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homophobie

Das Coming-Out von Thomas Hitzlsperger hat nichts verändert

Vor zwei Jahren hat sich Thomas Hitzlsperger als erster prominenter Fußballprofi geoutet. Heute gibt es immer noch „schwule Pässe“, aber keine weiteren homosexuellen Profis.

Es war unglaublich. Die Stunde Null. Medien tanzten den Absatz-Tango. Die Zeit feierte mit unglaublichen Zugriffszahlen ihr Exklusiv-Interview. Bild.de haute allein in den ersten vier Tagen zwanzig Texte heraus. Thomas Hitzlsperger ist schwul. Eine neue Zeitrechnung sollte beginnen. Nach knapp einer Woche die Ernüchterung. Die Medien zogen zum nächsten Thema weiter. „„Eigentlich hat sich im Fußball nichts geändert", fasst Dirk Brüllau ein Jahr danach zusammen. Er arbeitet ehrenamtlich beim internationalen Netzwerk Queer Football Fanclubs (QFF), bei dem rund 30 schwul-lesbische Fanclubs Mitglieder sind.

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Toleranz ist wichtig. Diskriminierung ist Kacke. Das wurde am 26. Spieltag der letzten Bundesliga-Saison auch wieder ansehnlich präsentiert—fast schon zelebriert. Unter dem Hashtag #StrichDurchVorurteile schlägt die Integrationsinitiative von DFL, DFB und Bundesregierung laut eigener Aussage „hohe Wellen. Auf Plastikbannern, Trikotbrüsten, in den sozialen Netzwerken oder Werbespots und viralen YouTube-Videos. Überall wurde werbewirksam die frohe Kunde verbreitet. Die Botschaft lautete: Mach einen Strich durch Vorurteile! Die Eigenvermarktung läuft. Die Selbstzufriedenheit auch. Und Homophobie lässt sich mit gutem Willen auch noch unter den Hut der Diskriminierungsformen bringen.

Integrationsspieltag! Mach einen #StrichDurchVorurteile! #f95 #F95D98 @bundesliga_de pic.twitter.com/oxb4jE3pea
— Fortuna Düsseldorf (@f95) 21. März 2015

Homosexualität oder Homophobie sind im deutschen Fußball aber wohl immer noch das größte Tabu. Hitzlsperger konnte das nicht ändern. Vereine und Verbände reduzieren Diskriminierung oft auf Rassismus. Der wird seit Jahren bekämpft. Die Vereine fühlen sich überfrachtet von den diversen Initiativen. Verantwortung für Problemthemen wird nur spärlich übernommen. „„Diverse Initiativen sind nur sinnvoll, wenn es auch unterfüttert ist", erklärt Journalist und Buchautor Ronny Blaschke. Er schrieb in seinem Buch Versteckspieler über die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban, der vor über 20 Jahren wegen seiner Homosexualität und der damit verbundenen Angst auf eine Profikarriere verzichtete. Blaschke geht sogar noch weiter: „„Solche Aktionen können sogar fahrlässig sein, weil es der Mehrheit suggeriert, dass ganz viel passieren würde, was meistens gar nicht der Fall ist." In Fußballdeutschland passiert noch zu wenig.

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Dirk Brüllau von Queer sieht weniger die DFL oder die Vereine, sondern vielmehr den DFB in der Verantwortung. „„Wichtig ist nicht der Profifußball, die wollen nur Geld verdienen. Wichtig ist die Basis", erklärt er. Für diese Basis sind der DFB und seine 21 Landesverbände verantwortlich. Auf Anfrage von VICE Sports zum Engagement des DFB verweist der Verband auf seine Satzung, in der „das Eintreten gegen jede Form der Ausgrenzung verankert ist. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die „„Charta der Vielfalt" unterzeichnet wurde, ein zweitägiges Dialogforum in Hennef stattfand und die DFB-Kulturstiftung den Kurzfilm „Zwei Gesichter mit 15.000 Euro förderte. Der Film wurde auf YouTube knapp 120.000 Mal angeschaut. Der Deutsche Fußball-Bund hat aber fast sieben Millionen Mitglieder.

Aufbauarbeit hat der DFB schon geleistet. Im Jahr 2013 erschien die noch unter Ex-Präsident Zwanziger initiierte DFB-Broschüre „„Fußball und Homosexualität", die laut Verband an alle 26.000 Vereine verschickt wurde. Ein großer Schritt für die konservative Fußballwelt. Die alleinige Existenz von Homophobie wurde erst im Jahr 2006 vom europäischen Fußballverband (UEFA) öffentlich anerkannt. Da wirkt die DFB-Broschüre wie ein Meilenstein. Unter dem Zwanziger-Nachfolger und im November erst zurückgetretenen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach stagnierte die Entwicklung jedoch. „„Theo Zwanziger hat den DFB aus dem Mittelalter ins 19. Jahrhundert geführt", berichtet Dirk Brüllau über den ehemaligen DFB-Präsidenten, der von 2004 bis 2012 im Amt war. „Doch jetzt fallen wir langsam wieder zurück", fasst er enttäuscht zusammen. Laut ihm gab es keinen intensiven Austausch mehr seit Niersbach Chef vom DFB war. Zwanziger lud regelmäßig zur Privataudienz.

