizen gemacht, was gefiel mir, was nicht. Ich habe in allen Fotos gemacht. Sie ein bisschen ausspioniert. Alles, was ich gut fand, ist in unsere Bagels geflossen.

Hast vorher schon Restaurants gehabt?
Überhaupt nicht. Ich habe einen Tattooladen, das Bläckfisk. Erst habe ich Tattoos selbst gemacht, von zu Hause. Jetzt arbeite ich mit ein paar Leuten zusammen und ich bin eher sowas wie der Boss.

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Pastrami-Bagel bei Schlomo’s

Wann bist du auf die Idee zu diesem Laden gekommen?
Ich wollte eine Bar aufmachen, aber ich glaube, dafür bin ich zu jung. Ich wäre ja selbst mein bester Kunde und würde nur schneller altern und an irgendeinem Leberscheiß sterben. Außerdem wollte ich schon immer einen Bagelladen in Deutschland aufmachen. Wir leisten hier sozusagen Pionierarbeit und zeigen den Deutschen, wie ein Bagel aussehen und schmecken muss.

Du hast also zehn Jahre in besetzten Häusern gelebt, hast einen Tattooladen…
Ich hab auch mal Bier für ‘nen Euro in einer Punk-Bar verkauft.

Du hattest eine Punk-Bar?
Ja, in einem der besetzten Häuser, von 2001 bis 2006. Das war der alte Kohlenkeller, in den man durch eine Falltür reingekommen ist. Nur ein Loch im Boden, das war der einzige Aus- und Eingang. Wir haben das Bier für 40 Cent oder so gekauft und mussten 30 Cent abdrücken. Den Rest haben wir behalten, so haben wir unser Geld verdient. Die Bar hieß »Kontrollpunkt«, aber jeder hat sie eigentlich nur das »Kellerloch« genannt. Die Bar war richtig berühmt. Ich war irgendwann ein echter Kicker-Profi, denn wir hatten eine Regel: Wenn man sechs zu null gegen irgendjemanden gewinnt, musste der dir ein Bier kaufen. Also wurden wir echt gut.

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Nick Kater und Geschäftsleiter Andrachim

Jetzt mal ernsthaft: Wie hast du mit so wenig Geld überleben können?
Als Miete haben wir einfach nur den Strom gezahlt. Hundert Mäuse oder so für alles, also konnten schon so leben. Und der Laden war jeden Abend voll, weil irgendjemand ihn im Lonely Planet als »letzte authentische Punk-Bar in Berlin« erwähnt hatte. Also war alles gut, bist der Besitzer das Haus abgebrannt hat.

Du meinst Brandstiftung?
Ja, genau. Er hatte immer wieder versucht, uns rauszukaufen, aber da lebten 50 Leute. Später hat man bei den Ermittlungen herausgefunden, dass in zwölf Häusern Feuer gelegt wurden. Die haben das Haus einfach abgefackelt, während 40 Leute schliefen. Ein Wunder, dass niemand gestorben ist.

Das war also der »Räumungsbescheid«?
Na ja, das Haus musste saniert werden und bei sanierten Häusern kann man die Miete und alles erhöhen. Also dachten wir uns: »OK, gib uns das Geld.« Dann habe ich mit dem Tätowieren angefangen.

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Noch mehr Pastrami.

Und jetzt hast du einen Bagelladen, in dem fast alle Produkte von Berliner Erzeugern kommen.
Wir haben uns nicht so schnell mit dem Erstbesten zufriedengegeben. Den Kaffee-Räucherlachs machen wir selbst und dafür haben wir gut 50 verschiedene Sorten Lachs ausprobiert, bis wir den richtigen gefunden hatten. Bio war ganz wichtig. Wir haben Blindverkostungen gemacht und uns einfach für den besten entschieden. Der Preis und so war uns egal. So haben wir das bei allem gemacht. Unser Craft Beer kommt von Superfreunde, das Pastrami von Kumpel & Keule, Obst und Gemüse aus der Markthalle Neun und der Kaffee von Röststätte Berlin.

Es wäre sicher einfacherer oder billiger, einfach Kompromisse einzugehen.
Vor der Eröffnung kamen einige Leute großer Unternehmen oder Brauereien auf uns zu. Anheuser-Busch, Nescafé und Coca-Cola, alle waren da. Wir haben ihnen allen eine Absage erteilt, weil wir uns nur auf kleine lokale Unternehmen konzentrieren wollten. Wir haben nichts von denen im Laden. Klar wäre es billiger für uns gewesen und die Gewinnspanne wäre größer, aber ich mache das hier nicht nur wegen des Geldes. Es gibt einfachere Wege, an Geld zu kommen als mit Tattoos und Bagels.

Vielen Dank für das Gespräch, Nick.