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Popkultur

H.R. Giger erschuf unsere Albträume

Heute wurde verkündet, dass der Schweizer Surrealist HR Giger, der Schöpfer des „Alien“, im Alter von 74 Jahren gestorben ist. 2009 hat VICE ihn in seinem Haus in Zürich besucht, um mit ihm über sein Leben, seine Inspiration und sein Werk gesprochen...

Heute wurde verkündet, dass der Schweizer Surrealist HR Giger, der Schöpfer des „Alien“, im Alter von 74 Jahren gestorben ist. 2009 hat VICE ihn in seinem Haus in Zürich besucht, und mit ihm über sein Leben, seine Inspiration und sein Werk gesprochen. Eine gute Gelegenheit, sich an diesen Ausnahme-Künstler zu erinnern.

H.R. Giger wird, egal, wie viele Museen und Galerien er mit zahllosen anderen Arbeiten füllt, mit ziemlicher Sicherheit als „der seltsame Schweizer hinter Alien“ in die Annalen der Geschichte eingehen. Während der 70er Jahre schuf Giger ein Buch mit dem Titel Necronomicon, das ihn als einen der wichtigsten phantastischen Künstler dieser Zeit etablierte. Salvador Dalí war von seinen Arbeiten so beeindruckt, dass er ihn zu sich nach Spanien einlud. Als Giger der Einladung folgte, spannte Dalí, der schlaue Hund, ihm seine Freundin aus.

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In den 80ern begann Giger an Filmen mitzuarbeiten und bekam für seine Arbeit an Alien einen Oscar, aber nach ein paar lausigen filmischen Kollaborationen in den 90ern verschwand er weitgehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit—wenn man von den Gruftis und Rockern absieht, die seine Kataloge nach wie vor nach Tattooinspirationen durchforsten.

Heute ist Giger 69. Und der von Feministinnen und Moralhütern gehasste frühere König der Dunkelheit ist heute kaum furchteinflößender als der schlecht gelaunte Alte von nebenan. Er trägt Crocs. Er werkelt im Garten vor sich hin, brabbelt seiner Katze etwas zu, haut sich nachmittags vor die Glotze und köpft eine Flasche, wann immer ihm danach ist. Seine Frau Carmen wohnt nebenan. Giger hat ein Loch durch die Wand gehauen, um die Gebäude miteinander zu verbinden. Seine Seite ist innen komplett schwarz gestrichen. Carmens Seite vermutlich etwas freundlicher.

Giger ist wie ein kleiner Junge, der seiner Fantasiewelt nie entwachsen ist. Er mag es, dass sein Garten mit Unkraut überwuchert ist und findet es gut, wenn seine Skulpturen rosten und verfallen. „Das ist mein Stil,“ sagt er.

Er teilt seine Zeit zwischen einem Schloss in den Alpen und seinem Haus in Zürich, wo Modellbahngleise durch seinen Garten und quer durch seine Küche führen. Wenn er zeichnet, skizziert er am liebsten seltsame Alien-Figuren mit beachtlichen Ausbeulungen in der Geschlechtsgegend, die zierliche Damen auf den Boden pressen, aber die dunkleren Tage seiner albtraumhaften Visionen und brutalen Halluzinationen sind vorbei. Er geht um fünf Uhr morgens ins Bett und steht gegen Mittag auf. Am Abend vor dem Interview hatte Giger es beim Abendessen etwas übertrieben.

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Alien III, Side View III, 1978. Das berüchtigte Alien von Ridley Scott basiert auf einer Kreatur, die das erste Mal in Gigers Bild Necronom IV auftauchte.

VICE: Wie war dein Fondue gestern Abend?
Schwer. Wahnsinnig schwer. Danach sage ich immer, „Oh Gott, warum habe ich das nur gemacht?“ Aber es ist einfach zu gut.

Was treibst du im Moment so?
Ihr wisst vielleicht, dass ich seit den 90ern nicht mehr gemalt habe. Ich lebe sehr ruhig. Ich sehe gern fern. Ich mag The Wire, und die Sopranos sind auch wahnsinnig gut.

