Es ist 1995 und große Teile der Gaming-Welt sind vernarrt in einen Glatzkopf. Sein Name: Kane. Sein Job: Kult-Anführer. Kane ist unsterblich, unbesiegbar, gefährlich und smarter als seine Widersacher. Alles Eigenschaften, die zu diesem Zeitpunkt auch dem Spiel zugeschrieben werden, in dem er der Star ist – Command & Conquer: Tiberian Dawn.
Das Strategiespiel ist 1995 zwar nicht das erste seiner Art, aber es ist das Spiel, das zur Blaupause für ein Genre wird: Basis bauen, Ressourcen ernten, Hunderte Soldaten und Panzer rekrutieren – und sie in für damalige Verhältnisse gigantischen Echtzeit-Schlachten verheizen. Bis 2009 haben sich die Spiele der Reihe rund 30 Millionen Mal verkauft. Und heute? Über 20 Jahre nachdem Kane in amateurhaften Zwischensequenzen die Herrschaft der “Bruderschaft von Nod” verkündete, ist von Command & Conquer fast nichts mehr übrig.
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Kanes letzter Auftritt liegt über acht Jahre in der Vergangenheit, Echtzeit-Strategiespiele sind inzwischen eine unbedeutende Games-Nische und der einst glorreiche Name Command & Conquer wird benutzt, um ein uninspiriert aussehendes iPhone-Spiel zu verkaufen. Und trotzdem gibt es Tausende Fans, die Command & Conquer nicht sterben lassen wollen.
Warum Gamer immer noch ‘Command & Conquer’ spielen
“Die Spiele sind zeitlos”, betont Andrew Owen gegenüber Motherboard. Der Bar-Manager aus Birmingham ist 26 Jahre alt und spielt Command & Conquer seit seiner Kindheit. Bei einem Grundschulfreund probierte er zum ersten mal Red Alert aus und war sofort gebannt. “Ich habe es mir von ihm gegen eine Kopie von Worms 2 ausgeliehen, das war es absolut wert!” Große Armeen aufbauen zu können, seine Basis immer mehr zu erweitern, das macht für ihn die Spielreihe aus.
Wenn er heute nicht gerade im Fitnessstudio oder mit seiner Band abhängt, arbeitet der Brite an einem der größten Mod-Projekte zu Command & Conquer: Tiberian Sun. Sein Lieblingsspiel bleibt aber Red Alert 2. “Als ich hier zum ersten Mal entdeckt habe, dass ich auch gegen andere Menschen aus der ganzen Welt antreten kann, war das ein unbeschreibliches Gefühl”, sagt er.
Das perfekte Gameplay ist nicht das einzige, das die Fans an Command & Conquer begeistert. “Wir dürfen unseren charismatischen Anführer Kane nicht unerwähnt lassen”, ergänzt Carlos Muniz auf dem Discord-Server “C&C Mod Haven” mit rund 200 Mitgliedern. Für den 34-jährigen Informatiker aus Brasilien sind die umfangreichen Story-Kampagnen ein zentraler Bestandteil der Spiele.
Schon beim Erstling Tiberian Dawn wird in langen Zwischensequenzen die Geschichte des Konflikts um die außerirdische Ressource Tiberium zwischen dem Verteidigungsbündnis GDI und den religiösen Fanatikern der Bruderschaft von Nod erzählt. War der erste Teil schon ziemlich trashige Science-Fiction, so wurde es später noch absurder. Im Nachfolger Red Alert von 1996 tötet der zeitreisende Albert Einstein den jungen Adolf Hitler vor seiner Machtergreifung und erzeugt so eine alternative Zeitlinie.
“Mein Gefühl des verzweifelten Kampfes mit den Alliierten gegen die Sowjets werde ich so schnell nicht vergessen”, erinnert sich Andrew. In den folgenden Spielen tritt jedoch durch Auftritte von Kult-Schauspielern wie Tim Curry und George Takei der B-Movie-Charme der Stories stärker in den Vordergrund. Verzweifelt wirken die Kämpfe ab da nicht mehr so sehr. Doch das überzeichnete Spiel-Universum begeisterte damals Hunderttausende Gamer.
Im Jahr 2002 sorgt Command and Conquer: Generals für einen letzten Höhepunkt der Reihe. Zwar löst sich das Spiel komplett von der Storywelt seiner Vorgänger, aber perfektioniertes Gameplay und eine neue 3D-Engine überzeugen die Fans. Doch nur ein Jahr später wird Westwood, das Studio, das seit 1995 an der Reihe gearbeitet hat, durch seinen Besitzer EA aufgelöst. Das sollte den langsamen Niedergang der Reihe einleiten.
