Der Fußball hat ein Kinderhandel-Problem. Es gibt Jugendakademien ohne Zulassung in Westafrika, die Neunjährige an europäische und arabische Mittelsmänner verkaufen, die wiederum versuchen, die Kinder an europäische Klubs weiterzugeben. In Südamerika gibt es „Third-Party-Ownership”-Verträge, also Verträge über die Teilhabe einer Drittpartei, durch die zwielichtige Geschäftsmänner die Rechte an Teenagern kaufen und für den gesamten Verlauf ihrer Karriere bestimmen, wo sie spielen. Die europäischen Giganten fischen auf der ganzen Welt nach Minderjährigen und registrieren sie in ihren Jugendakademien und Farmteams. Diese Talentakquise ist brutal, unmenschlich und läuft größtenteils ungehindert ab.
Die FIFA—schon immer der geistig abwesende Vater, der wartet, bis die Hand seines Kindes auf der Herdplatte medium gebraten ist, bevor er vom Sofa aufsteht, um etwas dagegen zu unternehmen—hat nur zaghafte Schritte gemacht, um die jungen Fußballspieler zu schützen. Im Oktober 2009 führte sie eine Regelung ein, die besagt, dass jeder internationale Transfer eines Spielers unter 18 die Genehmigung des Ausschusses der FIFA-Kommission für den Status von Spielern benötigt. Der Ausschuss beurteilt, welche Transfers Artikel 19 verletzen, also die Regel, die verhindern soll, dass Minderjährige in weite Ferne von ihrer Heimat transferiert werden, zu Klubs, die sich möglicherweise nicht richtig um sie kümmern.
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Artikel 19 besagt, dass kein Spieler unter 18 international transferiert werden kann, außer: 1) Die Familie des Spielers zieht aus Gründen, die nicht im Zusammenhang mit Fußball stehen, in das Land des neuen Klubs; 2) Der Spieler zieht von einem Land der europäischen Union in ein anderes und ist mindestens 16; oder 3) Der Spieler wohnt im Grenzgebiet zum Land seines neuen Klubs (100 Kilometer oder weniger). Vielleicht könnt ihr die klaffenden Lücken in diesem Gesetz sehen. Die Familie eines brasilianischen Vierzehnjährigen kann sich entschließen, aus Gründen, die zwar nicht eindeutig klar sind, aber die definitiv nichts mit Fußball zu tun haben, nach Barcelona umzuziehen, zu welchem Zeitpunkt es legal wird, das Kind bei La Masia anzumelden.
Es gibt andere Wege, wie man Artikel 19 umgehen kann. Zum Beispiel nahm Borussia Dortmund den amerikanischen Stürmer Christian Pulisic unter Vertrag, als er im September 2014 seinen 16. Geburtstag feierte; das war möglich, weil Pulisic in der Lage war, einen kroatischen Pass zu bekommen, da sein Großvater in Kroatien geboren wurde. Diese Transaktion ging über die Bühne, als sei Pulisic in Zagreb und nicht in Hershey, Pennsylvania aufgewachsen. Man findet für gewöhnlich ein paar minderjährige Türken in den Jugendmannschaften der deutschen Spitzenklubs, obwohl die Türkei nicht zur EU gehört, denn Millionen ethnischer Türken und türkischer Staatsbürger nennen schließlich Deutschland ihre Heimat. Es ist nicht ungewöhnlich für ein 16-jähriges Ballwunder aus Istanbul, plötzlich zu entdecken, dass es einen entfernten Verwandten in München gibt oder dass sein Vater einem dubiosen Job in Stuttgart nachrennt.
In Spanien verstößt man gegen diese Regel mit dem Feingefühl eines Sprengmeisters, der die Tür zu einem Banktresor wegpustet. Letztes Jahr gab es seitens der FIFA Untersuchungen gegen Barcelona, als rauskam, dass sie minderjährige, außereuropäische Spieler in ihren Jugendmannschaften hatten, die ohne ihre Eltern in die katalanische Hauptstadt gezogen waren und über deren Anwesenheit Barcelona noch nicht einmal den spanischen Fußballverband informiert hatte. Barça registrierte die Jugendlichen stattdessen beim katalanischen Verband, und das war’s auch schon, bis ein anonymer Tipp bei den Kontrollorganen der FIFA einging. Der Ausschuss für den Status von Spielern hatte zu der Zeit, als sie stattfanden, nicht den Hauch einer Ahnung von den illegalen Transfers.
Bei Real Madrid gibt es immer wieder ähnliche Vorwürfe. Die Details sind bei solchen FIFA-Untersuchungen sind immer unklar. Doch es scheint so, als habe Madrid inoffiziell ausländische Minderjährige ab einem Alter von zwölf Jahren unter Vertrag genommen und dann bei winzigen Farmklubs untergebracht, mit der Absicht, sie in einer von Madrids vielen Jugendmannschaften oder Kadern unterzubringen, sobald sie sich weiter entwickelt haben. (Wenn die Entwicklung eines Kindes stockt, steht es natürlich alleine da.) Im Grunde versucht Madrid, minderjährige ausländische Talente unter Vor-Vertrag zu nehmen, indem sie sie bei Klubs verstecken, mit denen sie eine Beziehung haben. Diese Taktik mag ihnen auch vielleicht (gerade noch) ein glaubwürdiges Abstreiten der Kenntnis des Sachverhalts erlauben. Was? Das waren doch nicht wir, die illegal diese Spieler unter Vertrag genommen haben. Es war Racing Obscura!
