Eine Literatur-Stipendiatin berichtet vom Bachmann-Preis

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Kultur

Eine Literatur-Stipendiatin berichtet vom Bachmann-Preis

"Der Literaturbetrieb ist wie eine vier Tage andauernde Jahresfeier der Sparkasse."

Foto von VICE Media

"Ich glaube, ich würde nicht da lesen."
"Ich voll. Wenn du die Chance hast… ich würd's machen!"

So reden wir im Häschenkurs der 40. Klagenfurter Literaturtage über die Lesungen beim Bachmann-Preis und ich komme mir vor wie die Nutte vom Dienst. Ich bin hier, weil ich mich um einen Platz im Literaturkurs in Klagenfurt beworben habe. Das macht man, weil man Meinungen haben will zu seinem Text. Den bespricht man hier schließlich jeden Tag eine Stunde lang mit den drei Tutoren.

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Selbst gestandene Schriftsteller, Leute, die's schon geschafft haben. „Eine Auszeichnung" sei die Annahme zu diesem Kurs, erklärt die Kulturbeauftragte von Klagenfurt uns bei der Eröffnungsrede. Voll gut. Die Lesung am Ende sei schon wichtig, weil da auch viele Lektoren und Agenten und so säßen, betonen sie. Viele, die hier mitmachen, werden später mal entdeckt, veröffentlichen Romane. Ein Traum.

Wir lesen hier vor denen und ich mag meinen Text nicht mehr. Es kommt eine Pistole drin vor und es läuft alles auf einen Höhepunkt zu und das passt nicht zu mir. So viel Action, dieses Aufmerksamkeitshaschen. Oder vielleicht doch. Vielleicht passt das doch ganz gut zu mir. Denn ich würde ja schließlich auch hier beim Bachmann-Preis lesen, wenn man mich lassen würde. Auch ich würde mich hier den Kritikern anbiedern und hoffen, dass die meinen Text mögen.

Dabei will ich auch eine Sargnagel sein. Cool und revoluzzermäßig. Ich will auch hier bei den Literaturmenschen lesen dürfen und gleichzeitig vorab auf Facebook Witze darüber machen, wie doof ich die Klagenfurter Literaturtage finde und nach der Lesung im Fernsehen sagen, dass ich eigentlich eine Rap-Karriere machen will. Aber ich bin nicht cool. Ich bin ein Nerd und vielleicht ein bisschen neidisch über soviel Scheißdrauf.

"Ganz gut" fanden die Kritiker den Sargnagel-Text über eine junge Frau, die einen Text für den Bachmann-Preis schreiben muss und sich dabei vor allem langweilt und eigentlich alles andere lieber macht als schreiben. Saufen zum Beispiel. Der Text sei ein Versuch, auszuloten, "was Literatur heute sein kann". Man würde spüren, da ist jemand, der wolle Literatur machen, ohne Literatur wirklich machen zu wollen, hieß es seitens der Jury.

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Übersetzt: Da will jemand schreiben, ohne dass man beim Lesen direkt daran erinnert wird, wie es früher war, bei Frau Meyer in der Deutschstunde zu sitzen. Das ist ja unmodern. Snobbish und nervig. Das wollen wir nicht. Wir würden ja auch nicht Frau Meyers alte Leinenhosen von Hess-Natur tragen, nein. Uncool. Wir wollen keine Texte, die traurig klingen. Traurig sein ist langweilig. Wir wollen auch keine kitschigen, emotionalen Bilder oder komplizierte Sprachspiele. Sowas ist altbacken. Außerdem auch schwierig zu verstehen und sowieso. Wir wollen Kneipe. Und Witz. Und wenn es dann manchmal ein bisschen melancholisch wird, dann finden wir das gut. Macht sich gut für den Tiefgang und so. Und ist authentisch, voll authentisch. Und das ist ja immer gut. So ein bisschen Real Life, das einem da präsentiert wird. Am besten noch mit politischer Botschaft und so, damit das auch Sinn macht. Sagte mir auch Ecki letztens in der Bar neben meiner Wohnung in Leipzig.