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Die Broschüre des DFB stößt mittlerweile auf Kritik. Auch hier ist mehr von politischer Korrektheit und weniger von Nachhaltigkeit die Rede. „„Die Broschüre wurde nicht wie kommuniziert an alle Verbände und Vereine geschickt und es gibt keine Abrufzahlen der Onlineausgabe", kritisiert Brüllau. Weiterer Kritikpunkt: Der Leitfaden wurde nicht nachgefasst, sondern die AG, die sie zusammengestellt hat, wurde direkt aufgelöst und die Aufgaben umverteilt. Der DFB regiert aber nur an der Spitze. Für die Arbeit an der Basis, also im Amateurbereich, sind auch die Landesverbände verantwortlich.

Die Landesverbände sind eher konservativ. Führende Mitglieder sind oftmals seit Jahrzehnten dabei. „„Die Fragen, die die Verbände diskutieren, stellen nicht das Bild an der Fussball-Basis repräsentativ dar", erläutert Ronny Blaschke. Auf den Ackern der Kreisliga herrscht oft noch heteronormatives Denken. Homophobie ist an der Tagesordnung. „„Spiel ab, du Homo!", „„Steh auf, du Schwuchtel!" oder der vielgesagte „„schwule Pass"—jeder hat diese Sätze schon einmal gehört. Und viele Spieler haben sie selbst schon gesagt. Oftmals gar nicht bewusst oder böswillig. „Die Einteilung in zwei Geschlechter und die stark ausgeprägte Männlichkeit im Fußball bilden eine generelle heterosexuelle Norm. „Sehr oft sind die Menschen vielleicht nicht homophob, doch es gibt noch ein sehr ressentimentbehaftetes Denken", erklärt Blaschke. Diese gesellschaftliche Norm geht in den Fußball über.

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Die schwul-lesbischen Fanclubs von Queer kennen die Probleme. „Die Kurve ist ein Abbild der Gesellschaft. In Niedersachsen und in ganz Ostdeutschland—mit der Ausnahme von Berlin—gibt es keinen einzigen schwul-lesbischen Fanclub. „Die Verbände müssen in solchen Regionen, wo auch die Gesellschaft noch nicht so offen zu Homosexualität steht, noch mehr aufklären", fordert Dirk Brüllau von Queer. „„Sie müssen mit den schwulen Verbänden vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zusammenarbeiten und die Erfahrungen und Kontakte nutzen." Der Berliner und andere Fußball-Verbände erwägen diesen Schritt. Es gibt ein gemeinsames Ziel.

Die Queer-Fanclubs leisten seit Jahren wichtige Arbeit für Homosexuelle im Fußball. Ihre 1200 Mitglieder mussten in den Fankurven deutscher Bundesligastadien um Anerkennung kämpfen. „„Die Fanclubs haben in der Kurve an der Basis anfangen müssen, Gehör gefunden und bei vielen Vereinen eine wirklich positive Entwicklung durchgemacht", erzählt Dirk Brüllau. Oftmals waren die Ultragruppierungen die Multiplikatoren. Sie arbeiteten schon länger antidiskriminierend und unterstützten die Fanclubs. „„Irgendwann kann die Kurve dann auch Druck auf die Vereine machen", erklärt Brüllau. Von der Basis an die Spitze. Das Prinzip der direkten Sensibilisierung hilft.

Das Bildungs- und Forschungsprojekt „„Fußball für Vielfalt" will ebenfalls sensibilisieren. Die Initiative wurde vor zwei Jahren von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH), benannt nach dem Arzt, Sexualforscher und Mitbegründer der ersten deutschen Homosexuellenbewegung, präsentiert. Das Projekt beschäftigt sich mit Diskriminierung Homosexueller im Sport. Es geht tiefer in die Materie. Es wird nicht herausposaunt, sondern nach Lösungen gesucht. Die BMH arbeitet unter anderem mit der Universität Vechta an einer wissenschaftlichen Umsetzung. Vereinen und Verbänden werden gezielt verschiedene Bildungsmodule angeboten. Diese sollen Betreuer und Trainer für diskriminierendes Verhalten sensibilisieren.