Madrid und Barça sind nicht allein. Atlético Madrid, Rayo Vallecano und Valencia haben wahrscheinlich auch Dreck am Stecken. Diese spanischen Klubs ziehen diese Scheiße ab, weil sie ganz hervorragend abzuziehen geht. Die FIFA ist furchtbar schlecht darin, Spielerbewegungen festzuhalten, obwohl sie extra dafür Systeme eingerichtet hat. Ein Zwölfjähriger zieht aus Bogotá in einen Vorort von Madrid und außer den Teilnehmern der Aktion kriegt niemand etwas mit. Gepfiffen wird erst lange später, wenn überhaupt, und zwar nicht wegen der erstklassigen Überwachung von Mannschaften durch die FIFA, sondern weil Rivalen einander gegenseitig verpfeifen. (Es würde niemanden überraschen, wenn diese Ermittlung gegen Real Madrid ein kleines Vögelchen im Nou Camp losgetreten hätte.)
Wir erfahren nie das volle Ausmaß der Inkompetenz der FIFA in diesen Angelegenheiten, weil sie sich bemühen, es zu verbergen. Selbst nachdem die FIFA Barça für ein Jahr einen Riegel für neue Transfers vorgeschoben hat, haben sie nicht gerade deutlich erklärt, was Barcelona überhaupt falsch gemacht habe. So die Pressemitteilung: „Der spanische Fußballverband RFEF und der FC Barcelona wurden des Verstoßes gegen mehrere Bestimmungen betreffend den internationalen Transfer und die Erstregistrierung nicht spanischer Minderjähriger beim Verein sowie gegen andere maßgebende Vorschriften zur Registrierung und Teilnahme bestimmter Spieler an nationalen Wettbewerben für schuldig befunden.” Namen wurden nicht genannt. Spezifische Regelverletzungen wurden nicht offenbart. Nach dem Urteil gab es in der spanischen Presse Gemunkel darüber, wie und wann Barcelona das Gesetz missachtet hatte, und aller Wahrscheinlichkeit nach sind einige der Gerüchte wahr, aber wir wissen nicht, welche. Alles, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass die Katalanen Spieler unter Vertrag genommen haben, die sie nicht hätten aufnehmen sollen, und dass ihr Fehlverhalten schwerwiegend genug war, um eine schwere Sanktion nach sich zu ziehen.
Die FIFA will es sich nicht zum Geschäft machen, die beliebtesten und mächtigsten Klubs der Welt zu bestrafen. Ihre Botschaft an Barça war nicht etwa eine Anordnung zur Unterlassung, sondern viel mehr eine Anordnung, in Zukunft halbherzig zu versuchen, den Regeln zu folgen. Die Sportokraten in Zürich waren gezwungen, die Strafkeule zu schwingen, weil Barcelonas Fehlverhalten so ungeheuerlich war, dass man es nicht ignorieren konnte. Im Falle Real Madrids wird am Ende wohl festgestellt, dass der Klub irgendwie so halbwegs ja doch ehrlich genug war, um schwereren Strafen zu entgehen. Die ?–ffentlichkeit hat den Eindruck, die FIFA werde ihr Möglichstes tun, dies zu garantieren. Die Pressemitteilung über das Barcelona-Urteil behauptet, dass die FIFA den Schutz Minderjähriger im Fussball sehr ernst nehme. Wäre das der Fall, dann hätte Artikel 19 nicht riesige eingebaute Schlupflöcher und die weltweite Fußballbehörde würde sich in Bewegung setzen, um Afrika von diesen miesen, ausbeuterischen Jugendakademien zu befreien. (Der Fairness halber muss man an dieser Stelle sagen, dass die FIFA vor Kurzem ein Verbot über Third-Party-Verträge ausgesprochen hat, aber lasst uns abwarten, welche Form die Regelung genau annimmt und wie sie umgesetzt wird, bevor wir sie dafür loben.)
Wenn der Schutz Minderjähriger für die FIFA wirklich eine der obersten Prioritäten ist, dann muss ihre Bürokratie aufgelöst und komplett neu aufgebaut werden, denn sie kann weder schnell noch effizient an der Erreichung ihrer Ziele arbeiten. Es ist wahrscheinlicher, dass die FIFA sich nur dafür interessiert, den Anschein zu erwecken, dass sie sich um das Wohlergehen von Kindern sorgt, die von einem System ausgebeutet werden, das jede Menge Ausbeutung erlaubt. Es ist ein System, an dem die FIFA mal wieder eine Mitschuld trägt.