Gestern haben wir deinen guten Freund Walter Wegmüller getroffen, der Timothy Leary geholfen hat, als er auf der Flucht war. Er sprach von den „verrückten Zeiten“ damals in den 70ern in der Schweiz. Was war das für eine Zeit?
Ah, die verrückten Zeiten. Als Timothy Leary in der Schweiz war, hoffte er, Asyl zu bekommen, damit er hier bleiben konnte, und nicht
urück in die Staaten in den Knast musste. Ich habe Unterschriften für ihn gesammelt. Mein Vater war Apotheker, wusstet ihr dass? „Was machst du mit diesem Typen?“, fragte er mich. Es war lustig. Timothy Leary war ein ausgesprochen netter Mensch. Ich habe ihn damals in der Schweiz nicht getroffen, aber ich traf ihn später in Los Angeles, wo er zwei Artikel für meine Bücher schrieb. Sie waren sehr gut und er war ein sehr feiner Mensch.

Habt ihr Ideen ausgetauscht?
Oh, das nicht so. Was hätte ich ihm sagen können? Er war ein sehr intelligenter Mann mit einem großen Wissen und ich, nun, ich bin einfach nur ein Künstler.

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Hast du je LSD mit ihm genommen?
Ah, wisst ihr, darüber kann ich mich offiziell nicht äußern. LSD ist immer noch verboten, also ist es nicht gut, über diese Dinge zu reden.

Du hast einmal gesagt, dass ein Großteil der Inspiration für deine Kunst aus Träumen kommt, genauer gesagt, aus deinen Albträumen.
Alle wollen immer mit mir über meine Träume reden. In Wirklichkeit kommt die Inspiration meist aus der Literatur. Ich habe so viele Dinge gelesen, die mich inspiriert haben. Beckett war eine wichtige Inspiration für mich. Besonders seine Theaterstücke. Ich habe Bilder als Hommage an Samuel Beckett gemalt [Hommage an S. Beckett, I, II, III]. Das waren ein paar der wenigen farbigen Gemälde, die ich gemacht habe.

Welche anderen Schriftsteller haben dich inspiriert?
Vor allem Krimiautoren. Ich fing mit Edgar Wallace an und dann folgten alle möglichen westlichen Autoren.

Aber deine Arbeiten scheinen von einem sehr viel dunkleren Ort als die von Beckett oder Wallace zu kommen?
Dunkler, ja. Das kam zum Teil wegen Chur, wo ich aufgewachsen bin, zum Teil vom Krieg. Ich bin 1940 geboren, also spürte ich die Stimmung, wenn meine Eltern Angst hatten. Die Lampen waren immer dunkelblau, damit uns die Bomber nicht entdeckten. Die Schweiz und Deutschland liegen nah beieinander. Die Ziele waren nicht immer klar markiert. Ich habe diese Angst sehr stark verspürt. Es waren so viele Dinge. Später sah ich eine Zeit lang viele Bücher über Hexerei uns so Sachen. H.P. Lovecraft und solche Leute. Ich würde sagen, dass meine Inspiration zum größten Teil aus Büchern kommt, aber auch aus Träumen.

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Hattest du Angst?
Nein, ich hatte keine Angst. Es war nur, na ja, ich war sehr überrascht. Ein Traum, wo ich nicht genug Luft bekomme, das macht mir Angst. Oder die Art Traum, wo ich in ein Grab oder so etwas einge- sperrt war und nicht genug Luft bekam, da hatte ich auch Angst. Aber später entwickelte ich diese Passagenbilder [Passage I-XXX] und die waren sehr gut gegen die Angst. Sie verschafften mir irgend- wie Erleichterung. Nachdem ich diese Passagen gemalt hatte, bekam ich diese schlimmen Träume nicht mehr. Es hat mir geholfen.

Passiert das oft?
Nein, nicht oft, aber es war richtig, dass ich das gemacht habe, denn zu der Zeit ruinierten diese Passagenträume meine Arbeit. Es war das Richtige, um mich besser zu fühlen.