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Der SV Werder Bremen wollte als erster und bisher einziger Bundesligaverein diese Module testen. Werder leistet seit Jahren viel Antidiskriminierungsarbeit und hat die DFL-Initiative für Integration und Vielfalt sogar um etliche Aktionen erweitert. Beim Heimspiel gegen den 1. FSV Mainz 05 in der letzten Saison wurden unter dem Motto „„Wir sind Werder—wir sind bunt!" unter anderem T-Shirts verteilt, Stände mit „bunten Mitmach-Aktionen aufgebaut und an den Eckfahnen wehten Regenbogenfarben, welche das Symbol der schwul-lesbischen Community sind. Doch reicht diese Arbeit scheinbar nicht aus. Die Realität auf dem Platz sieht anders aus. Die Bremer konnten die Arbeit mit den Bildungsmodulen der BMH nicht umsetzen—die Nachfrage der eigenen Trainer und Betreuer war zu gering.

Die BMH und ihr Projekt „„Fußball für Vielfalt" werden auch vom DFB und der DFL unterstützt. „„Durch das Coming-Out von Thomas Hitzlsperger haben Stiftungen wie die BMH mehr Aufmerksamkeit bekommen und dadurch bessere Argumente und Möglichkeiten", erklärt Journalist Ronny Blaschke. Seit dem Coming-Out von Hitzlsperger lässt sich die Fußball-Prominenz jetzt auch bei den Homosexuellen blicken. Ex-DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Liga-Präsident Dr. Reinhard Rauball überreichten auf einer Spendengala Anfang September 2014 vergangenen Jahres in Berlin einen Scheck über 20.000 Euro an die BMH. Ein Schritt in die richtige Richtung. Aber eben nur ein Schritt. Zum Vergleich: Jedes Mitglied im 23-köpfigen Kader der deutschen Nationalmannschaft erhielt für den Weltmeister-Titel 300.000 Euro vom DFB. Im November 2015 versprach Rauball gemeinsam mit der Bundesliga-Stiftung, dem DFB und der BMH den 36 Profi-Mannschaften der 1. und 2. Liga sowie dem Amateursport umfangreiche Bildungsmaßnahmen zum Abbau von Homophobie anbieten. Nähere Infos will Rauball jetzt Anfang des Jahres erläutern.

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Thomas Hitzlsperger ist als Bildungs-Botschafter der Initiative und Ehrengast ebenfalls oft auf solchen Galas. Er will eng mit dem DFB zusammenarbeiten. Ein einzelner Spieler kann keine gesellschaftlichen Muster ändern. Doch Hitzlspergers Coming-Out hat etwas angestoßen. In den oberen Etagen der Verbände wird das Thema Homosexualität bewusster wahrgenommen. „„Es ist einfacher für uns geworden, Gastredner zu finden, Räume anzumieten oder direkt mit den Vereinen zu reden", erklärt Dirk Brüllau. „„Durch Hitzlsperger bekommen wir auch in der Kurve ein Argument mehr, dass Schwule eben doch harten Fussball spielen können." Doch ein Hitzlsperger oder auch ein neuer geouteter Hitzlsperger reichen nicht aus. Der DFB muss auch mitmischen.

Der DFB könnte so schnell handeln. Seit Jahren spielt die deutsche Frauennationalmannschaft um Titel mit. Ex-Präsident Zwanziger kämpfte lange für ihr Ansehen im deutschen Fußball. Die Damen waren vor den Herren in der internationalen Weltspitze angekommen. In Sachen Homosexualität sind die DFB-Damen auch viel weiter. Hier ist ein Kuss oder eine homosexuelle Beziehung kein Medienereignis. Der DFB schweigt, statt diesen Fortschritt zu nutzen. Den soll unter anderem Thomas Hitzlsperger leisten. Er versteckte sich nicht und nahm sich der Sache an. Bei seinem Coming-Out versuchte er durch Interviews, PR-Texte und TV-Auftritte zu sensibilisieren. Seit zwei Jahren lässt er sich immer wieder auf Veranstaltungen blicken. Auch er weiß, dass nur in Zusammenarbeit mit dem DFB etwas passieren kann.

Die Medienwelt stand nach Hitzlspergers Coming-Out Kopf. Nach nicht mal einer Woche war dann Schluss. Ein ganz normaler Vorgang. Es ist alles gesagt worden. Zum ersten und zweiten Jahrestag meldeten sie sich wieder und verkündeten, dass es keinen weiteren homosexuellen Profispieler gibt, der sich zu einem Coming-Out entschlossen hat. Es habe sich also nichts verändert. Daran alleine lässt sich aber kein Erfolg oder Misserfolg messen. Denn die Basis für ein Umdenken in Gesellschaft und Fußball in Bezug auf Homosexualität kann nur an der Basis geschehen. Im Amateurbereich und auf den hintersten Dorfplätzen darf es keinen „„schwulen Pass" mehr geben. Das können keine Bundesligastars mit bunten Transparenten und gut gemeinten Floskeln alleine ändern. Das sieht auch Dirk Brüllau so. „„Es ist nicht so wichtig, einen neuen Hitzlsperger zu haben—viel wichtiger ist ein Ogun Yilmaz in der Kreisliga, der nach dem Spiel seinen Partner küsst!" Unsere Amateure—echte Profis.

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