Oder, nee. Eigentlich sagte der, "Willst du nicht mal was Sinnvolles schreiben?", ohne je was von mir gelesen zu haben, und dann, dass er "so Schmarotzer, die sich einfach nur selbstverwirklichen wollen" voll dumm fände und wir dieses Schreiben alle nur "wegen dem Geld" machen würden. Gute Texte seien Texte mit Botschaft. Punkt. Alle anderen würden sich nur selbst inszenieren, um berühmt zu werden und Kohle zu scheffeln. Voll nett, Ecki. Anerkennung kann man mit Literatur jedenfalls nicht erwarten beim Bier in der Bar nebenan, merkte ich. Ist ja auch ok. Jeder wie er mag. Ich mag halt Schreiben. Die dicke Kohle ist bislang zwar ausgeblieben (übrigens bei allen, die ich kenne), aber OK, vielleicht kommt das ja noch. Bestimmt. Das wär cool, dann kann ich vielleicht mal meine Miete rechtzeitig zahlen.

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Bestimmt, wenn ich mich hier jetzt gut vermarkte. Ich muss mir mal die Sargnagel genauer anschauen, vielleicht kann ich mir da was abgucken, wie man das so macht mit den Medien. Wie man da drüber steht über diesen Literaturbetrieb und trotzdem alle über einen reden. Der ist schlimmer, als ich mir das vorgestellt habe, dieser Betrieb.

Es ist wie eine vier Tage andauernde Jahresfeier der Sparkasse. Schaler Wein, komische Scherpenschals, diese Literaturtage-Taschen. Diese Taschen! Bei unserer Abschlusslesung am Mittwoch liegen unsere Texte zum Mitlesen aus. Manche Agenten oder Lektoren legen die Texte schon nach einer halben Seite weg, wenn sie merken, dass sich der Schreibstil schlecht vermarken lässt. Vielleicht sind wir auch einfach zu langweilig. Oder zu alt. Ich sehe, wie eine Agentin sich unser Alter neben unsere Bios schreibt. Wer jünger ist, lässt sich besser verkaufen. Traurig. Die Gespräche im Anschluss gehen alle so:

"Hallo, wirklich gaaaaaanz toller Text. Hat mich total beeindruckt, wie du da das und dies."
"Ähm, danke …"
"Schon mal dran gedacht, einen Roman zu schreiben? Roman lässt sich besser vermarkten, weiß du."
"Öhm …"

Wer auf solche Gespräche abfährt, steht auch auf Banker. Oder Yacht-Urlaube. Oder findet, dass Canapés ein legitimes Lieblingsessen sind. Ich breche gleich. Ich glaube, kein normaler Mensch hat Lust, sich mit hornbrillentragenden Hipster-Literaten mit Gelfrisur mal ein gutes Glas Wein zu gönnen und dabei erklären zu lassen, dass man mal einen Roman schreiben könnte. Weil's sich so schön verkaufen lässt. So ähnliche Sachen kriege ich zuhause schon oft genug von meiner Mutter zu hören. Die sagt auch immer sowas wie: "Red mal mit Tante Ulli über ihr bewegtes Leben, vielleicht kannst du darüber mal ein Buch schreiben und dann mal Geld verdienen." Danke, nein.

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Die Gespräche zwischen den Autoren beginnen alle mit der Frage: "Wurdest du schon angesprochen?", und ich spüre das dringende Bedürfnis mich badass-mäßig zu verhalten. Um hier mal deutlich ein Statement zu bringen. Ich bin keiner von euch. Ich bin kein Snob. Ich bin viel zu arm und unintellektuell, um snobbish zu sein.