Die finale Rückkehr zur Saga von Kane im Jahr 2010 markiert den Tiefpunkt: Command & Conquer 4: Tiberian Twilight enttäuschte die Fans mit einer radikalen Abkehr vom klassischen Gameplay – kein Basenbau mehr und Einheiten, die über das Sammeln von Erfahrungspunkten mühsam freigeschaltet werden müssen. Auch die Zwischensequenzen nehmen sich zu ernst, um noch als sympathischer Trash durchzugehen. Mit dem vor kurzem für Smartphones angekündigten Command & Conquer Rivals scheint für viele Anhänger der Tiefpunkt erreicht zu sein.
“Der Geiz großer Unternehmen kennt keine Grenzen”, kommentiert Modder Andrew Owen den Neuzugang. Doch die Community weiß sich zu helfen. Carlos ist Gründer und Administrator der Modding-Homepage “Project Perfect Mod” auf der sich die treuen Fans über die Bewahrung und Weiterentwicklung von Command & Conquer austauschen. “Eine großartige Reaktion der Community auf den Umgang von Electronic Arts mit dem Franchise”, erklärt der Informatiker.
Engagierte Modder holen die Gaming-Klassiker in die Gegenwart
Eines der populärsten Projekte auf “Project Perfect Mod” ist die Open-Source-Engine OpenRA. Zwar sind die ersten drei Spiele Tiberian Dawn, Red Alert und Tiberian Sun seit Jahren Freeware, sie werden aber auch nicht mehr mit Updates von Electronic Arts versorgt. “Die Spiele der ersten Generation zeigen klare Alterserscheinungen”, sagt Paul Chote gegenüber Motherboard. Ohne Patches aus der Community und Emulation alter Hardware würden sie auf modernen Rechnern gar nicht erst laufen.
Der Astronom aus Neuseeland ist einer der Hauptunterstützer von OpenRA und arbeitet mit daran, die Klassiker zukunftsfähig zu machen. OpenRA nutzt die Grafik- und Soundelemente der freien Originale, ist ansonsten aber eine von Grund auf neu entwickelte und flexible Engine für Echtzeitstrategiespiele im Stil von Command & Conquer. “Wir versuchen, dem Geist der Originale treu zu bleiben, fügen aber auch interessante Gameplay-Elementen aus späteren Teilen hinzu’”, sagt Paul. So bietet die Engine höhere Auflösung, ein besseres Interface und “Fog of War”, den Kriegsnebel, der die Karte verdeckt und geheime Aktionen der Spieler ermöglicht. Die Installation ist kinderleicht – OpenRA lädt automatisch alle benötigten Dateien der Originale aus dem Netz.
Das Projekt startete 2007 in einem Keller in Neuseeland. “Beim Rumbasteln an der veralteten Engine von Red Alert stießen wir irgendwann an Grenzen, also sagten wir uns: Wie schwer kann es sein, das Spiel von Grund auf neu aufzubauen?”, erinnert sich Chris Forbes im Interview mit Motherboard. Der Softwareingenieur war von Anfang an bei OpenRA dabei, muss jedoch schon bald feststellen: “Es war tatsächlich verdammt schwer, also haben wir schnell wieder das Interesse verloren.”
Erst der Onlinedienst GitHub führte 2009 zum Durchbruch. Rund 300 Menschen haben mittlerweile auf die ein oder andere Weise zum Projekt beigetragen. Wachsende Popularität auf Reddit, Werbung durch YouTuber und die damit einhergehend hohen und oft widersprüchlichen Erwartungen der Community haben das Kernteam von OpenRA vor einige Herausforderungen gestellt.
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“Es ist ein kleines Wunder, dass das Projekt nicht komplett entgleist ist”, schreibt Megan Bowra-Dean per E-Mail an Motherboard. Die Programmiererin aus Wellington musste in dieser Zeit einige harte Lektionen über Community-Management lernen und mit dem restlichen Team die ursprüngliche Vision von OpenRA entschieden gegen die kontroversen Interessen einer wachsenden Community durchsetzen. “Zum Glück war das noch vor der Zeit toxischer Ausbrüche gegenüber Spieleentwicklern.”
Dank der ab 2014 integrierten Replay- und Spectator-Funktionen gibt es nun sogar eine eigene “Red Alert: Global League”, die bald in ihre sechste Turniersaison geht. Noch fehlen der Engine jedoch die vollständigen Story-Kampagnen und auch die Unterstützung von Command & Conquer: Tiberian Sun steht aus. Zwar ist OpenRA perfekt für die Bedürfnisse von Moddern geeignet, der Löwenanteil der Mods entsteht allerdings nach wie vor für den frei verfügbaren und im Gameplay komplexeren dritten Teil.
