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The Talking Issue

Die wiedervereinten Cold World

Hochpulsig rasender Schmerz als Kanal der inneren Befreiung? Cold World, Wiens dienstälteste und stolzeste Vertreter des Hardcore-Gewerbes in der Kampfdivision Rock, treten Arsch seit 1988.

Foto von Daniel Eberharter

Gibt es irgendetwas in dieser hypervirtuellen, zu Tode ökonomisierten, metrosex-multiplex wixfreudigen Klon-Welt, das sich erfrischender und ehrlicher anfühlt als ein fetter, gerader Schlag in deine Fresse? Ein Gurgeltritt, der dich mit Sofortwirkung von allen überflüssigen Gedanken befreit? Hochpulsig rasender Schmerz als Kanal der inneren Befreiung? How ‘bout that? Mit der glorreichen Rückkehr der Band Cold World, Wiens dienstälteste und stolzeste Vertreter des Hardcore-Gewerbes in der Kampfdivision Rock, wird der Fight Club neu eröffnet. Sie treten Arsch seit 1988. Sie wurden mit Recht als einzige Musik-Brutalos gehandelt, die die wuchtige Finesse des HC Punk im Stil extremer Prügel-Legenden wie S.O.B, Septic Death oder Agnostic Front in die mitteleuropäischen Neunziger importierten, als der weinerliche Selbsthass des Grunge das Zepter der Musikwelt in der Hand hielt. Sie erhielten internationale Anerkennung und schmückten mit Egon Humers „The Bands“ sogar die Kinoleinwand.

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14 Jahre nach der Auflösung sind sie nun back in action, als End-30er bis Mitt-40er mit krachenden Knochen, aber gereiftem Können und allem nötigen Donnerschlag. Und nicht zu vergessen, der besten und umwerfendsten Hardcore-Scheibe des immer noch jungen Jahrzehnts. Hey, wir reden hier nicht von Nostalgie! Das hier sind keine pickeligen iPod-Kiddies im Black Flag-Shirt, die die Konzerthalle mit dem Sportklub verwechseln, und denen der Poser-Geist haltlos aus dem After trieft. Dies ist purer, lebenszugewandter, kathartischer Hass, in die feinstimmige Form des extremsten Hardcore Punk gegossen. Ein Stil, der seinen Höhepunkt vor gut 25 Jahren gehabt haben mag. Aber ab und zu braucht es Zeit, Entwicklung und historische Reifung als kollektiven kulturellen Prozess, um doch noch ein musikalisches Schwergewicht auf den Markt zu schmeißen, das zum Meilenstein und Epitom eines Genres wird. Yeppa, Mickey Rourke ist nicht mehr allein! Zeit sich schnell wieder zu ducken, auszuholen, den Kieferbruch zu genießen. Aaaaah, welche Schönheit durch Gewalt!

VICE: Cold World, das scheint heutzutage ein recht beliebter Bandname zu sein, sogar wenn man keinerlei Affinität zu Septic Death hat … Sagen euch eure neuen US Namensvetter etwas?
Dierk: Ach die, also ich find die lustig die Amis …
Erwin: Mir gefallen die gar nicht …
Dierk: Doch doch, ich find sie wirklich lustig, ich habe selten zuvor einen solch schlechten DJ gehört … Es ist schon interessant, wenn man als Band die unglaublich originelle Idee hat, den Spagat zwischen HipHop und Hardcore zu meistern, um sich dann an den schlechtesten Elementen beider zu bedienen … the worst of both worlds. Aber vielleicht sollten wir uns in The True Cold World umbenennen…

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Aber euer Bandname ist …
Dierk: … kein Zufall, und als Hommage an Septic Death’s—Thaw (Cold world) zu verstehen…

Eure Band lag ja auch über 14 Jahre auf Eis. Nur zum 20. Jubiläum wieder aufgetaut?
Dierk: Eine Show findet am 29. November im Arena Dreiraum statt, gleichzeitig zum Release der EP. Da werden auch die limitierten Exemplare inklusive Bonus 7" mit Remixen von Fuckhead und Merzbow erhältlich sein. Wenn wir die Show überleben und das ganze weiterhin Spaß macht, wird man noch mehr von uns hören.

Kriegen die amerikanischen Cold World eine Promo … zum scratchen?
Dierk: Gar keine so schlechte Idee. Wie sagte schon Bruno Kreisky: „Lernen Sie Geschichte!”

Ihr wart ja zu einer Zeit aktiv, als euer Sound, zumindest hierzulande, nicht gerade angesagt war …
Erwin: Cold World sind, wie man so sagt, zwischen allen Stühlen gesessen. Hör dir an, was zu dieser Zeit Hardcore/Punk in Österreich war, zum Beispiel diese Linzer Kombos, das ist es, was damals angesagt war. Wir waren zu schnell, zu extrem, waren aber kein Death Metal, hatten nicht das Image von Pungent Stench, daß diese cool aufgebaut haben und alles, spielten aber extreme Musik. Wir waren also vom Publikum her gesetzt sobald eine Death Metal Band gespielt hat. Von der Punk- und der Hardcore-Szene sind wir immer mehr weggerückt, weil die hat uns nicht gewollt. Wir waren zu laut, zu lärmig, zu provokativ.

Ist Cold World also keine nostalgische Band?
Dierk: Nein, im Gegenteil. Ich finde es wirklich seltsam, wie viele der neuen Bands versuchen diese Ästhetik der 80er Jahre krampfhaft nachzustellen. Bei uns hat es damals kaum andere Möglichkeite gegeben, als mit einem Walkman über ein scheiss Mikro aufzunehmen, alles andere wäre zu teuer gewesen. Heutzutage versuchen Bands bewusst so zu klingen, obwohl sie von ihren technischen Fähigkeiten her die besten Aufnahmemöglichkeiten hätten.

Ist das unbedingt als Widerspruch zu verstehen? Manche Genres leben immerhin von einem gewissen Anachronismus und einer vordefinierten Soundästhetik siehe Doom oder Black Metal …
Dierk: Ja schon, aber Hardcore Punk war in sich als Weiterentwicklung gedacht ist aber völlig stehen geblieben. Ich verstehe es nicht ganz, es gibt so viele aktuelle Probleme und jeder versucht krampfhaft, inhaltlich irgendwas aus den 80er Jahren nachzustellen, das gar nicht mehr relevant ist. Das ist totaler Bullshit. Es geht jetzt nicht mehr darum Freiräume zu erkämpfen. Heutzutage kannst du überall Konzerte spielen, du musst diesen physischen Raum nicht mehr erkämpfen, es sind jetzt andere Bedrohungen da und Hardcore Punk bietet da keine Antworten darauf.

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