Kannst du mir etwas über den Traum erzählen, der hinter Necronomicon steckt, dem Buch, das Ridley Scott als Vorlage für Alien verwendet hat?
Diese Dinge kommen von dem Schriftsteller H.P. Lovecraft. In den 70ern war ich sehr gut mit Lovecraft vertraut.

Und die Alienfigur selbst?
Nun, das hat alles denselben Ursprung. Ich hatte bereits Necronom IV und V gemacht, diese Monster mit den langen Köpfen, das war das, was Ridley Scott sah. Ich zeigte sie in einer Galerie in Paris. Jodoworsky besuchte die Galerie und Ridley Scott auch und später bekam ich dann die Einladung, an Filmen mitzuarbeiten. Erst war es Jodoworsky mit Dune und später dann Ridley Scott mit Alien.

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Was ist dann eigentlich mit Dune passiert?
Dune wurde nicht mit mir gemacht. Ich war zweimal gebeten worden, es zu machen, einmal mit Jodorowsky und dann noch einmal mit Ridley Scott, aber die Tochter von Dino de Laurentis hatte die Rechte auf Dune und gab sie David Lynch. Und David Lynch war nicht sehr glücklich mit mir.

Diese Zeichnungen sind Gigers Entwürfe für das Batmobil, das Joel Schumacher benutzen sollte. Glücklicherweise hat Schuhmacher sich dagegen entschieden, mit Giger zu arbeiten und lieber einen Entwurf genommen, der an einen gerippten Dildo mit Scheinwerfern erinnert. Wer sagt, er habe Batman ruiniert?

Ein paar der Projekte, die du nach Alien gemacht hast, wie Poltergeist II und Kondom des Grauens wurden nicht so gut angenommen. Warum hast du dich entschieden, daran mitzuarbeiten?
Nach Alien liefen die Dinge beim Film nicht so gut für mich, weil ich mich nicht genug engagierte. Ich wollte nicht in einem anderen Land wohnen. Ich hatte bei der Arbeit an Alien mehrere Monate in den Shepperton Studios verbracht, und ich wollte nach Hause. Als später die Arbeit an diesen anderen Projekten begann, verbrachte ich jeweils nur ein paar Tage im Land. Als die Filme raus kamen, dachte ich, „Oh, Scheiße.“ Aber ich konnte es nicht mehr ändern. Es war keine Zeit mehr. Also dachte ich, dass sei die falsche Art zu arbeiten. Wenn man an einem Film mitarbeitet, muss man die ganze Zeit vor Ort sein und schauen, was sie machen, denn sonst tun sie, was sie wollen. Beim Film wollen alle ihre eigenen Ideen einbringen und ihren eige- nen Stil verwirklichen, und daher ist es ganz schrecklich. Ich war sehr deprimiert, als ich das sah. Welche Filme haben dich deprimiert?
Alle. Ich war nur mit Alien zufrieden und mit allen anderen war ich nicht so glücklich.