"Ich kann mir Wein nur von Lidl leisten und scheiße auf eure Meinung", will ich rülpsend in die Menge schreien. Dabei kann ich gar nicht rülpsen. Und zum Schreien bin ich viel zu höflich. Ich sage niemandem: "Du, ich will eigentlich nicht mit dir reden, ich will mich hier nur betrinken." Wenn mich ein Literaturmensch fragt, sage ich immer vage irgendwas mit "Romanprojekt", um wenigstens die Karte abzugreifen. Interesse hat man ja dann doch. Ist ja immer gut, die Kontakte zu haben, nicht wahr. Danach renne ich zu den anderen aus dem Literaturkurs, rolle mit den Augen und beschwere mich über die voll nervigen Agenten, auf die ich natürlich eh keinen Bock habe. Im Hotel google ich als erstes die Agenturen und bin enttäuscht, dass mich niemand von den "Guten" angesprochen hat. Dabei weiß ich noch nicht mal, wer die sind, die "Guten".

Ich will auch so coole Texte schreiben wie die Sargnagel. So ein bisschen rotzig. Ich will Street Credibility. Ich will tough sein. Und ein bisschen posen. Dann hätte ich das Volk hinter mir.

Ich will auch so coole Texte schreiben wie die Sargnagel. Das würde den "Guten" bestimmt gefallen. So ein bisschen rotzig. Ich will Street Credibility. Ich will tough sein. Und ein bisschen posen. Dann hätte ich das Volk hinter mir. Und alle anderen auch. Jetzt, wo ich noch jung und einigermaßen knackig bin. Ich will dazugehören.

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Nerviger als die ganzen Literaturbetriebsmenschen finde ich bei diesen Literaturtagen hier eigentlich nur noch mich selbst. Ich bin krampfig. Weil ich jetzt schon anfange, mir zu überlegen, wie ich jetzt endlich mal einen längeren Text (Roman!) schreiben könnte, um dann mal endlich entdeckt zu werden. Nicht, um damit die dicke Kohle zu machen und mich als Rich Kid mit Hornbrille in Champagner zu wälzen, sondern damit Leute das lesen.

Damit Leute das lesen und ich vielleicht irgendwann mal nur noch das machen kann, was ich eigentlich machen will: Schreiben. Und damit sie vielleicht dann doch irgendwann mal kommt, die Anerkennung. Wenn schon nicht von Ecki, dann doch von diesen Literaturleuten, bitte. Damit man vielleicht irgendwann nicht mehr gezwungen ist, in den Sommermonaten immer auf dem Jahrmarkt zu arbeiten, sondern, ja, vom Schreiben sogar leben kann. Damit meine Sachen vielen Leuten gefallen, schreibe ich Texte mit Höhepunkt und einer politischen Botschaft und einer Pistole drin. Das ist cool genug für die Bar und snobbish genug für die Literaturmenschen. Hoffentlich.

Broadly: Die Erfolgsgeschichte erfolgreicher Groschenromane

Aber eigentlich will ich das alles auch überhaupt nicht. Ich will Literatur machen ohne Literatur zu machen. So wie's über die Sargnagel hieß. Nur anders. Es gab gestern einen coolen Sargnagel-Moment: Als sie in der Live-Sendung am Abend ihre Startzeit zog und spontan "Neeeiiin!" ausrief, weil sie als Erste lesen musste. Man sagt ja, dass die Ersten nie gewinnen können, weil sich die Bachmann-Jury erst einmal eingrooven muss. Das fand ich ehrlich und sweet.

Da merkte man, dass auch sie die Sache gut machen wollte, auch ihr das wichtig war, wir irgendwie alle—mein Gott, selbst die coole Stefanie Sargnagel—in diesem dummen Ding drin stecken, auch wenn wir das vielleicht gar nicht so wollen. Und jetzt? Nachdem ich Friederike Kretzen bei unserem Häschenkurs-Gespräch ungefähr eine Stunde mit meinem Daily Struggle zwischen Anerkennung, Geldsorgen und kreativer Freiheit vollgeheult hatte, sagte diese nur: "Da muss man sich rigide abschotten." Wie im Krieg.

Deswegen rüste ich mich jetzt auf und gehe Eis essen und Sonnen am See. Und beim Bürgermeisterempfang stelle ich mich dann wieder so subversiv Wein trinkend in die Ecke und beobachte böse.

Lea Sauer ist freie Autorin und lebt in Leipzig. Hier postet sie manchmal Sachen.