“Von meiner ersten Begegnung mit einem Command & Conquer war ich nicht wirklich begeistert”, erklärt Carlos Muniz. “Erst als ich Jahre später herausgefunden habe, dass ich die Einheiten aus Tiberian Sun nach meinen Vorstellungen modifizieren kann, wurde das Franchise besonders für mich.” Heute tauscht sich die Community auf “Project Perfect Mod” über Hunderte Modding-Projekte aus, die nicht nur die Klassiker bewahren, sondern auch deren Erzählungen weiterspinnen. Der Informatiker ist sich sicher: “Dass Command & Conquer heute noch so populär ist, hat viel mit der aktiven Modding-Community zu tun.”
Twisted Insurrection erzählt die Geschichte von Command & Conquer weiter
“Nie hätte ich mir Vorstellen können, dass das Projekt einmal in Magazin-Artikeln besprochen und Preise gewinnen würde”, sagt Andrew Owen. Die Mod, an der er seit 2007 arbeitet, heißt Twisted Insurrection. “Anfangs war nicht mehr geplant als eine kleine Erweiterung von Tiberian Sun mit ein paar neuen Einheiten und Missionen”, erklärt er. Heute arbeiten arbeiten rund 20 Menschen in ihrer Freizeit an der kompletten Überarbeitung des Originals – mit neuen Story-Kampagnen und einer zusätzlichen Fraktion.
“Wir haben uns gefragt, was wäre passiert, hätte die GDI in Tiberium Dawn nicht den Sieg errungen?” In der alternativen Zeitlinie von Twisted Insurrection hat die Bruderschaft von Nod die Macht ergriffen, muss sich nun aber einem neuen Gegner stellen – der zivilen Organisation “GloboTech”. Der glatzköpfige Sektenführer Kane ist ebenso mit von der Partie. Wie genau? Das möchte der Projektgründer gegenüber Motherboard nicht verraten: “Kane spielt eine Rolle, aber anders als man vielleicht erwartet.”
Das größte Hindernis der Entwicklung von Twisted Insurrection sind die Limitierungen und Fehler der Original-Engine. Für Wochen kämpfte das Team allein mit einem Bug, der die Trümmer zerstörter Brücken einfach so in der Luft schweben ließ. Fehler dieser Größenordnung heißen bei ihnen jetzt “bridge issues” und kommen regelmäßig vor. “Als Community erweitern wir die Grenzen des Möglichen und das liebe ich einfach daran”, erklärt Andrew.
Besonders stolz ist er aber auf die Musik von Twisted Insurrection. Neben überarbeiteten Versionen beliebter Tracks aus der Seriengeschichte – “No Mercy” ist ein Klassiker –, gibt es auch Klänge von einem echten Westwood-Veteranen zu hören. Frank Klepacki ist der Komponist fast aller Soundtracks für Command & Conquer und hat für Twisted Insurrection zwei Remixes beigesteuert. “Mit dem Franchise verbinde ich ein paar der schönsten Erinnerungen meiner Arbeit in der Spieleindustrie”, sagt der Musiker im Interview mit Motherboard. “Die Jungs von Twisted Insurrection treffen wirklich das klassische Aroma von Command & Conquer.”
Die Community hat die Macht über die Zukunft von ‘Command & Conquer’
Ganz hat die Community die Hoffnung auf ein neues Command & Conquer nicht aufgegeben. “Das Franchise ist noch lange nicht tot”, betont Andrew Owen. Carlos Muniz hofft auf eine Rückkehr zum gewohnten Gameplay. “Ich möchte wieder Fußsoldaten mit Panzern zerquetschen, Gebäude erobern und all die anderen tollen Mechaniken nutzen, die Command & Conquer zu bieten hat”, sagt er.
Der kommende Smartphone-Ableger Rivals wird diese Wünsche wohl nicht erfüllen können. “Es ist ein Jammer, dass wir nicht die volle Erfahrung bekommen, also auch das Schmierentheater der Zwischensequenzen und die abgedrehten Plots”, ergänzt Megan Bowra-Dean. Bis die Reihe zurück zu ihrer Blüte findet, hält es die Community mit den Worten des Nod-Propheten Kane: “Wer Macht über die Zukunft hat, erobert die Vergangenheit.”
Für Fans der Echtzeitstrategiespiele ist Modding eine Zeitmaschine, mit der sie die Seriengeschichte nach ihren Wünschen umgestalten können. “Wenn Electronic Arts uns nicht das Reboot gibt, das wir wollen”, sagt Andrew, “nehmen wir die Zukunft von Command & Conquer einfach selbst in die Hand!”
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