Hat dich deine Zusammenarbeit mit Hollywood wenigstens reich gemacht?
Ach nein. Ich bin eigentlich arm. Ich musste mehrere Gemälde verkaufen, um das Schloss zu bezahlen. Das war Scheiße. Ich musste ein paar sehr schöne, sehr wichtige Gemälde verkaufen. Wann hast du das Schloss gekauft?
Ich hatte 1990 eine Ausstellung in Gruyère und sah die Stadt und sie war so unglaublich schön. Ich habe mich in Gruyère verliebt und ich hörte, dass sie das Schloss verkaufen wollten. Ich ersteigerte es bei einer Auktion. Es war sehr schwer, weil ich wirklich nicht reich bin, wisst ihr. Ich habe das Geld an vielen verschiedenen Stellen zusammengekratzt. Ich habe immer nach etwas gesucht, einem Ort für meine Gemälde und Skulpturen. Ich denke, ein Schloss ist der richtige Ort für mich, meint ihr nicht? Ist das Schloss eine Art Work in Progress oder ist es fertig?
Ich bin fast fertig, aber es ist nicht so toll gemacht worden. Ich meine, es ist mit einem winzigen Budget gemacht worden. Ich kann es immer noch nachbessern, aber im Moment mache ich eher Ausstellungen in verschiedenen Ländern, um Werbung für das Schloss zu machen. Und um rauszukriegen, wo meine Gemälde sind. Was ist mit deinen Gemälden passiert?
Ein paar wurden verkauft und ich weiß nicht wohin, und ein paar wurden geklaut. Es ist schrecklich. Wurden sie bei dir zuhause geklaut?
Zum Teil, ja. Und während des Transports zu Ausstellungen. Das ist Scheiße. Die zwei Bilder für Emerson Lake und Palmer, für ihr Brain Salad Surgery Album, wurden geklaut. Was kann man in so einer Situation machen?
Nichts. Ich habe es probiert. Ich habe gesagt, dass ich 10.000 Franken zahle, wenn mir jemand etwas darüber sagen kann. Ich weiß nicht, wo sie sind. Das wühlt mich fürchterlich auf. Ich liebe diese Arbeiten, ich habe sie 1973 gemalt und Emerson Lake und Palmer kamen sogar in die Schweiz, um sie sich anzusehen. Wenn du reich wärst, was würdest du gerne mit dem Schloss machen?
Ich würde gerne ein paar Gemälde zurückkaufen. Es gab die Idee, einen Zug durchs Schloss fahren zu lassen, aber es war zu verrückt. Es ist ein Hirngespinst. Es kostet zu viel, so einen Zug zu bauen, und ich könnte es nie abbezahlen. Es wäre sehr lustig, so was zu haben, aber ich muss immer noch für das Schloss bezahlen. Es sind noch zwei Millionen, die ich den Banken für das Schloss zurückzahlen muss, und das ist ein fetter Batzen. Das Schloss wird viel von jungen Rockern und Goths besucht. Sie scheinen es als eine Art Tempel der Finsternis anzusehen. Haben sie manchmal seltsame Anfragen an dich?
Oh ja. Es kommen viele seltsame Leute noch Gruyerès, um sich meine Arbeiten anzusehen. Die Leute aus dem Dorf erkennen meine Fans sofort. Sie sind alle schwarz gekleidet. Sie wollen dort heiraten, Fotoshootings machen, alles Mögliche. Denkst du, dass manchmal Leute Sex im Schloss haben?
Ha, das ist möglich. Ich weiß es nicht. Wir kontrollieren die Dinge da nicht so strikt. Sammelst du außer Kunst noch andere Dinge?
Ich habe Waffen. Ich will nie ohne Waffen sein. Als Schutz. Ich mag Waffen. Schon seit ich Kind war, habe ich immer Waffen gehabt. Was ist deine Lieblingswaffe?
Ich habe eine kleine 5mm Kaliber 22 — das ist ein kleiner Revolver. Mit so einer hat sich Li erschossen. Sie ist sehr klein. Ich habe drei Schwarzpulver-Revolver. Man kann sie selber füllen. Das macht Spaß. Würdest du einem bildenden Künstler empfehlen, beim Film zu arbeiten?
Nein, auf keinen Fall. Es ist sehr hart, beim Film zu arbeiten, und man hat nie Zeit, die Dinge wirklich auf befriedigende Weise fertig zu stellen. Filme machen einen verrückt. Einmal wollte ich in der Schweiz für die Filmindustrie arbeiten. Das war für den Film Species. Mann, war das ein Fehler. Warum war es denn so schlimm?
Die Typen, mit denen ich arbeitete, wollten nicht am Wochenende arbeiten. Es war schrecklich. Sie beschwerten sich bei mir, weil ich wollte, dass sie Überstunden machen. Filme sind toll. Ich meine, ich sehe, was sie heute so machen und es ist toll. Sie wissen, wie man es macht, sie haben alle möglichen Sachen, aber es macht einen trotzdem verrückt.

VON CONOR CREIGHTON, PORTRÄT VON STEVE RYAN, ILLUSTRATIONEN VON H.R. GIGER